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Sperrung auf der StadtautobahnAuch wenn’s juckt: Jetzt bitte keine Schadenfreude

Kommentar von Stefan Alberti

Die Brückenschäden könnten jahrelang für Mega-Staus sorgen. Warum deshalb nicht bis zu einem Neubau dort nur Notdienste und Handwerker fahren lassen?

Die Sperrung der Ringbahnbrücke wird offenbar auf Jahre für Staus an der und auf der Stadtautobahn sorgen Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Z ugegeben: Ein bisschen Schadenfreude kann angesichts der Mittwochabend verfügten Sperrung der Brücke der Stadt­autobahn im Westen Berlins schon aufkommen – falls man oder frau in Berlin mit dem Rad unterwegs ist. Sollen sie doch in ihrem Stau stehen – von 50 Minuten und mehr war am Donnerstagmorgen die Rede.

Sind sie es doch, die einen schneiden, abdrängen, anhupen, beleidigen. Die oft allein in einem fünf Meter langen und fast zwei Meter breiten SUV sitzen und damit rund zehn Quadratmeter Straßenfläche einnehmen. Die auf einer Autobahn unterwegs sind, neben der von Neukölln bis Charlottenburg fast durchgehend die S-Bahn parallel fährt.

All das wäre durchaus jeweils ein Grund, nicht allzu viel Mitgefühl mit denen zu haben, die künftig und offenbar mindestens die kommenden zwei Jahre einen noch größeren Teil ihres Lebens im Stau auf der A 100 verbringen werden. Und doch ist diese Betrachtung zu schlicht.

Ja, da stehen eine Menge Leute im Stau, die dort nicht stehen müssten – weil sie nichts Schweres zu transportieren und eine gute ÖPNV-Anbindung haben. Aber da sind künftig auch jene ausgebremst, ohne die es in Berlin nicht läuft: Polizei, Rettungsdienst und all die vielen Handwerker, die ihr Material und Werkzeug, selbst wenn sie es wollten, tatsächlich nicht mit der S-Bahn von A nach B schaffen können. Für die Berliner Wirtschaft ist die Sperrung, wie es ihr Spitzenverband UVB ausdrückt, „eine Vollkatastrophe“.

Am Geld kann es nicht scheitern

Zur Erinnerung: Wegen eines sich ausbreitenden Risses im Tragwerk der sogenannten Ringbahnbrücke hatte die bundeseigene Autobahn-Gesellschaft die Brücke am Mittwochabend auf unabsehbare Zeit gesperrt. Sie gehört zum Autobahndreieck Funkturm, auf dem das täglich um die 230.000 Autos unterwegs sind.

An einer Sanierung, genauer: einem Neubau, führt also nichts vorbei. Und das möglichst schnell. Am Geld kann das dank des gerade beschlossenen, hunderte Milliarden schweren Sondervermögens für die Infrastruktur kaum scheitern – an langwieriger Bürokratie hingegen sehr wohl. Da sind Senat und Autobahn GmbH gefragt, sämtliche behördeninternen Tempolimits aufzuheben.

Für den Übergang aber ist zu überlegen, ob der Notbetrieb auf den verbleibenden wenigen Spuren nicht den Genannten vorbehalten bleiben soll, um die schneller durchkommen zu lassen: Lieferwagen – aber nur die, die in Berlin auch zu tun haben, nicht etwa Durchgangsverkehr – Handwerker, Taxis, Pflege- und Notdienste und die Polizei.

Schon klar, dass nun die Entgegnung kommt: zu großer Verwaltungsaufwand. Wie soll sich kontrollieren lassen, ob jemand aus Bequemlichkeit oder aus erlaubtem Grund unterwegs ist? Mag sein. Ob das wirklich so ist, wäre aber zu prüfen. Ist das so viel anders beim Gebotsschild „Nur für Anlieger“? Mit Stichproben und spürbar hohen Bußgeldern wäre das denkbar.

Hoffnung auf Umsteiger zur S-Bahn

Vielleicht kommt dann doch mal jemand auf die Idee, auf die S-Bahn umzusteigen. Auch hier ist klar: Passt nicht für jeden und jede, aber eben für manche. Dafür muss die Bahn aber auch künftig fahren – die Grünen im Abgeordnetenhaus machten sich am Donnerstag nicht zu Unrecht Sorgen, dass die längst überfällige Ausschreibung für neue S-Bahn-Wagen sich noch weiter verzögert.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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10 Kommentare

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  • Und was ist jetzt der Grund dafür, warum ich meine Schadenfreude zügeln sollte? Dass da Menschen, die wirklich die Strecke fahren müssen, nicht durchkommen? Wofür Sie dann gleich selbst eine wunderbare Lösung liefern?

