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Spaßbad in den NiederlandenSofteis-Serpentinen in den Tropen

Andere sind in den Ferien nach Hawaii oder Schweden oder an die Nordsee gefahren. Wir fuhren in einen Center Parc. Ein spätes Bekenntnis.

In der Grotte mit warmem Wasser Foto: Imago/Jochen Tack

Meine Antwort auf die Urlaubsfrage hing davon ab, wer der Fragesteller war. Schulfreunde: „Holland!“ Meine Freundin außerhalb des Gymnasiums, Großeltern und die Kusine erfuhren, was mir irgendwann peinlich geworden war, obwohl ich es selbst abgöttisch liebte: „Wir fahren in einen Center Parc.“

Der Traum meiner kleinbürgerlichen Kindheit. Fünf Tage lang hatte man hier alles, was man sonst anderen neidete oder was in anderer Hinsicht als ultimativer Luxus, als Entschädigung für die üblichen Entbehrungen herhalten konnte: ein überdimensioniertes Schwimmbad im 80er-Jahre-Chic mit weißen Fliesen und Glaskuppel, abends mit verwunschen anmutender Unterwasserbeleuchtung, seitlich gruppieren sich gepflegte Palmenfarne.

Später besuchten wir noch aufregendere Versionen: Mit Kräuterbädern, versunkenen Schiffen oder Wildwasserkanälen, an deren Betonhindernissen man sich blaue Flecken holte. Unter dem Riesendom, von dem ein Freund bis vor Kurzem geglaubt hatte, er umfasse Ecosphere-mäßig das gesamte Parkareal inklusive Fe­rien­häuser und Grünflächen, verbrachte man ein übriges Drittel der freien Zeit: Sachen angucken, in subtropischer Feuchtigkeit herumfliegende Vögel beobachten, einen dieser wohlriechenden holländischen Parksupermärkte besuchen, abends essen gehen.

Dazwischen: ein eigenes Haus bewohnen, ganz niederländisch-protestantisch nur mit dem Nötigsten ausgestattet, aber dafür einschließlich Kamin. Perverse Symbiose aus Luxus und Bescheidenheit! Während man sich an anderen Orten mühsam eingewöhnen musste, was mir als Kind geografisch und interieurstechnisch recht schwerfiel, war man bei Center Parcs gleich zu Hause. Und dann zwischen zehntausend Stunden im Wellenbad dreißig Softeis mit holländischem Streusel oder Krokant.

Der Blick zurück

Anderthalb Jahrzehnte später, an der Kunstakademie, kam das guilty pleasure zurück: Es war die Zeit, in der Fotokünstler Bildbände von gigantischen Freizeitanlagen herausbrachten, die Bildsprache nüchtern bis spöttisch, und es war, kurz bevor XXL-Schwimmbadvarianten wie die damals brandneuen „Tropical Islands“ als eine Art Freakshow besucht und anschließend mitsamt den Besuchern in einem süffisanten ­Reisebericht verhandelt wurden.

Eine Weile beschäftigte ich mich wieder mit der Center Parcs-Ästhetik, machte die damals obligaten gecrossten Dia-Farbfotos. Eine Technik, die damals schon nicht originell war, aber in Analog immer noch Millionen Mal mehr Mystik und Anmut verströmte als jeder Viscocam-Filter: verwunschene Lagunen und beleuchtete Flecken Wasser, der hölzerne Aquadom, der das beschauliche Paradies zusammenhielt. Der Blick zurück.

Gerade der Zuckerguss aber war für mich viel eher sexy als jedes Schwedenhaus und jeder Fahrradurlaub in Frankreich oder Italien

Nun also ein Text über einen Ort, über den vermutlich niemand etwas lesen will, jedenfalls keinen emphatischen, weil deutsche Arbeiter- und Kleinbürgerästhetik eben nicht besonders sexy ist. „Aber du bist doch gar kein Arbeiterkind!“, wirft die Mama ein. Sie ist es schon. Ihr Exmann auch, aber der ist Lehrer geworden. Deshalb erzählte ich ihm ungern von meinen Urlaubserlebnissen: Das kleinbürgerliche Elend jagte ihm Angst ein, zumindest aber missfiel der Look. Zu eng, zu Disney, zu gewollt. So ging es, nahm ich zumindest an, auch anderen. taz-Lesern. Mitschülern. Und so weiter.

