: Spenderorgane dank Todesstrafe in China
Menschenrechtsorganisationen werfen Chinas Regierung vor, hingerichtete Gefangene als menschliche Ersatzteillager zu nutzen. Peking bestreitet dies und spricht von seltenen Einzelfällen mit Einwilligung der Betroffenen ■ Von Sven Hansen
Berlin (taz) – Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen werden in China jährlich 4.000 bis 6.100 Gefangene hingerichtet – soviel wie in keinem anderen Land der Welt. In der Volksrepublik gilt die Todesstrafe für über 60 Delikte, darunter auch für gewaltlose Straftaten und Wirtschaftsverbrechen wie „Spekulation“ und „Bestechung“. In Ermangelung eines freiwilligen Organspendersystems in China bilden die „frischen“ Leichname hingerichteter Gefangener die Hauptquelle für Organe, behaupten Menschenrechtsorganisationen und chinesische Dissidenten seit Jahren.
Wo es wie in China schon religiös-kulturelle Vorbehalte gegen das Spenden von Blut gibt, sind freiwillige Organspenden erst recht selten. Viele Chinesen befürchten, eine Organentnahme könne die Unversehrtheit des Verstorbenen im Jenseits beeinträchtigen und den Weg zu den Ahnen versperren. Die Zahl der Nierentransplantationen in China wird in Fachpublikationen auf mindestens 2.300 im Jahr geschätzt. Gleichzeitig sterben jährlich 120.000 Menschen in China an Nierenversagen.
1993 berichtete amnesty international erstmals über die Praxis der Organentnahme bei hingerichteten Gefangenen und forderte die chinesische Regierung auf, dies zu unterbinden. Laut amnesty sei die Mindestvoraussetzung eine freiwillige und bewußte Entscheidung des zum Tode verurteilten Spenders. Doch sei dies in China kaum vorstellbar. Informanten von amnesty, meist Beteiligte aus dem Sicherheitsbereich oder medizinisches Personal, bezeichneten die Organentnahme nach Exekutionen als „Routinesache“.
1993 räumte Chinas Regierung vor einem UN-Ausschuß erstmals ein, daß Organe von Hingerichteten für Transplantationen entnommen wurden. Dies geschehe aber nur selten und „mit Einwilligung der Betroffenen“, hieß es. Tatsache ist, daß es für Organentnahmen bereits seit 1984 staatliche Vorschriften in China gibt. Diese machen zur Bedingung, daß niemand die Herausgabe des Leichnams fordert oder der Todeskandidat oder seine Familie der Organentnahme zustimmt. Desweiteren ist die strenge Geheimhaltung der Organentnahme vorgeschrieben. Dies berücksichtigt die religiös- kulturellen Vorbehalte, ermöglicht aber auch Verstöße gegen die medizinische Ethik und die Menschenrechte.
Laut amnesty werden die Gefangenen nur selten um Zustimmung zur Organentnahme gebeten. Auch würden die dazu notwendigen medizinischen Untersuchungen erfolgen, ohne daß die Gefangenen die Gründe dafür erfahren. Schon bei der Hinrichtung werde auf die spätere Verwendbarkeit der Organe geachtet. So würde statt des vorgeschriebenen Genickschusses der Schuß ins Herz erfolgen, wenn die Augenhornhäute des Hingerichteten entnommen werden sollen.
Im Juni 1996 berichtete der Arzt Zhou Wei Cheng vor einem Ausschuß des US-Kongresses, daß es sogar Anweisungen gebe, bei Hinrichtungen so zu schießen, daß nicht getötet, sondern zum Schutz der Organe nur ein Koma erreicht werde. Der Arzt Qian Xiao Jiang berichtete in derselben Anhörung von einem Fall, bei dem der Hingerichtete bei der Organentnahme noch gezittert und sein Puls geschlagen habe.
Laut amnesty besteht auch die Möglichkeit, daß Hinrichtungen entsprechend dem Bedarf an Transplantationsorganen angesetzt würden. Dafür spreche die enge Zusammenarbeit zwischen Gerichten, Behörden und Krankenhäusern bei der Zuteilung von Transplantationsorganen und der Umstand, daß Organtransplantationen eine Einkommensquelle für Krankenhäuser darstellen. Auch gebe es Berichte, daß Beamte, die an Hinrichtungen beteiligt sind, „Geschenke“ erhalten. Zahlungskräftige Patienten aus Hongkong, Taiwan, Singapur und anderen Ländern der Region reisen regelmäßig nach China, um an Spenderorgane zu gelangen.
Nachdem im Oktober 1997 ein Dokumentarfilm der US-Fernsehgesellschaft ABC erneut über derlei Geschäfte berichtet hatte, bezeichnete Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua dies als „pure Erfindung“. Sollte sich der Verdacht gegen die beiden am Freitag in New York verhafteten Chinesen bestätigen, denen der versuchte Handel mit Organen Exekutierter vorgeworfen wird, wäre das Gegenteil erstmals gerichtlich erwiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen