Spielfilm „Erde und Tschüss!“: Radikal inklusiv

Im inklusiven Bremer Film „Erde und Tschüss!“ richtet sich die Story nach den Rollenwünschen der Beteiligten. Das funktioniert erstaunlich gut.

Zwei Menschen gehen auf einer Bremer Straße. Einer trägt einen Astronautenanzug.

Wer du bist, entscheidest du selbst. Wenigstens im inklusiven Film Foto: Compagnon Cooperation inklusiver Film

Die eine würde gern eine Astronautin spielen, die andere eine Ministerin. Der eine wäre gern der Trainer eines Bremer Fußballklubs, der andere Buchhändler. Normalerweise interessieren solche Rollenwünsche von Dar­stel­le­r*in­nen bei einer Filmproduktion wenig. Erst wird die Geschichte geschrieben und dann die entsprechenden Rollen besetzt – so geht das. Außer man nimmt den Anspruch, einen inklusiven Spielfilm zu machen, wirklich ernst und hinterfragt dabei radikal jeden Produktionsschritt.

Dies hat Jürgen J. Köster von der „compagnon cooperation inklusiver film“ auch tatsächlich getan, als er zusammen mit dem Verein Martins­club in Bremen solch einen Film drehen wollte, in dem Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen gleichberechtigt miteinander arbeiten konnten. Da stand nun vor dem Drehbuch die Gruppe.

In einem Workshop fragte Köster all jene, die gern in diesem Film mitspielen wollten, wer sie denn darin gern wären. Und welche Art von Film sie alle gemeinsam dann schließlich machen wollten. Dann setzte er sich hin und schrieb das Drehbuch für einen Thriller, in dem es eine Astronautin, eine Ministerin, einen Bremer Fußballtrainer, einen Buchhändler sowie eine ganze Reihe von Detektiv*innen, Po­li­zis­t*in­nen und Ge­heim­dienst­le­r*in­nen gibt.

Da ist viel Kombinationsgabe gefragt und so beginnt „Erde und Tschüss!“, der Film, den dieses Bremer Filmkollektiv schließlich nach zwei Jahren fertigstellte, mit einer eher grob gestrickten und nicht sehr wahrscheinlichen Prämisse.

Die Astronautin hat herausgefunden, dass die Erde nicht mehr zu retten ist und sich die Mächtigen Richtung Mars aus dem Staub machen wollen

Die Raumkapsel einer Astronautin stürzt über einem Buchladen ab, aber niemand merkt etwas davon. Nur die Astronautin wacht im Raumanzug mit geschlossenem Helm auf dem Sofa der Buchhandlung auf, wo ein netter Buchhändler sie entdeckt.

Schnell wird klar, dass die Astronautin von ­sinistren staatlichen Institutionen verfolgt wird. Ge­heim­dienst­le­r*in­nen machen sich im Auftrag einer Ministerin auf die Jagd nach ihr. Bald wird eine Gruppe, die der Astronautin helfen wird, und zu der eine berühmte Dudelsackspielerin und ja, auch der Fußballtrainer gehört, durch die ganze Stadt verfolgt und schließlich gefangen genommen.

Es wäre einfach, sich über solch eine hanebüchene Geschichte lustig zu machen, aber als Fundament dieser Art von Film funktioniert sie erstaunlich gut. Alle Darsteller*innen, von denen einige unterschiedliche Behinderungen haben, die aber im Film nicht thematisiert werden, spielen Rollen, die ihren eigenen Wünschen und Charaktereigenschaften nahe kommen.

Auf diese Weise können sie viel von der eigenen Persönlichkeit in die Rollen einfließen lassen und es entsteht kein Stress dadurch, dass sie sich vor der Kamera verstellen müssen. Es wird auch nicht zwischen Prot­ago­nis­t*in­nen und Ne­ben­dar­stel­le­r*in­nen unterschieden.

So demokratisch wie im Filmteam entschieden und die Aufgaben verteilt wurden, ist auch die Dramaturgie. Dass diese dann auch eine politische Botschaft hat, versteht sich fast von selbst. Die Astronautin hat herausgefunden, dass die Erde nicht mehr zu retten ist und dass die Mächtigen des Landes sich in Richtung Mars aus dem Staub machen wollen. Für einen großen Knall am Ende fehlte es an Mitteln, doch alle Guten segeln am Schluss die Weser hinunter zu einem Land, in dem noch alles gut sein soll und das die Astronautin aus dem Weltall entdeckt haben will.

„Erde und Tschüss!“, Regie: Jürgen J. Köster. Mit Isabel Gersiek, Josua Rückels, Ellen Stolte u. a., Deutschland 2021, 90 Minuten; www.martinsclub.de/erde-und-tschuess

Die beiden Bremer Schauspieler Manni Laudenbach und Mateng Pollkläsener haben kleine Gastauftritte, doch davon abgesehen waren sie die einzigen Profis beim Dreh neben dem Regisseur Jürgen J. Köster hinter der Kamera und den Mikrofonen. Später kam noch ein Coronabeauftragter dazu, denn die Produktion rauschte im letzten Jahr voll in die Coronakrise, wodurch unter anderem der gesamte Drehplan über den Haufen geworfen werden musste.

Diese Schwierigkeiten konnten dann aber bewältigt werden – wohl auch, weil das Engagement und die Begeisterung der Beteiligten wichtiger war als ein üppige Finanzierung. Mit einem Budget von knapp 40.000 Euro ist „Erde und Tschüss!“ offiziell kein Low-Budget-, sondern ein No-Budget-Film. Gefördert wurde er dann auch nicht etwa von der Filmförderungsanstalt von Bremen und Niedersachsen, Nordmedia, sondern von „Aktion Mensch“.

Für Jürgen J. Köster, der auch als Diplompädagoge arbeitet, war der Prozess des Filmemachens ebenso wichtig wie der fertige Film. Für fast alle Beteiligten war dies eine ganz neue Erfahrung und ein prägendes Erfolgserlebnis.

Jeder und jede nach ihren Möglichkeiten

Jeder und jede nach ihren Möglichkeiten ist das Grundprinzip dieser Arbeit, und so haben zwar viele im Laufe der Dreharbeiten etwas getan, dass sie sich selbst nie zugetraut hätten, aber es gab keinen Leistungsdruck.

Auch dass Köster kreative Entscheidungen, wenn möglich, der Gruppe überließ, dürfte das Selbstvertrauen von vielen bestärkt haben. Da wurde etwa eine einfachere Sprache eingefordert. Und der Schluss ist zwar dramaturgisch nicht unbedingt schlüssig, aber wer will schon seine Figur oder die von Mit­spie­le­r*in­nen sterben lassen – auch wenn es eine böse Ministerin ist?

„Erde und Tschüss!“ hat keinen Verleih, aber dies ist auch kein Film für eine übliche Kinoauswertung. In Bremen wird er am 3. Oktober um 17 Uhr im m/Centrum, Buntentorsteinweg 24/26, gezeigt. Und die DVD kostet 10 Euro und kann über die Mail-­Adresse m.kiy@martinsclub.de bestellt werden.

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