    Nee nee, ich freue mich. Zutiefst. Ich würde eher versuchen, den Neubau weiter zu verzögern. Diese Gesellschaft bekommt jetzt endlich die Rechnungen aufgetischt für ihr Verhalten der letzten Jahrzehnte. Es beginnt jetzt langsam. Ich liebe es.

    Früher dachte ich ja auch noch, dass Menschen aus so etwas dann lernen. Ihr Verhalten reflektieren, anpassen ... Völlige Illusion. Das wird alles so weitergehen, macht euch keine Hoffnung mehr.

    Aber eines lasse ich mir nicht nehmen, ausreden oder vermiesen: meine Schadenfreude. Darüber dass hier genau die richtigen jetzt hoffentlich sehr lange leiden. Darüber, dass das Leben am Ende doch häufig fair ist und Menschen das bekommen, das sie verdienen. Nämlich die Konsequenzen aus ihrem Verhalten. Als Individuum. Oder wie hier als Gesellschaft. Mehr davon.

    • @Kleber Support:

      Böse und ohne Zuversicht, aber ich kann nicht nicht zustimmen, leider.

  • Die Bürokratie ist doch nur einer von vielen Faktoren. Das ist Berlin - irgend jemand wird schon gegen die Pläne klagen, mit aufschiebender Wirkung über Jahre.

  • da ich die letzte zeit täglich einen freund (über 80 j) die strecke zur strahlen-krebs behandlung gefahren habe und er weiterhin dahin muss, darf das jeder verinnerlichen falls schadenfreude aufkommt.



    ganz ehrlich, streikt der ÖPVN geht es mit einschränkungen weiter, sogar wenn eine der wichtigsten verkehrsadern in berlin gleichzeitig ausfällt. streikt der MIV (was wohl nicht passiert) würde der ÖPVN zusammenbrechen. ÖPNV und MIV ergänzen sich, alle in die öffis und aufs rad sind momentan unrealistische träumerein.

    • @alterverwalter:

      Das ist doch Unsinn. Was hier tagtäglich zusammenbricht, IST der MIV. Seitenstraßen derart zugeparkt, dass weitere Autos steckenbleiben und alles blockieren, Dauerstau auf Hauptstraßen (Luft zum Atmen eigentlich zu schlecht, nebenbei bemerkt).

  • Mal eine Frage, da ich vom Land komme wo es sowas nicht gibt: Hätten denn die S-Bahn und die Busse überhaupt die Kapazitäten, die zusätzlichen Menschen zu transportieren?

    • @Micha.Khn:

      Das ist relativ einfach. Da wir die letzten Jahre nichts dafür getan haben, geht das natürlich nicht von heute auf morgen. Man hätte das natürlich tun können, dann wäre es kein Problem. Tatsächlich ist die BVG gerade in einem grausigen Zustand. Wieviele Züge fahren noch? 80%? Es ist permanent überfült. Auch mitten am Tag. Ein Grund, warum ich Berlin sehr bald verlassen werde.

      Und wer in Berlin privat ein Auto besitzt oder fährt, hat in 9 von 10 Fällen doch ehh was falsch gemacht im Leben. Und es nicht anders verdient, dass er jeden Tag 3-4 Stunden im Auto zubringt.

      • @Kleber Support:

        Ich würde es weiter fassen. Wer in Berlin wohnt, der hat etwas falsch gemacht im Leben.

    • @Micha.Khn:

      schon auf dem foto im artikel sind mindestens 9 firmenfahrzeuge zu erkennen, die alle mit material und werkzeug in die s-bahn wäre spannend.

  • Völlig unpraktikabel. Entweder ist die Brücke geöffnet, oder sie ist geschlossen. Es gibt unzählige Beispiele, wo selbst bauliche Trenneinrichtungen nicht geholfen haben, sondern ignoriert wurden. Selbst dann, wenn Schäden an den Fahrzeugen dabei entstehen.



    PS: All das bashing vorne weg kann man sich auch sparen. Billige Polemik. Ich persönlich kann mich, wenn ich auf dem Rad sitze, auch regelmäßig über Autofahrer und ihr Verhalten aufregen. Sitze ich im Auto, geht es mir so mit den Eadfahrern, die sich an nix halten. So ist eben der Mensch. Wer aber immer nur auf dem Rad sitzt, der hat eine enge Weitsicht. Ich empfehle, ab und zu die Perpektive real zu wechseln. Im Verkehr und auch sonst.