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Soziologin Sassen über Desintegration„Teilhabe war gestern“

Für die Soziologin Saskia Sassen erleben wir gerade eine beispiellose Desintegration. Immer mehr Menschen werden „ausgewiesen“.

Von so gut wie allem ausgeschlossen: Bettler in Athen. Bild: dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Frau Sassen, Ihrer Ansicht nach beschreibt der Begriff „Ausweisung“ so gut wie kein anderer unsere Gegenwart. Warum?

Saskia Sassen: Wenn ich von Ausweisung spreche, dann meine ich etwa die Bewohner der 13 Millionen Häuser, die seit 2006 in den USA zwangsversteigert wurden. Oder die Millionen, die in den USA im Gefängnis sitzen. Ich meine die verarmte Mittelschicht in Europa und die Milliarde Menschen, die in absoluter Armut leben.

Alles Dinge, die es schon lange gibt. Wo ist das Neue?

Nehmen wir Griechenland. Dort verlieren immer mehr Leute ihre Arbeit, immer mehr sind zu arm, um für ihre Kinder zu sorgen. Doch wenn man dort ist, sieht alles aus wie früher: Es gibt Bars, es gibt Restaurants, Büros, Leute mit Jobs. Doch verliert man den, ist man raus, wirklich raus. Das ist nicht einfach nur ein bisschen mehr Arbeitslosigkeit und Armut.

Sondern?

Die Ungleichheit wächst und wächst, und ab einem bestimmten Punkt ist die Veränderung ist so nachhaltig, dass wir es mit etwas Anderem zu tun haben: mit Ausweisung. Nehmen wir die Zwangsversteigerungen. Die gibt es schon, seit es Hypotheken gibt. Aber heute stehen ganze Stadtteile leer.

suhrkamp
Im Interview: Saskia Sassen

ist Professorin für Soziologie an der Columbia University, NY. International bekannt wurde sie mit ihrer Forschung zu Migration und „Global Cities“. Ihr letztes Buch: „Das Paradox des Nationalen“ (Suhrkamp).

Sie vergleichen die Lage von Beamten mit Lohneinbußen in Südeuropa mit der inhaftierter afroamerikanischer Jugendlicher und der von Landraub betroffener Kleinbauern in Afrika: Sie alle seien „ausgewiesen“. Tun Sie der Wirklichkeit nicht einen ziemlichen Zwang an?

Ich vergleiche nicht. Wenn wir alte Erklärungsmuster beibehalten, dann lassen sich diese Dinge nicht vergleichen. Ich frage, ob diese Erklärungsmuster geeignet sind, die tiefen Veränderungen zu beschreiben, die am Werk sind. Und meine Antwort lautet: Nein, sind sie nicht. Wenn es Brüche in der Verhältnissen gibt, braucht man neue Konzepte, um sie zu erkennen.

Und das ist Ihnen gelungen?

Als der Industriekapitalismus in England bereits zur dominanten Wirtschaftsweise aufgestiegen war, sah das Land im Großen und Ganzen noch aus wie vorher: ein Agrarland mit etwas Handel. Es gab weiter Landwirtschaft, aber die Schafe waren jetzt nicht mehr einfach Schafe, sondern Grundlage des Betriebs der Textilfabriken. Jetzt ist es ähnlich: An der Oberfläche sieht alles noch aus, wie vor 40 Jahren. Ist es aber nicht.

Für die Dinge, die Sie nennen, gibt es doch längst einen Begriff: sozialer Ausschluss.

Nein, den gibt es eben nicht. Was wir heute sehen, hat mit sozialem Ausschluss nichts zu tun. Die Grenze, die jemand überschreitet, der in Griechenland seinen Job und sein Haus verliert, ist eine neue Sorte von Grenze. Das nenne ich Ausweisung. Sozialer Ausschluss ist Diskriminierung, aber im Innern des Systems. Das ist schlimm, das gibt es weiter, aber was mich hier besorgt, ist etwas Neues. Es sind die Logiken der Ausweisung von Menschen aus traditionellen Ökonomien, von der Möglichkeit, ein Teil der neuen und alten Ordnung zu bleiben.

Was verbindet denn den griechischen Erwerbslosen mit dem geräumten US-Immobilienbesitzer?

