Roman über die Kunst des Duellierens: In Sichtweite des Ablebens

Rayk Wieland hat einen Roman über die fast verschwundene Kulturtechnik des Duellierens geschrieben. Er heißt „Beleidigung dritten Grades“.

Zwei Männer zielen mit Pistolen aufeinander

Duellbegehr ist noch keine Straftat, womöglich aber ernst zu nehmen Foto: akg-images

Nach der Lektüre dieses – hier stimmt das antiquierte Adjektiv – geistreichen Romans stellt sich sogleich die Frage, warum so lange kein belletristisches Buch erschienen ist, in dem sich zwei aufgebrachte Herren (Damen lösen ihre Streitigkeiten seit je nur selten mit Waffengewalt) ein klassisches Duell liefern.

Immerhin gehörte das traditionelle Ehrgefecht einst zum Standardrepertoire der Weltliteratur, wie Rayk Wieland in seinem nunmehr dritten Prosawerk mit dem schönen Titel „Beleidigung dritten Grades“ so unterhaltsam wie kenntnisreich ausführt. Wenn man an die blutigen Bandenkriege unserer Zeit denkt, erscheint das von Sekundanten und ärztlichem Fachpersonal überwachte Duell gar als zivilisiertes Lösungsmodell für Auseinandersetzungen, in denen, wie es eben manchmal vorkommt, jedes Wort überflüssig ist.

Der leicht realitätsfremde Antiquar Alexander Schill jedenfalls vertritt diese streitbare Position nicht nur als leidenschaftlicher Kenner des Duellwesens, er möchte sein Wissen auch praktisch umsetzen. Seine Identität als ehrbarer Mann sieht er schwer beschädigt, nachdem die Freundin ihn, wie er meint, schmachvoll verließ.

Tatsächlich hat sich Constanze Kamp, so der Name der Untreuen, in den Psychiater Oskar B. Markov verliebt. Doch der empörte Schill will nicht klein beigeben: „Er hat sie durch das Herunterlassen seiner Hose therapiert. Und sicher mit der Kasse abgerechnet. Das würde ich Unzucht mit Abhängigen nennen, nicht Heilkunst.“

Also schickt der Verlassene dem neuen Lover eine Depesche

Duell auf die Distanz von 50 Metern

Also schickt der Verlassene dem neuen Lover eine Depesche. So nennt er jedenfalls den Brief, in dem er Markov den „klassischen Fall einer Beleidigung dritten Grades“ vorwirft, Genugtuung fordert und ihn zu einem Pistolenduell „auf die Distanz von fünfzig Metern“ herausfordert. Allein dieses aberwitzige Schriftstück lohnt der Lektüre, auch wenn dem Herausgeforderten das Lachen schnell vergeht.

Markov schwankt zwischen Ratlosigkeit und Paranoia, eilt zur nächsten Polizeidienststelle, um eine Anzeige aufzugeben. Was gar nicht so leicht ist, denn das Duellbegehr ist noch keine Straftat, und die amüsierten Kriminalbeamten geben zweifelhafte Ratschläge: „Sagen Sie dem Herrn Schill, dass Sie keine Zeit haben zum Totgeschossenwerden.“

Schon früh ahnen wir, dass Schill zu jenen Charakteren gehört, denen man nicht mit einer flotten Bemerkung beikommt, und so entwickelt sich eine Krimigroteske, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass Wieland für sein Sujet die einzig angemessene, nämlich eine überdreht zopfige Sprache gefunden hat, die umso absurder wirkt, wenn sie hin und wieder mit Dialogen im sehr heutigen Plauderton gebrochen wird.

Rayk Wieland: „Beleidigung dritten Grades“. Kunstmann Verlag, München 2022. 367 Seiten, 24 Euro

Sehr geschickt wird zudem der Erzählstrang, der in der unwirklichen Gegenwart angesiedelt ist, um einen historischen Handlungsverlauf ergänzt. Schill möchte nämlich seinen Holmgang mit Pistolen antreten, die ihm ein merkwürdig sympathischer Militariahändler „least“ und die beim letzten Duell auf deutschem Boden zum Einsatz gekommen sind.

Das letzte deutsche Duell

Bei diesem Gefecht standen sich im Herbst 1937 zwei SS-Leute vor den berühmten Heilanstalten in Hohenlychen gegenüber. Auf der einen Seite der SS-Hauptsturmführer Roland Strunk, Soldat seit Dekaden, Träger von Tapferkeitsmedaillen, Kriegsberichterstatter des Völkischen Beobachters, angeblich „Hitlers Lieblingskorrespondent“. Auf der anderen ein Hallodri namens Horst Krutschinna, der als Kreisführer der NS-Studentenschaft in Königsberg Bücherverbrennungen organisiert hat.

Krutschinna hatte Strunks Frau verführt und war so blöd, sich ausgerechnet von dem Gatten erwischen zu lassen. Also musste nach alter Tradition geballert werden, was der Nazi-Obrigkeit allerdings nicht gefiel. Denn die Weltpresse interessierte sich für das schaurige Freiluftdrama, das mit dem Tod des eigentlich unbesiegbaren Strunk endete.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt der Erzähler, wobei sich die Zeitebenen auch vermischen, um schließlich die Grundfragen des Themas zu klären: Was muss alles getan werden, um den korrekten Ablauf eines Duells zu gewährleisten? Welche regionalen oder nationalen Unterschiede gibt es?

Mit welchen Waffen wird gekämpft und wer wählt sie aus? Wann haben die Menschen angefangen, sich auf diese geordnete Weise umzubringen? Und wie verändert sich für die Beteiligten „die Rangfolge der Wichtigkeiten“, und zwar in „Sichtweite des Ablebens“?

Rayk Wieland findet immer wieder herrlich altfränkische Formulierungen. Erstaunlich viele Details hat der Autor zusammengetragen und es dabei geschafft, eine so abgründige wie amüsante Geschichte zu erzählen, die zunehmend an Suspense gewinnt. Im Kern dieses Buchs steckt gewiss ein Nachdenken über die Unmöglichkeit der Zivilisation, solange die Menschen nicht von der bekloppten Vorstellung ablassen, eine beschädigte Ehre könne mit einer Kugel wiederhergestellt werden.

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