Sport unter DDR-Vertragsarbeitenden: Selbstbehauptung auf dem Rasen
Die Vertragsarbeitenden in der DDR mussten mit Isolation und Rassismus leben. Ablenkung und Gemeinschaft aber bot ihnen der Sport, vor allem Fußball.
Mit großen Hoffnungen landet Ibraimo Alberto 1981 auf dem Flughafen Schönefeld. Er möchte seine Heimat Mosambik hinter sich lassen, ein Land, das gezeichnet ist von Bürgerkrieg und Ungleichheit. Alberto will sich in der DDR ein neues Leben aufbauen. Vielleicht mit einem Studium der Sportwissenschaften, vielleicht mit einem Bürojob. Das hatte man ihm zumindest in Aussicht gestellt. Doch Ibraimo Alberto wird als Vertragsarbeiter einem „Volkseigenen Betrieb“ zugewiesen, einem Fleischkombinat. Er muss tote Tiere transportieren, in langen, eintönigen Schichten. Mit Kollegen teilt er sich eine enge Unterkunft. Was ihm Ablenkung bietet? „Von Anfang an haben wir Fußball gespielt“, sagt Alberto. „Das war unser Highlight.“
Die Geschichte des Rassismus im Sport wird in der Regel aus westdeutscher Perspektive erzählt. Auch in der DDR aber war die marode Wirtschaft auf mehr als 90.000 Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen angewiesen. Sie kamen aus Mosambik, Angola oder Vietnam. Der Alltag war von Isolation und Rassismus geprägt. Was Ablenkung bot? Der Sport. Ibraimo Alberto war bei seiner Ankunft in Ostberlin noch keine zwanzig Jahre alt. Er wollte sich einem lokalen Verein anschließen, aber afrikanische Vertragsarbeiter waren dort nicht willkommen. Sie sollten arbeiten und dann irgendwann wieder nach Hause fliegen.
In Mosambik, im Süden Afrikas, hatte Alberto selbst Fußballspiele organisiert. Daran knüpfte er nun in der DDR an. Er ging auf andere Arbeiter zu. Sie trafen sich zum Training und gründeten eine Fußballliga. Schon bald reisten sie an den Wochenenden für Turniere in andere Städte. Für eine finanzielle Unterstützung sprach er bei Betrieben und Sparkassen vor. „Wir haben uns dann T-Shirts fertigen lassen. Die Mannschaft unseres Fleischkombinats wurde sogar in der Zeitung erwähnt.“
Das Engagement von Ibraimo Alberto sprach sich herum. Mit einer Auswahl mosambikanischer Arbeiter bestritt er Trainingsspiele gegen Vereinsmannschaften der DDR. Sie reisten nach Leipzig, Dresden oder Wismar. „Viele Leute haben uns unterschätzt“, sagt Alberto. „Aber wir hatten ein gutes Team. Einige von uns hatten in Mosambik in der ersten Liga gespielt.“ Spiele wie diese waren Höhepunkte für die Vertragsarbeiter.
Gesundheitsgefährdende Arbeit
Im Alltag mussten sie oft gesundheitsgefährdende Aufgaben verrichten. Sie mussten ihre Pässe abgeben und Anteile ihres Lohnes an die heimischen Regierungen abführen. In der Regel waren sie in engen Wohnheimen untergebracht. „Es ist ihnen nur so viel Deutsch beigebracht worden, wie es nötig war“, sagt der Historiker Patrice Poutrus, der das Thema erforscht. „Es war nicht vorgesehen, dass es so etwas gibt wie partnerschaftliche Beziehungen zu Deutschen.“ In einigen Fällen wurden schwangere Vertragsarbeiterinnen sogar zur Abtreibung gedrängt.