Beide werden aus ihrem Lebensraum vertrieben. Dass es in Griechenland und Spanien inzwischen auch keinen Schutz mehr gibt gegen den totalen Abstieg, so wie in den USA.

Sie behaupten, nach dem 11. September habe die US-Regierung begonnen, die Bevölkerung derart exzessiv zu überwachen, dass sie aus der Sphäre der Bürger mit historisch gewachsenen Bürgerrechten in die „Sphäre der Verdächtigen ausgewiesen“ worden sei. Ist das nicht reichlich dick aufgetragen?

Natürlich gab es schon immer Überwachung, aber heute sehen wir ein transnationales System, von dem alle Demokratien ein Teil werden. In den USA gibt es 10.000 öffentliche Einrichtungen, die sich mit der Überwachung beschäftigen, und sie arbeiten mit den Engländern und den Deutschen et cetera zusammen. Es ist eine neue Art des Krieges, der diese Zustände geschaffen hat: Wenn der Feind ein anderer Staat ist, ist er sichtbar. Aber jetzt, wo der Bürger, der Immigrant, der Tourist ein Terrorist sein kann, existiert eine Vorstellung totaler Überwachung – auch deshalb, weil wir über die nötigen Technologien verfügen. Diese Logik der totalen Überwachung macht uns alle zu Verdächtigen.

Sie schreiben, in der Vergangenheit habe es „kleinere Verluste“ gegeben, jetzt komme es zur „massiven Ausweisung“. Romantisieren Sie nicht den Keynesianismus?

Es gab im Keynesianismus Ausbeutung, Rassismus und sozialen Ausschluss, aber in der Tendenz wuchs die Zahl der Integrierten: Die wohlhabende Arbeiterklasse und die wohlhabende Mittelklasse wurden größer. Das geschah nicht, weil das System nett war, sondern weil die Wachstumsdynamik nach immer mehr von allem verlangt hat. Das Ergebnis: Es gab zunehmend Menschen mit Haus, Bildung, Pensionen, mit Teilhabe. Heute ist die Tendenz andersherum.

Wandert die Dritte Welt in den Norden?

Zwischen 1985 und 1995 hat der Internationale Währungsfonds in über 70 Krisen interveniert, die Gewerkschaften in die Schranken gewiesen, Löhne gedrückt, den öffentlichen Sektor ausgedünnt. Die Ökonomien wurden „gesundgeschrumpft“. Doch bei diesen „Schrumpfungen“ fliegen die Leute raus, von denen man glaubt, sie nicht zu brauchen. Es ist eine Ausweisung, eine wirtschaftliche Säuberung. Seit dem letzten Jahrzehnt gibt es dies auch im globalen Norden. Die Krise von 2008 wurde dazu benutzt, Sozialleistungen zu kürzen. Das sieht man besonders extrem in Spanien und Griechenland. Die griechischen Banken wurden gerettet, die Wirtschaft geschrumpft, die Leute flogen raus.

Sie nennen das die „aktive Herstellung einer Überschussbevölkerung“. Soll das heißen, dass dies mit Absicht geschieht?

Nein, nicht absichtlich. Es ist eine systeme Tendenz. Man braucht keine Verschwörung, keine Zirkel, die Entscheidungen treffen. Die Dinge entwickeln sich in diese Richtung. Im Keynesianismus ging es in Richtung mehr Integration, jetzt drehen sich die Zeiger der Uhr rückwärts.

Haben diese Veränderungen etwas mit fallenden Profitraten zu tun?

Das ist eine sehr marxistische Vorstellung. Die Ausweisungen haben nicht mit der Profitrate in einem mechanischen Sinn zu tun. Eine Bergbaufirma vergiftet eine ganze Region innerhalb von zehn Jahren Abbau so, dass die Leute dort umgesiedelt werden müssten. Das passiert aber nicht, weil die Profitrate gefallen wäre, sondern weil diese Leute egal sind. Wenn sie sterben, dann sagen die Verantwortlichen: „Oh, das müsste unseretwegen nicht sein.“ Und machen einfach weiter

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30 Kommentare

 / 
  • G
    Gentrification

    Der Tourist ist immer auch Terrorist.

  • A
    Ant-iPod

    Was ich bei der ganzen Geschichte sehr schlimm finde ist, dass uns die Analyse eigentlich allen klar ist... aber was unternehmen wir deswegen?

