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Soziologe über Duma-Wahl in Russland"Die Nervosität wächst"

Ein kleiner, aber aktiver Teil der russischen Gesellschaft will sich nicht mehr unterwerfen, sagt Alexej Lewinson. Wladimir Putin könne es sich nicht länger erlauben, das zu ignorieren.

Noch steht Putin über den Dingen. Vielleicht ändert sich das demnächst. Bild: dapd
Klaus-Helge Donath
Interview von Klaus-Helge Donath

taz: Herr Lewinson, Russland wählt eine neue Duma. Hat sich der Wähler seit den letzten Wahlen 2007 verändert?

Alexej Lewinson: Früher stand alles vorher fest, heute auch noch. Aber es sind doch neue und wesentliche Nuancen hinzugekommen. Wähler, denen es nicht mehr gefällt, dass sie keine Wahl haben. Die sich nicht mehr damit abspeisen lassen, womit sie früher noch zufrieden waren.

Wer sind die?

ALEXEJ LEWINSON

(67) ist der Leiter der Abteilung für soziokulturelle Forschung beim Lewada-Zentrum, dem bekanntesten unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Russlands. Er ist außerdem Professor für Soziologie an der Hochschule für Ökonomie Moskau.

Die Autofahrer mit den blauen Eimern auf den Dächern etwa. Sie wehren sich gegen die freie Fahrt der politischen Klasse, die mit Blaulicht den Bürger rücksichtslos an den Rand drängt. Das ist ein Kampf gegen Status- und Herrschaftssymbole und noch keine Revolution. Er durchbricht aber eine jahrhundertelange Tradition, in der es undenkbar war, die Sonderrolle und Unantastbarkeit der Herrschenden zu hinterfragen. Die Mehrheit übt sich noch immer in legendärer russischer Demut. Ein kleiner, aber sehr sichtbarer und aktiver Teil der Gesellschaft will sich nicht mehr unterwerfen. Dabei spielen auch Internet und Medien eine große Rolle.

Die Proteste werden oft mit den Bewegungen in arabischen Ländern verglichen, hinkt dieser Vergleich nicht?

Diese Gruppierungen stellen noch keine mächtige millionenstarke politische Kraft dar. Ihre Bedeutung liegt im Sozialen: Sie protestieren, weil sie sich in ihren Rechten verletzt fühlen und entdecken die persönliche Würde für sich wieder. Nach dem Motto: lass dir das nicht gefallen und mach deinen Protest sichtbar - sei kein Feigling und setz deinen Namen unter den Aufruf.

Wie reagiert der Kreml auf die Entwicklung, nimmt Putin so was wahr?

Er kann es sich eigentlich nicht erlauben, das zu ignorieren. Sich selbstzufrieden auf die Brust zu schlagen, dafür gibt es keinen Grund. Die Wirtschaft ist nicht im besten Zustand. Er schmückt sich zwar mit dem internationalen Prestigegewinn Russlands. Das hören die Bürger im Fernsehen, überprüfen können sie es nicht. Schauen sie auf dem Weg zur Arbeit aus dem Fenster, entdecken sie keine großartigen Leistungen. Außerdem frisst die Inflation Pensions- und Lohnerhöhungen und der Terrorismus bedroht weiter das Land.

Was ist Putins Rolle als nächster Präsident?

Bislang wird Putin nicht für das Geschehen im Land verantwortlich gemacht. Er steht über den Dingen. Ob sich das in der nächsten Amtszeit ändert, ist unklar. Seine Popularität ist nach wie vor hoch. Das sagt aber nicht viel über die Stimmung aus. Die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass Russland sich nicht in die richtige Richtung bewege. Das ist ein neuer Trend. Außerdem beobachten wir vor den Wahlen eine wachsende Nervosität in der Gesellschaft.

Hat das mit dem abgekarteten Rollentausch Medwedjew-Putin zu tun?

Medwedjews gehorsamer Abtritt rief ziemlich scharfe Reaktionen hervor. Viele der politisch interessierten Bürger waren dagegen. Sie fühlten sich persönlich verletzt. Als Putin vor vier Jahren Medwedjew die Macht übergab, begrüßten viele das Manöver als Notlösung. Putin konnte laut Verfassung kein drittes Mal kandidieren. Dieselbe Klientel wünscht sich jetzt, dass Medwedjew aus Putins Schatten herausgetreten wäre. Im Verborgenen ist der Wunsch nach einer Alternative zu Putins einseitiger und brutalen Linie vorhanden. Sie sehnen sich ein wenig nach zivilerem Umgang und liberaleren Werten. Vorstellungen, die Putin als Kremlchef nun auch befriedigen müsste.

