piwik no script img

Spannungen zwischen Kenia und SomaliaPolitik der kollektiven Bestrafung

Aus Angst vor Terrorangriffen schottet sich die Regierung in Nairobi gegen den instabilen Nachbarn ab. Dieser fängt jetzt an, sich dagegen zu wehren.

In Nairobis Stadtviertel Eastleigh leben besonders viele Somalis. Foto: reuters

NAIROBI taz | Zwischen Somalia, einem Land ohne funktionierenden Staat, und Kenia, das Hunderttausende somalische Flüchtlinge aufgenommen hat, bahnt sich eine schwere Krise an. Grund ist die Entscheidung eines Gerichts in Somalias Hauptstadt Mogadischu, mehrere Dutzend Kenianer auszuweisen, die sich angeblich illegal in dem Land aufhalten.

Die 27 Kenianer seien nach Ablauf ihrer Visa in Somalia geblieben, so Richter Hashi Elmi Noor in seinem Urteil Anfang November. Sie sollten deportiert werden und müssen umgerechnet rund 10 Euro Strafe für jeden Tag ihres illegalen Aufenthalts zahlen. Es ist das erste Mal seit dem Zerfall Somalias vor 25 Jahren, dass Somalia Ausländer wegen Visa-Unregelmäßigkeiten ausweist.

Die Entscheidung, deren Umsetzung in den Sternen steht, sollte offiziell unter Beweis stellen, dass Somalia jetzt wieder funktionierende Institutionen hat. Mogadischu befindet sich im Bauboom, seit eine Übergangsregierung dort ihr Amt aufgenommen hat und die Stadt unter dem Schutz afrikanischer Eingreiftruppen halbwegs friedlich geworden ist. Dies lockt arbeitslose Migranten aus anderen Ländern an.

Aber tatsächlich, so meinen Beobachter, ist die Entscheidung eine Reaktion auf die oft brutale Art und Weise, mit der Kenias Polizei bei der Jagd auf mutmaßliche eingesickerte Kämpfer der somalischen islamistischen Terrormiliz al-Shabaab mit Somaliern umgeht. „Die Ausweisungsentscheidung mag gerechtfertigt sein, aber sie ist verdächtig, weil sie auf eine Serie von Verletzungen der Bürgerrechte von in Kenia lebenden Somaliern folgt“, sagt der kenianische Kommentator Anasi Obara.

Das sehr viel reichere Kenia erkennt seine somalische Minderheit nicht an

Shabaab-Angriffe in Kenia haben stark zugenommen, seit die kenianische Armee im Süden Somalias präsent ist und gegen Shabaab kämpft. Immer wieder folgen auf Anschläge Razzien und Massenfestnahmen in Eastleigh, einem Stadtteil der kenianischen Hauptstadt Nairobi, wo besonders viele Somalier leben. Vergangenes Jahr wurden 400 von ihnen in die somalische Hauptstadt Mogadischu deportiert; dies stieß auf Kritik bei Menschenrechtsorganisationen.

Die kenianische Regierung droht auch immer wieder damit, die rund 350.000 Somalia-Flüchtlinge, die im weltgrößten Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias leben, nach Hause zu schicken. Die kenianischen Behörden halten Dadaab für ein Rückzugsgebiet radikaler Islamisten.

Sperrmauer und Streit um Fisch und Öl

Kenia hat auch angekündigt, entlang seiner 700 Kilometer langen Wüstengrenze zu Somalia eine videoüberwachte Sperranlage aus Betonwällen, Gräben und Stracheldrahtzäunen zu bauen, um Terroristen fernzuhalten. Die Sperranlage wird sich vom Indischen Ozean bis zur Stadt Mandera am Dreiländereck Kenia-Somalia-Äthiopien erstrecken.

Außerdem streiten beide Länder um ihre Seegrenzen. Somalia hat vor dem Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag Klage gegen Kenia eingereicht, weil es die zwischen beiden Staaten umstrittenen an Fisch und Öl reichen Gewässer ausbeutet.

Das reiche Kenia

Nachdem Medien berichtet hatten, dass die kenianischen Truppen im Süden Somalias gemeinsam mit Shabaab-Milizen am Warenschmuggel Richtung Kenia verdienen, stimmte das Übergangsparlament in Mogadischu vergangene Woche für einen Abzug Kenias aus Somalia.

Der somalische Politikanalyst Abdi Sh-Ali Ahmed sieht das Grundproblem darin, dass das sehr viel reichere Kenia seine somalische Minderheit nicht anerkennt und auf Somalia herabblickt. „Die beiden Länder haben unterschiedliche Wertesysteme und politische Strukturen. Kenia betreibt eine Politik der kollektiven Bestrafung für alle mit somalischem Hintergrund, auch somalischstämmige Kenianer. Aber die Regierung verkennt die Auswirkungen dieser Politik. Somalia ist bereits ein gescheiterter Staat, und Kenia muss seinen Umgang mit dem Land überdenken, bevor es zu spät ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!