Sportgeschichte des Pistolen-Duells: Goldmedaille für Satisfaktion
Das Duell mit der Pistole war einmal olympische Sportart: 1906 in Athen. Getötet wurde dabei niemand, die Duellanten schossen mit Wachskügelchen.
B esser gutlos als ehrlos, hieß es über Jahrhunderte, und so flogen auch noch vor gut hundert Jahren Pistolenkugeln hin und her, um Satisfaktion zu verschaffen und die Ehre wiederherzustellen, Begrifflichkeiten, die heute lächerlich anmuten, aber zu Zeiten aristokratischer Ehrpusseligkeit und Indignation gang und gäbe waren.
Der Schüler von heute lernt das Pistolenduell nur noch in der Literatur kennen, wenn etwa der gehörnte Baron Geert von Innstetten den Major von Crampas niedersteckt und Effi Briest, die eigentlich Elisabeth von Ardenne hieß, wiederum ehrlos zurückbleibt. 1886 trug sich diese durch Gewohnheitsrecht legitimierte Hinrichtung zu, und die adeligen Kreise sowie das Offiziercorps fanden auch in den folgenden Dekaden großen Gefallen am atavistischen Ritual.
Dumm nur, dass der Spaß vom Ableben oder einer schweren Verletzung eines Duellanten getrübt wurde. Paul Devillers, Arzt und Freund des Niederschießens, war es, der Abhilfe schaffte. Der Franzose erfand nämlich eine Wachskugel, die aus Talg und Bariumsulfat bestand und mit speziellen Revolvern der Waffenfabrik Piot-Lepage abgefeuert werden konnte.
Kugeln und Schießeisen mussten freilich gekühlt werden, damit das Geschoss auch den Gegner in 20 bis 30 Meter Entfernung erreichte und bei diesem einen Abdruck auf der Montur hinterließ. Diese Gaudi muss als Vorläufer von Paintball gelten. Wie dem auch sei, Devillers erfand 1901 das blutlose Duell, was er drei Jahre später mit der Gründung der Societé L’Assaut au Pistolet feierte.
The Sketch, Magazin aus London, 1908
Diese neue Gesellschaft legte die Regeln für den neuen Sport fest, autorisierte die angemessene Ausrüstung und arrangierte die Wachskugelduelle; diese wurden zumeist freitags auf den Champs Élysées abgehalten und müssen Scharen von neugierigen Zuschauern angezogen haben. Die ehrenwerte Gesellschaft des Paul Devillers hatte bald über 100 Mitglieder, und schon 1906 fand das Pistolenduell einen Platz bei den Olympischen Spielen von Athen, die, nicht kanonisiert, als die „Zwischenspiele“ gelten. Geschossen (30 Schuss in Serien à 5 auf Kommando) wurde da nicht auf leibhaftige Menschen, sondern aus 25 Meter Entfernung auf Attrappen, 1,57 Meter hohe Silhouettenscheiben, die in Sektoren unterteilt waren. Die Punktvergabe: Kopf 3, Rumpf Mitte 5, Unterschenkel 1, usw.
Pistolen-Duell bei den Olympischen Spielen
Der Grieche Konstantinos Skarlatos (133 Punkte) gewann vor dem Schweden Johan Hübner von Holst (115) den Wettbewerb, der 1908 am Rande der Olympischen Spiele von London, diesmal tatsächlich mit Wachskugeln, fortgesetzt wurde. Das Duell war nicht Teil des offiziellen Programms, genauso wenig wie das Wasserspringen der Frauen oder das Cumberland-&-Westmoreland-Ringen. Vor allem Fechter, die sich vorm olympischen Wettkampf noch etwas vergnügen wollten, traten zum Pistolenduell an.
Das Londoner Magazin The Sketch schrieb 1908: „einer der merkwürdigsten Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen“. Das war nicht unbedingt falsch, denn die Spiele waren Teil der viel größeren und ungleich bedeutenderen Franco-British Exhibition, die vom 14. Mai bis 31. Oktober in White City, London, veranstaltet wurde; Ziel war die Festigung der vier Jahre zuvor vereinbarten Entente cordiale, eines Vertrages über koloniale Einflusssphären in Afrika, zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich.
Der seinerzeit berüchtigte Pistolenschütze Walter Winans erklärte der Zeitung Daily Express im Mai 1908: „Es wird gerade genug Risiko in diesen Duellen geben, um sie aufregend, wenn auch nicht wirklich gefährlich zu machen.“ In der Tat: Es kam kein Schütze ernstlich zu Schaden, einer wurde wohl leicht an der Hand verletzt, gleichwohl, der Duellsport verschwand fortan aus den Annalen Olympias. Und das ist gut so.
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