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Spielplatz (7): im WeekendFliegersonnenbrille gegen Kunststoffsonnenbrille

Auf dem Dach des Weekend schaut die taz die EM-Begegnung Spanien-Schweden. Die Terrasse wird für das Spiel zum Kulminationspunkt der kulturellen Vielfalt Berlins.

Egal, welche Fußballmannschaften gegeneinander spielen, hier auf dem einzigen Kreuzfahrer-Deck Berlins wird immer gelten: eins zu null für Ricardo. Wenn das weltverspulteste Techno-Genie Ricardo Villalobos auf der Dachterrasse des Clubs "Weekend" am Alexanderplatz auflegt, strömen die Münchner Style-Druffis herbei, die ihre Sonnenbrillen tragen, als hätten sie unten ihr Cabrio geparkt. Das lassen sie natürlich längst in München, weil sie begriffen haben, dass in Berlin jeder eh nur denken würde, es sei ein Mietwagen übers Wochenende und man würde zu der Gruppe der Singles gehören, die immer noch nicht auf den Trichter gekommen ist, dass man statt eines Cabrios einen Kinderwagen mieten muss, wenn man kein zurückgebliebener Chauvi sein will.

Normalerweise sind im Weekend die Münchner unter sich mit den paar Berlinern, die sich auch eine Handtasche leisten können - und wollen. Aber wenn das Spiel Schweden gegen Spanien auf den Fernsehern läuft, ist die Kolonialisierung Berlins perfekt. Schweden und Spanier halten Berlin von Norden und Süden im Klammergriff. Die Skandinavier machen sich im privaten Raum breit, die Spanier im öffentlichen. Während die Spanier den Straßen und Plätzen ihr verquatschtes Schlurftempo aufdrücken, kaufen die Schweden im Stillen die Wohnungen unter den Berliner Ärschen weg. Die entnervten schwedischen Eltern quartieren dann ihre Gören ein, damit sie sich hier die Hörner abstoßen. Berlin als Sommerlager.

Das Weekend ist normalerweise für die Schweden nicht hip genug, zu viel Fliegersonnenbrillen, zu wenig bunte Kunststoffsonnenbrillen. Und für die Spanier ist es zu teuer. Nur die Münchner freuen sich über den niedrigen Bierpreis von drei Euro fünfzig und die Berliner knobeln Tricks aus, wie sie ihr Sternburger reinschmuggeln können.

Beim Spiel Schweden - Spanien ist das Weekend der absolute Kulminationspunkt der kulturellen Vielfalt Berlins. Das ganze Reibungspotenzial - Fliegersonnenbrille gegen Kunststoffsonnenbrille, drei Euro fünfzig gegen 70 Cent - löst sich harmonietrunken unter der Herrschaft des einen großen weltkulturellen Amalgams auf: nein, nicht Fußball, ihr EM-Scheuklappenträger. Der Technobeat ist es.

Denn: Für das Spiel interessiert sich niemand, sondern nur dafür, ob man doch mal die Fliegersonnenbrille gegen eine bunte Kunststoffsonnenbrille austauschen sollte. Die niedrigen, holzverschalten Fernsehmonitore (großes Lob an den Innenarchitekten!) werden als Sitzbänke benutzt, bis das Sicherheitspersonal unerschütterlich freundlich zum 100. Mal darauf hinweist, man sitze auf empfindlicher Technik. Dann nehmen die Marken-Raver ihre Brille ab und gucken zwischen ihren Beinen durch: "Huch, da läuft ja wirklich was?", und taumeln zurück in Ricardos Beat, während nur knapp verständlich aus dem Fernseher schallt: "Golpeo la bola con el pie en sus bolas."

Die alte Punk-Weisheit "Deutschland muss sterben, damit wir leben können" ist in Berlin ein Stück weit angekommen, frohlocke ich, als ich in meinen spanischen Victoria-Leinensneakern und meinem schwedischen Whyred-Hemd (das mit dem College-Kragen und der verdeckten Knopfleiste) auf den Fahrstuhl nach unten warte.

Wer einen Kessel voll Buntes und ein Schiff voller Narren sucht, ist auf dem Weekend-Dach richtig. Wer Fußball gucken will, nicht. Aber wer will schon Fußball gucken? Das ist ja fast so zurückgeblieben chauvi, wie ein Cabrio zu mieten.

Weekend Dach, Alexanderstraße 7, 5 Euro Eintritt, große Leinwand im 15. Stock, TV-Monitore auf der Terrasse

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