     

    Erschreckender fast noch ist, dass die noch verbliebene "Mittelschicht" nicht etwa dazu beiträgt, die perverse Kapitalakkumulation bei wenigen Individuen anzuprangern, sondern stattdessen die "faulen Sozialschmarotzer" als Feindbild ausgemacht haben, gegen die man sich abgrenzen müsse... damit man nur ja nicht selbst "ausgewiesen" wird.... dabei entsteht die Illusion, man könne durch eigenes Handeln darüber zumindest Mitentscheiden.

     

    Dem ist aber nicht so - die Entscheidung, wer dazugehört und wer nicht wird, wenngleich nicht persönlich und individuell, sondern systemisch, von einigen wenigen und keineswegs demokratisch getroffen.

     

    Ein Beispiel:

    das deutsche Defizit beträgt insgesamt ca. 2,1 Billionen Euro - dem gegenüber stehen Privatvermögen von ca. 8 Billionen Euro.

    Es wäre somit durchaus denkbar, das Defizit signifikant abzubauen und damit Staat, Land und Kommune wieder Handlungsspielraum zu ermöglichen und zusätzlich wieder mehr Bevölkerungsteile zu "integrieren" - aber es geschieht das Gegenteil.

     

    Genau diejenigen, die immer gegen die "Umverteilung" argumentieren, haben genau dies betrieben: Eine Umverteilung von unten nach oben.

    Immer mehr Sozialleistungen werden für das Individuum gekürzt, da es immer mehr Empfänger gibt und die Kosten aus dem Ruder gelaufen sind... aber warum?

    Immer mehr Reichtum sammelt sich bei immer weniger Menschen an... aber warum?

    Weil die Gesetze unseres Landes genau diese Entwicklung begünstigen.

     

    Zeit, dies zu ändern... dieses Jahr haben wir mal wieder die Wahl!

  • B
    bernardinho

    "...reichlich dick aufgetragen"? Mann, Christian, reichlich unschlau und vorfrech obendrein. Überflüssige Menschen ist das Thema. Im Klartext: Selektion findet statt. Diesmal nicht an der Rampe, wo die Opfer hingekarrt werden. Die Rampe kommt vor die Haustür. Oder an den Arbeitsplatz. Oder in Deine Straße. Oder auf Deine Wiese, in Deinen Wald. Oder wird an einer Grenze errichtet. Sie ist die Grenze, die "die guten ins Töpchen" von den "Bösen ins Kröpchen" trennt.

    Zu welchen möchtest Du gehören? Manche, mehr als sich alpträumen läßt, wünschen sich, zu den Selektieren zu gehören.

  • RB
    Rainer B.

    @Dr. rer. nat. Harald Wenk

     

    Jeder kann sich ja mal verschreiben. Ihre Beiträge sind aber oft leider nicht mehr lesbar, ohne einen Migräneanfall zu riskieren.

    Sieht Ihre Doktorarbeit auch so aus, oder schützen Sie sich mit Verschlüsselung vor Plagiatoren?

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    Es ist fast scjhon eine Kunst,aus deratig vielen industriellen Revolutionen mit ungehureem Anwachsen der Produkitivität soviel Elend sllbst in den Kernländern zu produzieren. Mehr recht kann die Realität Marx kaum geben. Der hat "entwickelten Industruerkapilismus" analysiert.

    Die Inetllektuellen, die deratig gedeckelt werden, hätten das "outen" müssen und die Brutalitäten so darsateklllen, dass kein "Entscheider" mehr irgendein Quentchen moralischer Glaubwürdigkeit hat. Die Intellektuellen können das abschätzen und sehen, der Rest kaum. Erst jetzt gibt es Massenintellektulle. Nach 250 000 Jahren Menschheit!!

    Das Ausmass der "Identifikation mit den Aggressoren" wird um Faktor über 1 Million unterschätzt!!!

  • L
    Lumpenbarbie

    @Holländer

     

    Ich kann mir die Unterscheidung nur so erklären, dass "Exkludierte" dies von Anbeginn sind, wohingegen "Vertriebene" bzw. "Ausgewiesene" (Danke für den Hinweis an den Autor!) ehemals inkludiert waren, ohne die Chance zukünftig wieder Teilhabe "im System" zu erlangen.