In der DDR-Propaganda galt die Vertragsarbeit als solidarische Hilfe für die „Bruderstaaten“. Tatsächlich aber sollten Kontrollen in den Wohnheimen und die Staatssicherheit einen intensiven Kontakt zwischen Vertragsarbeitern und DDR-Bürgern erschweren. Ibraimo Alberto hielt sich an die Regeln, denn er wollte nicht zurück ins kriegsgeplagte Mosambik. „Wenn einer zu viel Theater gemacht hat, dann haben sie ihn zurückgeschickt“, sagt er. „Dann kam er in Mosambik gleich in die Armee.“
„Gemeinschaft leben“
Die größte ausländische Gruppe in der DDR, mit 60.000 Arbeiterinnen und Arbeitern, stammte aus Vietnam. Hoang Van Thanh etwa kam 1988 nach Leipzig und wurde dort für eine Metallfabrik eingeteilt. Integrations- oder Sprachkurse wurden ihm nicht angeboten, sagt er: „Wir wollten uns in der DDR eine neue Existenz aufbauen. Wir wollten von niemandem abhängig sein. Daher haben wir uns unauffällig verhalten. Die vietnamesische Gemeinschaft hat uns Kraft gegeben.“
Diese Gemeinschaft interessierte sich für Fußball. Nach und nach gründeten vietnamesische Arbeiter zwischen Ostsee und Erzgebirge 16 Mannschaften. Im Spielbetrieb der DDR waren sie nicht willkommen, deshalb organisierten sie eigene Turniere. Hoang Van Thanh, damals Anfang 20, kümmerte sich um Plätze, Trikots und Reisebusse. Die vietnamesische Botschaft verbreitete die Informationen in ihrem Rundschreiben. „Unser Alltag war nicht leicht“, erinnert Hoang Van Thanh. „Aber im Fußball konnten wir unsere Gemeinschaft leben.“
„Verbindung zur vietnamesischen Kultur“
Nach dem Mauerfall, der sich nun zum 36. Mal jährt, verloren Zehntausende Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter ihre Jobs und Unterkünfte. Viele kehrten in ihre Herkunftsländer zurück. Die vietnamesische Regierung sträubte sich dagegen und hoffte weiter auf Geldüberweisungen aus Deutschland. 20.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen blieben in der Bundesrepublik. Viele wurden Opfer von Angriffen und Rassismus, zum Beispiel im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Die ehemaligen Vertragsarbeitenden lebten über Jahre unter Abschiebedruck, sagt der in Ostberlin aufgewachsene Forscher Patrice Poutrus: „Sie mussten ihre Existenz ebenfalls neu aufbauen wie alle Ostdeutschen. Und gleichzeitig mussten sie sich fragen, ob ihre ostdeutschen Mitmenschen nicht eventuell auch ihre rassistischen Feinde sind.“
Auch der langjährige Fußballer Hoang Van Thanh blieb nach dem Mauerfall in Leipzig. Er baute ein Textilunternehmen auf und organisierte weiterhin Turniere für die deutsch-vietnamesische Community, bis heute. Unterstützung erhält er nun von den Kindern der einstigen Vertragsarbeiter. „Die zweite Generation ist in Deutschland aufgewachsen“, sagt die Dresdnerin Bao Linh Huynh. „Mit Hilfe des Fußballs können wir aber eine Verbindung zur vietnamesischen Kultur und zur Sprache schaffen.“
Der in Mosambik aufgewachsene Ibraimo Alberto vertritt eine ähnliche Haltung. In den Neunzigerjahren war er auch ein erfolgreicher Boxer. Im brandenburgischen Schwedt absolvierte er eine Ausbildung zum Sozialarbeiter. Für einige Jahre lebte er dann in Karlsruhe. Doch inzwischen, mit 62, ist er wieder in Berlin. Lange arbeitete Alberto mit geflüchteten Menschen. Er erzählte ihnen von seiner eigenen Geschichte, von der Ankunft und von Rassismus. Aber auch von der Selbstbehauptung, bei der Sport von großer Bedeutung war.
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