Soziologe über deutsch-israelische Beziehung: "Deutschland ist immens wichtig"
Israel braucht die EU - denn die USA haben eigene Interessen in der Region. Deshalb war auch Merkels Besuch so wichtig, sagt der israelische Soziologe Moshe Zuckermann.
taz: Herr Zuckermann, in Deutschland sind viele stolz, dass Angela Merkel als erste ausländische Regierungschefin vor der Knesset reden durfte. War das ein historischer Besuch?
Moshe Zuckermann: Ja. Merkel ist mit ihrem halben Kabinett angereist und es soll diese Regierungstreffen nun jährlich geben. Das wäre vor zehn, fünfzehn Jahren schier undenkbar gewesen. Da hätte es in Israel Massendemonstrationen und heftige Debatten in den Zeitungen gegeben. Insofern zeigt dieser Besuch eine einschneidende Veränderung in den deutsch-israelische Beziehungen.
Es gab Widerstand von einzelne Abgeordneten gegen Merkels Rede in der Knesset - und dagegen, dass sie deutsch redet. Waren das nur vereinzelte Stimmen?
Das waren Einzelmeinungen, die vor allem von rechten und rechtsradikalen Politikern vorgetragen wurden. Allerdings hat eine Abgeordnete der Arbeitspartei kritisiert, dass es unsensibel von der israelischen Regierung war, Merkel zu erlauben deutsch zu reden. Die Überlebenden der Schoah sind keine homogene Gruppe, viele reden selbst deutsch. Aber es gibt eben auch Überlebende, die diese Rede als Affront empfunden haben.
Was bedeutet es, dass Merkel deutsch geredet hat?
Das soll ein Zeichen der Normalisierung sein. In gewisser Weise ist dies ja auch konsequent. Die Zusammenarbeit Israels mit Deutschland gibt es seit mehr als fünfzig Jahren, seit 1952 - da sind solche Verbote, Regeln und Beschränkung eher Versuche, symbolisch eine Distanz aufrechtzuerhalten, die es in der Realität nicht mehr gibt.
Es wird künftig regelmäßige Regierungstreffen und verstärkte militärische und kulturelle Zusammenarbeit geben. Was bedeutet das für Israel?
Für Israel ist Deutschland immens wichtig. Israels wirtschaftliche Zukunft liegt in Europa - noch eher als in den USA. Und Deutschland ist der door opener für Israel in der EU. Es mag sich pervers anhören: Aber für Israel ist Deutschland schon seit langem ein unverzichtbarer Partner. Das wird nun mit den alljährlichen Regierungstreffen institutionalisiert.
Wie normal sind die deutsch-israelischen Beziehungen ?
Wenn Israel irgendein Staat in Lateinamerika wäre, der die Menschenrechte so mit Füßen tritt, wie Israel das in den besetzten Gebieten tut, dann hätte Merkel das natürlich scharf kritisiert.
Und das hat sie nicht getan?
Nein, oder nur im Flüsterton, kaum hörbar. Was Merkel zu den israelischen Siedlungen im Westjordanland gesagt hat, steht in keinem Verhältnis zu dem, was kritisiert werden muss: von dem Angriff auf Gaza bis zu den gezielten Tötungen von Islamisten. Israel eskaliert die Gewalt - natürlich nicht allein, natürlich trägt auch die Hamas dazu bei. Aber Deutschland ist der einzige Staat, bei dem die israelische Regierung sicher sein kann, dass sie von Kritik verschont bleibt. Das ist die anormale Normalität dieser Beziehung. Deutschland kritisiert Israel nicht, dafür bietet Israel Deutschland normale Beziehungen an. Das ist das Grundmuster, aus dem Merkel nicht ausbrechen kann.
Nicht kann oder nicht will?
Realpolitisch gesehen - nicht kann. Sie kann bei ihrem ersten Besuch keine Tabus ansprechen - selbst wenn sie es wollen würde. Natürlich wäre es wünschenswert, dass Deutschland resolut den Rückzug aus den besetzten Gebieten fordert. Aber genau das darf Merkel nicht - weil die historische Situation ist, wie sie ist. Auch für Joschka Fischers Vermittlungsbemühungen waren die Grenzen immer klar. Hätte Fischer je mit der Hamas geredet, wäre er sofort von Israel scharf gerüffelt worden.
Jitzhak Rabin hat mal gesagt: "Deutschland spielt im Nahostkonflikt keine Rolle." Gilt das noch?
Nein, das stimmte so damals nicht, und heute trifft es noch viel weniger zu. Seit der Vereinigung ist Deutschland zu einer Weltmacht geworden - ob es das will oder nicht. Und Deutschland ist Israels verlässlichster Verbündeter - noch mehr als die USA. Die USA sind der globale Hegemon, der Israel finanziell und militärisch unterstützt. Das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben. Aber die USA ordnen den Nahostkonflikt ihren geopolitischen Interessen unter. Und die können sich ändern. Das weiß man in Israel. Deswegen muss Israel ja stärker Kontakte zur EU aufbauen. Und dabei spielt Deutschland die zentrale Rolle.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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