     

    Da ich die Werke von Frau Sassen nicht gelesen habe, kann ich hier nur spekulieren.

  • H
    Holländer

    von Lumpenbarbie:

     

    "Ich benutze den Begriff »Vertreibung« in Abgrenzung zu »Exklusion« und auch darüber hinaus. Exklusion ist eine bekannte und gut entwickelte Kategorie. Soziale Ausschließung findet innerhalb des Systems statt. Ich will mich dagegen mit denen beschäftigen, die aus dem System vertrieben werden"

     

    Ist dann der Unterschied zwischen Vertreibung und Exklusion nicht sehr willkürlich? Je nach Fragestellung, kann man die Systemgrenze wählen. Ob die Ausgrenzung innerhalb oder außerhalb des Systems stattfindet, wäre abhängig von dieser willkürlich gewählte Grenze.

  • E
    eMCe

    Als selbst betroffener, der sich gegen Miethaie ähnlich zu titulierende Arbeitgeber im prekären Sektor erwehren muss und dem längst keine gesellschaftliche Teilhabe mehr zusteht und dem das letzte stückchen Kuchen im Monat nun die GEZ wegnimmt, pflege eher die bezeichnung apartheid.

     

    Dieses Deutschland(bzw. die USA und die EU) ist ein Apartheids-Staat, es gibt alles mögliche....... für andere.

    Bestenfalls sieht man ein Theater oder Museum(oder Restaurant oder oder oder) noch von ihnen als "Diener".

  • DA
    Dr. Arbeitslos

    Auch in Deutschland werden immer mehr Menschen ausgeschlossen, was die Soziologin kurioserweise als "Ausweisung" bezeichnet. !2 Mio. Arme gibt es in Deutschland als Folge der rot-grünen Agenda-2010 Dumpiglohngesetze und der Armuts-Hartz-IV-Gesetze.

     

    Die Leute stehen massenhaft in den Armenküchen an, die beschönigend "Tafeln" genannt werden. Denn Löhne, Hartz-IV-Sätze und kleine Renten nach einem Niedriglohn-Arbeitsleben reichen nicht, um sich in Deutschland genug zu essen kaufen zu können !

     

    Arm sind auch viele Leute mit Hochschulabschluss oder handwerksmeisterInnen. Durch die prekäre Beschäftigung (Zeitarbeit), von der auch viele "Gebildete" betroffen sind. Die ZeitarbeitMinijobs und Leiharbeit wurden auch durch die rot-grüne Agenda 2010 in Deutschland ausgeweitet und etabliert. Diese unsicheren Arbeitsverhältnisse haben viel sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze laputt gemacht.

     

    Vielen Dank auch, SPD und B 90 / DIE GRÜNEN für eure arbeitnehmerInnenfeindliche Politik.

     

    Die einzigen, die man 2013 auf Bundesebene noch wählen kann, sind die von der Linkspartei. DIE LINKE ist als PArtei entstanden als Reaktion auf die unsoziale, neoliberale Politik von Rot- Grün von 1998-2005.

  • A
    Andreas

    Sehr guter volkswirtschaftlicher Beitrag! Danke! Es ist schon lange so, dass wir das System ändern müssen, nicht den Menschen, da es schon zu viele Systemkonforme gibt, die unwissentlich an der sozialen Misere mitarbeiten..spätestens seitdem die Beschriftung der Preisschilder von DM auf EUR vorgenommen wurde..

  • DE
    Dotas erschlossenem Land

    Völkerwanderungen sind nicht mehr möglich, alle Länder sind erschlossen, die Grenzen streng überwacht.

    Verbrennen kann das Kapital sie nicht mehr.

    Die armenpolitischen Bemühungen des 18/19. Jhrd. wurden demontiert.

    Das einzige was übrig bleibt ist die Ausgrenzung in dem Raum, in dem sie leben. Wird wohl auch der Sonderforschungsauftrag SFB700 feststellen und Drohnen werden Zivilisten militärisch ins Visier nehmen.

     

    Die juristische Person/Firma okkupiert die natürliche Person/Mensch, das Kapital herrscht mit Alleinstellungsmerkmal über alle Menschen.

