Sperrung des Trump-Accounts auf Twitter: Symbolische Notbremse
Twitter und Co haben das Emanzipationspotenzial der Informationstechnologie verraten. 2021 könnte der Anfang vom Ende der IT-Monopolisten werden.
I st der Twitter-Bann von Donald Trump nun ein Sieg für die Demokratie, weil hier jemand gestoppt wurde, der wie eine irre Abrissbirne das Fundament einer gerechten Gesellschaft bedrohte? Oder ist diese allzu späte Entscheidung, die nun auch von Facebook vollzogen wurde, nachdem Trump die rechten Sturmtruppen bei ihrem tödlichen Marsch auf das Kapitol auch noch angespornt hatte, eine Niederlage für die Demokratie, weil hier die Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde?
Weder noch, würde ich sagen: Diese Entscheidung gegen Trump, von Opportunismus befeuert, zu einem Zeitpunkt, da die Macht dieses tech-getriebenen Humunculus rabiate Minusgrade erreicht, zeigt etwas ganz anderes – es ist höchste Zeit, sehr grundsätzlich über den Einfluss und vor allem über die Funktionsweise der Techmonopolisten wie Apple, Google, Facebook oder Twitter zu sprechen, denn nicht ihre willkürlichen Aktionen sind das Problem, das eigentliche Thema ist die politische Ökonomie ihres Geschäftsmodells und die daraus entstehende Gefahr für die Demokratie.
Oder anders: Wer Hass verkauft, wer durch von Algorithmen befeuerte und belohnte Aggressionen floriert, wer Suchmechanismen in gewalttätige Sprache verwandelt, wer auf die niederen Instinkte der Menschen setzt, während er zugleich die Utopie einer digital verbundenen Welt verkündet – der hat schon vor längerer Zeit das tatsächlich vorhandene Emanzipationspotenzial der technologischen Welt verraten. Die Ironie dieses Momentes, der die Allmacht von Monopolisten von Apple über Twitter und Facebook bis Youtube zeigt, ist dabei, dass 2021 sehr gut den Anfang des Endes von Big Tech markieren könnte.
Was also ist passiert? Zwei Männer, die nicht demokratisch gewählt wurden und nicht demokratisch kontrolliert werden, Jack Dorsey von Twitter und Mark Zuckerberg von Facebook, haben sich entschieden, in den demokratischen Prozess einzugreifen, den sie mit ihren Plattformen schon sehr viel länger, speziell aber in den vergangenen vier Jahren fast systematisch zerstört haben. Sie haben von der hetzerischen Show des Donald Trump profitiert, während sie jede Verantwortung für das verweigert haben, was durch Worte entstand, was auf diesen Plattformen begann, was schließlich am 6. Januar mit dem Sturm auf das Kapitol Realität wurde.
ist taz-Kolumnist und Chefredakteur von „The New Institute“. Gerade ist sein Buch „Blogdown. Notizen zur Krise“ mit Zeichnungen von Philip Grözinger im Frohmann Verlag erschienen.
Oder auch schon viel länger. Denn rassistische, trans- oder frauenfeindliche Mobs gab es schon lange auf diesen Plattformen, sie wurden geduldet oder mehr noch, die Plattformen belohnten den Hass, indem sie spalterische Inhalte immer mehr empfahlen, und wurden zu Beschleunigern des Hasses. Für Youtube etwa ist dieser Prozess sehr gut beschrieben. Es ist dabei, und das ist in diesem Moment der oft etwas selbstgefälligen Regression wichtig zu sagen, nicht die Technologie selbst, die den Extremismus anfacht – es sind konkrete Entscheidungen darüber, nach welchen Kriterien diese Technologie funktioniert, wer sie kontrolliert, wie offen und damit demokratisch sie ist, in wessen Besitz sie ist; oder eben nicht.
Informationstechnologie ist öffentliche Infrastruktur, sagen progressive Technolog*innen wie Francesca Bria – Informationstechnologie ist ein demokratisches Gut, weil sie den freien Fluss von Informationen und Kommunikation ermöglicht, und darf nicht monopolistischen Privatinteressen ausgesetzt sein.
Genau das aber ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geschehen – wobei in Europa und mehr und mehr auch in den USA Teile der Politik aufwachen und versuchen, die ordnungspolitischen Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Die US-Demokraten etwa haben schon vor der Wahl von Joe Biden die Diskussionen über Regulierung oder Zerschlagung von Konzernen wie Facebook begonnen – umso anbiedernder wirken nun die späten Sperren.
Es scheint klar, dass sich etwas ändern wird, ändern muss. Den in Facebook-Gruppen und auf anderen Plattformen organisierten Sturm auf das Kapitol nannte Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, das „9/11 der sozialen Medien“ – und die Folgen werden weitreichend sein. Zum einen gibt es in den USA bereits eine rasante Zersplitterung der extremistischen rechten Diskurse, die sich auf andere Plattformen wie Parler oder Gab verteilen, die zum Teil auch wieder von Techmonopolisten wie Apple benachteiligt werden, indem etwa die Apps aus dem App-Store verschwinden. Die Echokammern, so schreibt Ethan Zuckerman, werden immer kleiner und radikaler; er nennt das – mit Verweis auf die „Alt-Right“ – „Alt-Tech“.
Trumps Twitter-Verbot ist damit nur ein holpriger Zwischenschritt, eine symbolische Notbremse – und verweist auf ein Strukturproblem der technologischen Demokratie, das eben etwas anderes ist als ein Eingriff in die Meinungsfreiheit eines einzelnen Politikers, der seine Macht durch die Mechanismen genau dieser Plattformen überhaupt erst in diesem Maß bekommen hat. Dieses Problem ist vielen wohl erst in diesen Tagen in seiner vollen Tragweite bewusst geworden – und Regulierung kann nur ein erster Versuch sein, Technologie umfassend zu demokratisieren.
Langfristig wird es auf andere Eigentumsmodelle ankommen, offenen Zugang zu den technologischen Grundlagen der digitalen Infrastruktur, eine Neudefinition von demokratischer Öffentlichkeit jenseits der Techmonopolisten und auch jenseits der etablierten Medien. Das Neue nimmt gerade Gestalt an, und wie immer ist diese Übergangszeit disruptiv, potenziell gefährlich und gewalttätig
Eines ist dabei wichtig zu sagen: Twitter etwa ist nicht für die Realität verantwortlich, die hier oft auf pointilistische Art verzerrt wird – und umgekehrt besteht die Möglichkeit von Diskursen, die jenseits der etablierten Medien- und damit Machtkanäle stattfinden, reale Machtverhältnisse zu verändern.
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