Sportliche Kultur: Die Profis aus der Doppelkopfrunde
Aufzuhören, das ist ein echtes Thema unter Profis. Und Kolumnen zu schreiben, das ist wirklich harte Arbeit.
Nicht nur im Sport gibt es Profis. Als ich vor Jahren zu lange vor einem leeren Blatt saß und eine gefühlte Ewigkeit nach einem guten ersten Satz suchte, da fragte ich einen Journalisten um Rat. Du musst mit dem zweiten Satz anfangen, sagte der. Das erzähle ich dem Kreis von Journalisten (es gibt noch welche), mit denen ich Doppelkopf spiele – ohne Neunen und Schweine; zweite Dulle geht über die erste, nur im letzten Stich ist es andersherum; und gefangener Fuchs im letzten gibt zwei Punkte.
Nur läppische zweimal haben wir es dieses Jahr geschafft zu spielen, uns jetzt aber schon, die guten Vorsätze, für den 29. Februar (2020 ist ein Schaltjahr!) zum Spielen verabredet. Der Gastgeber ist einer wie aus dem Bilderbuch, alles rund ums Spielen ist perfekt, die frischen Karten liegen mittig auf dem runden Esstisch bereit. Eine Kerze verbreitet zusätzliche Aura. Kein Aschenbecher weit und breit.
Schreib über Doppelkopf, sagen sie mir. Die Leute wollen zum Jahresende nichts mehr hören, sagen sie, guck doch nur mal der Brexit, wie kalt das auf einmal alle lässt. Du musst über leere Akkus schreiben, sagen sie, das interessiert die Leute, auch noch zum Jahresende. Leute, sage ich, mein Auftrag war und ist es, noch ein letztes Mal in der taz-Kultur über Sport zu schreiben.
Doppelkopf und leere Akkus, technisch oder menschlich betrachtet, zählen da nicht. Schreib über den VFL Bochum, sagt der Gastgeber eine lange Weile später. Über das Leidenlernen. Eben haben wir bei ihm im Wohnzimmer auf Sky die letzte halbe Stunde von Bochum gegen Hannover geguckt. Zweite Liga. Als Kind, sagt mir ein anderer Mitspieler, ist unser Vater mit uns in jedes Stadion gefahren. Wie, in jedes?, frage ich. Na, nach Bochum, Schalke, Dortmund, Wattenscheid.
Viele Stadien auf dem Buckel
Ich erzähle, wie ich jahrelang mit Basketballfreunden aus Hessen, die Fans der Eintracht aus Frankfurt sind, zum Auswärtsspiel zu Hertha mitgegangen bin und wie unangenehm ich das fand, nach dem Spiel neben ihnen, mit ihren Eintracht-Schals, vor dem Haupteingang rumzustehen. Der Mitspieler aus dem Ruhrpott mit den vielen Stadien auf dem Buckel sagt, damals beim Spiel Dresden gegen Dortmund hätten Dresdener seinen Freund vor dem Spiel aufs Maul gehauen. Einfach so?, frage ich. Einfach so. Das sei jedoch die einzige Gewalttat bei geschätzt 100 Spielen gewesen.
Keine neun, neun angesagt, gegen die Alten, Bock, Fuchs gefangen, macht 17 Punkte. Meine Playlist „Schleunigst“ läuft über Handy, der Sound ist die Hölle, aber der Gastgeber, der ansonsten alles hat, hat keine Boxen. Zumindest der Akku ist noch okay. Wir trinken jetzt noch ein Augustiner aus der Flasche, herrlich erfrischend kommt das nach dem Rotwein. Ich sage, das sei jetzt für mich die letzte Runde, ich müsse am nächsten morgen früh raus, die Kolumne schreiben, das sei echte und für mich harte Arbeit.
Letztes Spiel, wir prosten uns zu
Die Journalisten lachen mich aus. In 15 Minuten kriege man das hin. Sie sind eben Profis, denke ich. Wir haben damals, als Basketball-Profis, immer und überall Doppelkopf gespielt, im Trainingslager vor allem, stundenlang, tagelang. Seitdem ist es echt schwer, eine Gruppe zusammenzubekommen. Letztes Spiel, wir prosten uns zu.
Ich erinnere mich, wie ich einmal im Flieger zufällig auf einen ehemaligen Mittelstürmer (Fußball) getroffen bin und wir, nebeneinander sitzend, so von Ex-Profi zu Ex-Profi gesprochen haben. Wir redeten über das Aufhören, ein echtes Thema bei den Profis, und der Mittelstürmer neben mir erzählte, wie er gemerkt habe, dass es vorbei sei.
Weißt du, sagte er, das war ein Heimspiel zum Ende der Saison. Und ab der 70. Minute, da habe ich immer öfter auf die Uhr an der Anzeigetafel geschaut und mich gefragt, wann das denn endlich vorbei ist. Das musst du erzählen, sagen die Journalisten-Profis.
Henning Harnisch, früherer Basketballnationalspieler, Vizepräsident von Alba Berlin schrieb zwei Jahre lang die monatliche Kolumne „Henningway“. Jetzt hört er auf, bleibt der taz aber als Autor erhalten.
Leser*innenkommentare
Zven
Wie jetzt, gefangens Karlchen gibt keine Sonderpunkte?