Ob deren Ferienhaus- und Naturerlebnisurlaube tatsächlich teurer waren als der von meiner Mutter zusammengesparte Aufenthalt im Ferienpark, ist egal. Die Abgrenzung findet ja eh über Geschmack statt, nicht über Geld. Gerade der Zuckerguss war für mich viel eher sexy als jedes Schwedenhaus und jeden Fahrradurlaub in Frankreich oder Italien.

Ein Wald, eine Kuppel, ein Wellenbad! Überall der ­absolut müßige, aber einigermaßen liebevolle Versuch, dem Ganzen einen tropischen Anstrich zu verleihen: mit Malereien an den Wänden, „mediterranen“ Farben, üppigen Palmenbeeten, künstlichem Holzbrückchen über künstlichem Flüsschen, in dem eine Gruppe Koi-Karpfen schwimmen.

Hier schlägt Hollands Herz

Im Center Parc urlaubten neben uns Westfalen und Ruhrgebietlern sehr, sehr viele Holländer, das war eine ordentlich authentische Angelegenheit. Schon bemerkenswert, dass in diesem Flecken Land, etwas größer als NRW und etwas kleiner als Niedersachsen, noch heute neun oder zehn Center Parcs und noch mal eine ganze Menge Anlagen anderer Anbieter verstreut liegen: Ach Holland, hier schlägt also dein Herz, hier kann man deine Quintessenz erleben, ohne dass man die mit Maschendraht verhängten Parkgrenzen jemals wird überschreiten müssen!

Ist dieses Superschwimmbad das kesse Pardon dafür, dass es bei dir immerzu regnet, und sind die Supermarktzuckerstreusel, Pfannkuchenhäuschen und rausgequetschten Softeisserpentinen das riesengroße „Fuck you“ an alle, die immer von bewusster Ernährung faseln und dabei weder gesünder noch glücklicher ausschauen als deine Bewohner?

War das dein großes Reiseversprechen: Alles ganz familiär, wie dein Land selbst, und wenn die Realität zum Gott­erbarmen nervt, dann bauen wir uns eine eigene? Und ist es Zufall, dass der allererste Park, in dem ich je in Urlaub war, ausgerechnet in 5966 America liegt?

Eines meiner Lieblingsbilder aus dem Urlaub, geschossen von meiner Mutter, zeigt mich kurz vor der Einschulung im Versuch einer feierlichen Haltung, ­sichtlich stolz auf das nun bevorstehende Abendessen unter dem pseudotropischen Glasdom und sichtbar fein gemacht – an den Beinen meine schwarze Lieblingsjogginghose mit den pinken Akzenten. In einer ­zweiten Parkerinnerung taucht das Kleidungsstück als dunkler Gegenspieler auf: Dieses Zeug, das an Ballonseide erinnern soll, von edlem Glanz, und mit dem man damals noch so Dinge wie Blousons herstellte. Mein Onkel trug keine Ballonseide, seine lilafarbene Jogginghose war aus Polyester oder Acryl oder was immer man damals für Kleidungsstücke von Aldi verarbeitete, und sie glänzte um einiges zu stark.

Beginn der Scham

Auf dem Foto, das meine Kusine mir von wiederum ihrem letzten Center-Parcs-Urlaub zeigte, saß ihr Vater in dieser Hose vor dem steinernen Ferienbungalow. Das war der Beginn der Scham: der Blick von außen, die Jogginghose, damals noch nicht mit Hollywoodstars in UGG Boots vorm Whole Foods assoziiert, offen zur Schau getragen.

Für einen Augenblick war Ferienpark gleichbedeutend mit Unterschichtenurlaub, und die ganze heiße Begeisterung wurde durchkreuzt von den eigenen Vorurteilen und Abgrenzungswünschen, die man mit sich trägt. Bis die Scham für einige Jahre wieder von Wellenbad und Softeis fortgespült wurde.

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2 Kommentare

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  • Wunderschöner Bericht über eine Jugendliebe. Doch warum dieser Anflug von fremdschämen über ALDI-Klamotten und Ballonseide zum Schluß?

    • @Jürgen Matoni:

      Lieber Jürgen Matoni, weil es so gewesen ist. Und ich kein schämen für die Scham draus machen wollte, ergo: warum unter den Tisch damit, dass die Abgrenzungswünsche auch vor mir nicht halten. Herzliche Grüße, die Autorin.