    Wie sehr, kann an der überlebenslangen Steuernummer die frisch geborene Babys erhalten, erkannt werden aber auch daran, dass aus dem Gottesland USA Soldaten politisches Asyl in anderen Ländern suchen müssen.

    Die mediale Reaktion wäre mal interessant wenn islamische Staaten die Auslieferung ihrer "Straftäter" verlangen.

    Habeas corpus, deus lo vult.

    Jede Kultur, jeder Mensch wird den ungewollten Kampf gegen den Zinseszins verlieren.

    Der einzige Ausweg aus dieser kapitalen Blase dürfte die Verstaatlichen der Banken sein.

  • L
    Luise

    Das Bejammern dieser Phänomene, bei denen es nebensächlich ist, welche Begrifflichkeit nun die richtigere ist, ist das Eine, aber die Antwort auf die Frage nach dem 'Warum?" wird immer und immer wieder ausgeklammert; speziell auch in der linken Presse und gewiss auch in der taz. Denn die Antwort ist äußerst unbequem. Man müsste seine Grundüberzeugungen und die "Wahrheiten" der letzten 2 bis 3 Jahrzehnte in Frage stellen. Das Übel ist die Globalisierung; die Globalisierung im Ganzen; nicht nur ein paar Auswüchse, nicht nur die sogenannten Nachteile. Nein, die wirtschaftliche Globalisierung als Projekt des Großkapitals und flankierend die kulturelle Globalisierung als Projekt der Linken. Wenn man also will, ist das Übel ganz leicht zu benennen.

  • V
    vic

    "Aber jetzt, wo der Bürger, der Immigrant, der Tourist ein Terrorist sein kann, existiert eine Vorstellung totaler Überwachung – auch deshalb, weil wir über die nötigen Technologien verfügen"

     

    Das sollte uns zu denken geben.

     

    Dnke für diesen sehr guten Beitrag.

  • L
    @lef:

    Im Gegenteil:

    die wahren Anteile im von Ihnen so betitelten "Vulgärmarxismus" zu erkennen und danach zu handeln ist das einzige, was weiterhilft!

     

    Was die Welt braucht, sind nicht immer neue Theorien, sondern Menschen, die den Kern einer Sache erfassen und umsetzen.

  • RB
    Rainer B.

    Interessanter Artikel!

     

    Ist das, was Frau Sassen als 'Ausweisung' beschreibt, nicht eigentlich Folge global agierender organisierter Staatskriminalität?

     

    Die Endlichkeit der irdischen Ressourcen führt immer mehr zum gezielten Pokerspiel um Territorien und Wirtschaftsräumen.

    Kriege herkömmlicher Art sind ineffizient geworden, weil sie selbst mehr Ressourcen verschlingen als zu erobern wären.

     

    Der Mensch spielt in diesem Kalkül nur noch eine untergeordnete Rolle. War er nicht schon 'ausgewiesen' als das Spiel begann?

  • L
    lef

    @von Eine_r von Millionen:

    Vulgärmarxismus hilft nicht weiter!

    Krisen, Absatzprobleme, Fall der Profitrate gibt es in jedem Wirtschaftssystem, zwangsläufig.

     

    was in Industriestaaten passiert, ist nichts weiter als das Ende der Ausbeutung von Industriestaaten gegenüber Nichtindustriestaaten - die produzieren jetzt selbst.

    Das "Proletariat" der Industriestaaten, Menschen also, die vorher recht gut mit von dieser Ausbeutung gelebt haben, werden jetzt entweder überflüssig oder müssen ihren Lebensstandard auf den der Neuindustriestaaten reduzieren.

    Sie werden nicht "ausgewiesen" , sondern müssen z. B. Häuser verlassen, die sie sich nicht mehr leisten können. In Agrarstaaten werden Kleinbauern "ausgewiesen", weil deren Produktion anachronistisch ist.

    Irgendwann gleicht sich Alles an - dann lebt der chinesische Arbeiter nicht schlechter, als der europäische vorher besser, Alle produzieren wieder selbst (wenn es sinnvoll ist).

     

    Mit "Kapitalismus" hat das nur so viel zu tun, dass "Kapitalismus" die einzige funktionierende Wirtschaftsform ist - manchmal auch "kommunistisch" gefärbt.

  • HL
    Heike Lindenborn

    SCHREIBEN oder Diskutieren bringt kein nährendes Essen auf den Tisch!!!

  • L
    lostlyrics

    schade. ß:)

     

    wäre das wort "keynesianismus", d.h. ohne anführungsstriche, nicht so spät aufgetaucht, hätte es mir einige minuten des leidens über diesem vorvewrdauten betroffenheitsbrei erspart. - tip: nicht als doktorarbeit einreichen. :P

  • IN
    Ihr NameChristian Jakob

    @lumpenbarbie: Der Suhrkamp-Übersetzer, der die Sassen-Werke ins Deutsche übersetzt, hält "Ausweisung" für den angemesseneren Ausdruck als Vertreibung.

  • EV
    Eine_r von Millionen

    Die massive Überakkumulation von Kapital und der tendenzielle Fall der Profitraten mag zwar in den Augen einer Keynesianismus-Anhängerin, die mit aller Macht die Klassengesellschaft und die Unterwerfung der breiten Masse der Menschen unter die Profit- und Verwertungszwänge einer kleinen Minderheit aufrechterhalten will, "sehr marxistisch" daherkommen, aber sie sind Tatsache und die eigengesetzliche Ursache für die historische, globale Krise des kapitalistischen Systems.

     

    Kein Auswuchs, sondern in den unauflösbaren Widersprüchen des Kapitalismus selbst begründet.

     

    Und die Rückkehr zum "Keynesianismus", der den Kapitalismus wieder lieb und nett machen soll (zumindest für ein paar mehr Menschen in Europa und Nordamerika) ist eben im aktuellen Stadium des Kapitalismus, angesichts der objektiven materiellen Bedingungen, gar nicht mehr möglich. Es kann zur Stabilisierung der Profitraten nur an der einen Schraube gedreht werden, die die Grundlage allen Mehrwerts ist: an der Ausbeutung der Arbeitskraft, genauer: an der Erhöhung der Ausbeutungsrate von Lohnarbeit, wie wir sie fortlaufend auch bei uns erleben (siehe Reallohnentwicklung, Niedriglohnsektor, Prekarisierung, Intensivierung, immer mehr "ausgeschiedene", d. h. im Sinne des Kapitals "nicht verwertbare" Menschen usw.)

     

    Oder eben durch immer noch mehr spekulative Geschäfte, deren blasenartiger Charakter dann wieder in den nächsten Crash mündet.

     

    Letztlich gibt es zur Krisenlösung nur zwei Möglichkeiten: Entweder eine gigantische Vernichtung von Kapital, wie sie in den beiden Weltkriegen erfolgt ist, die jeweils dem kapitalistischen System einen "Neustart" ermöglichte, mit allen verheerenden und tödlichen Folgen für die breite Masse der Menschen. Oder eine echte Alternative zum Krisensystem der kapitalistischen Klassengesellschaft - eine Gesellschaft, in der die Arbeitenden und Produzierenden auch die Produktionsmittel besitzen und demokratisch nach ihren tatsächlichen Bedürfnissen - nicht zur Profitmaximierung einer herrschenden Klasse - produzieren und insgesamt die Gesellschaft demokratisch und sozial organisieren und gleiche Lebensrechte für Alle ermöglichen. Und ja: Dann sind wir wieder sehr bei Marx. Und Lenin.

  • ET
    Erwin Topolski

    Dem letzten Absatz (wie auch dem Rest) erlaube ich mir zu entnehmen, dass ein Fallen der Profitrate traditioneller, Güter produzierender Industrien nichts mit dem Ausweichen in den und damit der Entstehung des Finanzkapitalismus und seiner Entwicklung zum Leitsektor der Wirtschaft zu tun hat. Das ist entweder nur naiv oder naiver Erfindungsreichtum.

  • N
    noevil

    ...und wohin wird das die Menschheit - hier die ausgewiesenen Bevölkerungsteile - führen?

     

    Die immer extremer Reichen werden immer weniger produzieren können, wenn immer weniger konsumieren können und deshalb die Märkte wegbrechen. Sie werden auf immer höheren Geldmengen sitzen, die nur noch Zahlen aber keine absoluten Werte mehr vermitteln, während diejenigen, denen sie entzogen wurden, verhungern.

     

    Die Balance stimmt bereits heute nicht mehr. Wenn diejenigen, die über Macht und Einfluss verfügen, nicht bald, auch im eigenen Interesse, zu einer wirklich sozialen - also gerechter verteilenden - Teilhabe wieder wachsender Mittelschichten zurückfinden, dann geht nicht nur der verarmte Teil sondern das ganze erkrankte System zugrunde.

     

    Eine Gesellschaft, die an ihrer maßlosen Gier zugrunde geht.

     

    Und die Zeit läuft..

  • H
    hase

    Sassen verweist auf menschliche Katastrophen. Wie fragt daraufhin die Taz, dieses linke journalistenwunder? "Alles Dinge, die es schon lange gibt. Wo ist das Neue?" Vielleicht die Cranberryvanille in der Latte, die sich so sweet bei der harten Kopfarbeit des institutionalisierten Realitätsprinzips schlürfen lässt?

  • HH
    Heinz Heise

    Ich hab mich wohl verklickt, ich wollte zur taz und bin offenbar bei TelePolis gelandet.

    Wär aber ja schön, wenn der Interviewer wenigstens etwas mehr hinterfragt.

  • T
    Thorsten

    Es wäre so wichtig, über Alternativen zum destruktiven Kapitalismus nachzudenken, doch wir sind alle paralysiert. Eine andere Welt ist möglich, aber nicht mit Ikea- und Apple-Jüngern. Eine neue ökologische, dogmatische Bewegung täte gut, aber ...

  • T
    Torben

    Frau Sassen versucht mit „Ausweisung“ einen Begriff zu etablieren. In diesem Zusammenhang wäre es hilfreich, wenn zumindest zu Beginn des Interviews einmal der englische Originalausdruck genannt würde.

     

    Danke! :-)

  • L
    Lumpenbarbie

    Vielen Dank für das Interview!

     

    Kleine Anmerkung nur:

    Expulsion heißt u. a. "Ausweisung", aber Sassen meint vermutlich - so wie die "Jungle World" den soz. Terminus mal übersetzt hat, Vertreibung:

     

    "Ich benutze den Begriff »Vertreibung« in Abgrenzung zu »Exklusion« und auch darüber hinaus. Exklusion ist eine bekannte und gut entwickelte Kategorie. Soziale Ausschließung findet innerhalb des Systems statt. Ich will mich dagegen mit denen beschäftigen, die aus dem System vertrieben werden"

     

    http://jungle-world.com/artikel/2011/26/43511.html

  • E
    eksom

    Wartet erst einmal ab, was passieren wird, wenn die FRACKING in Nordeuropa und Deutschland zugelassen wird. Da werden nicht nur ein paar Bergarbeiter durch vergiftetes Wasser (Grundwasser) sterben, sondern ganze Regionen und Landstriche. Da man jede Firma, ohne Probleme in Europa vor allem aber in Deutschland "an die Wand fahren" darf, werden die Profite -wie immer schon vorher- privatisiert, aber die Verluste später immer sozialisiert!

  • S
    Soziologe

    Das hört sich nach "Meine wissenschaftliche Forschung ist aber wichtig" an. Leider in den Sozialwissenschaften ein recht häufig anzutreffendes Phänomen.

  • OP
    oregon pine

    Der Vorgang der innergesellschaftlichen Exklusion ist sehr zutreffend beschrieben. Je nach Sozialsystem gibt es diese Vorgänge massenhaft auch in Deutschland. Artikel 20 des Grundgesetzes, wonach die Bundesrepublik als ein sozialer Rechtsstaat verfasst zu sein hat, ist nur noch ein verwittertes Aushängeschild alten Wunschdenkens. Die von Menschen, insbesondere Behördenmenschen gemachte Realität sieht völlig anders aus, viel grausamer und abweisender. Die mit der Gewährung von Menschenrechten verbundenen Grundbedürfnisse der Menschen werden von der neoliberalen globalen Profitökonomie und ihren staatlichen Handlangern jeden Tag aufs Neue erwürgt. Kaiser Wilhelm II. wird zum hundertsten Jahrestag des Beginns des ersten Weltkrieges 2014 mit dem adaptierten Merksatz zitiert werden: Ich erkenne keine Menschen mehr, sondern nur noch Profitcenter !