In der Öffentlichkeit gibt es keine kontroversen Diskussionen. Wie in der Sowjetzeit findet die Auseinandersetzung wieder in der Küche statt. Im engen Kreis äußert man sich anders als draußen. Ist der Orwellsche double- think zurück, trifft der Vergleich mit dem Stillstand der Breschnew Ära zu?

Damals sagte man Zuhause das eine und draußen was anderes. Heute ist das nicht mehr so. Der double-think charakterisiert jetzt vor allem das Denken der politischen Führung. Spricht sie mit dem Westen oder Menschenrechtlern, bedient sie sich deren diskursiver Rhetorik. Gegenüber der eigenen Klientel schlägt sie eine andere Tonalität an. Putin ist darin ein Virtuose. Er versteht es, in ein und demselbem Satz einen Doppelsinn zu verpacken.

Alle Parteien wollen im Wahlkampf von nationalistischen Stimmungen profitieren? Ist das nicht eine Gefahr für den Vielvölkerstaat?

Nationalismus hat als einzige Ideologie Kommunismus und Demokratie überstanden. Es ist ein Konglomerat aus heidnischen, christlichen und fundamentalistischen Vorstellungen. Er grenzt aus und beansprucht Exklusivität als Gegengewicht zu universalistischen Werten. Was ihn bei uns so lebendig macht, ist, dass er von allein entstanden und keiner politischen Kraft zuzuschreiben ist.

Hat nicht Putin durch die Georgier-Hatz den Nationalismus erst hoffähig gemacht?

Er hat die antigeorgische Kampagne damals losgetreten. Der Kreml spielt mit den Ressentiments. Putins Haltung ist widersprüchlich. Er solidarisierte sich spontan mit russischen Fußballfans, nachdem einer im Streit mit Kaukasiern getötet wurde. Hinterher versuchte er die Geste abzuschwächen. Die Menschen sind empfindlicher geworden, sobald ihre Würde verletzt wird. Sie sind aber auch gleichgültiger oder nachsichtiger gegenüber Rassismus und Nationalismus. Niemand muss mehr ein Blatt vor den Mund nehmen. In den 90er Jahren wäre das undenkbar gewesen. 60 Prozent unterstützen heute die Forderung "Russland den Russen".

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10 Kommentare

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  • D
    Danni

    Sehr interessant, vielen Dank.

     

    Ich habe vor kurzem das Buch "Die russische Frage" gelesen, bei dem es gerade über russische Gesellschaft und dessen Veränderung der letzten Jahre geht.

    Passend zu dem Buch wurde das Thema durch die Demonstrationen in Moskau noch aktueller, seit dem befasse ich mich fast täglich mit dem Thema.

     

    Ich bin mal gespannt, ob die Menschen auf den Straßen irgendwas bewirken können, da es ja eigentlich keine wirkliche alternative zu Putin gibt, so sagt man ...

     

    Liebe Grüße

    Danni

  • HS
    Hari Seldon

    Bitte, meinen Sie, dass "Raketenabwehrsysteme" NÖRDLICH von Russland (Arctic See) wirklich Abwehrsysteme gegen Iran wären? Bitte, machen Sie sich nicht lächerlich. Oder die Waffenlieferungen an Syrien: Bitte, meinen Sie, dass Syrien die US oder NATO mit russischen Waffen angreifen will? Gefällt uns Putin oder nicht, eine Welt mit zwei Seiten ist besser, als mit nur einer MONOPOLISTISCHEN Seite. Und die Russen haben ANSPRUCH auf ein Leben auf russischer Art....

  • MP
    Marina P.

    Wie niedlich sich die KPdSU...äh...KPdRF sich über Wahlunregelmäßigkeiten aufregt. Haben die doch in im sowjetischen Regime nicht anders gemacht!

  • K
    kalu

    Was für wirres Zeug ich hier lesen muss. Ist die Abteilung f Gegeninformation aus Moskau wieder im Forum tätig? Also mal ehrlich, selbst wenn es mächtige Figuren geben mag die Russland am Zeug flicken wollen, aber letztlich ist es doch bisher immer nur Russland selbst gewesen, dass sich geschadet hat. Und sicherlich kann man Raketenabwehrbatterien, die für iranische Raketen bestimmt sind auch gegen andere Ziele richten (vor allem wenn die auf dem Weg liegen) insofern ist die Formulierung, "dass sie ausgelegt" seien Russland anzugreifen nichts als eine Floskel. Wenn Russland Iran und Syrien wiederum Waffen liefert, hat man offenbar keine Sorgen aus der Gegenrichtung angegriffen zu werden, offenbar weil man in die größtes Vertrauen hat. Warum nur? Weil es absurd ist, dass Russland aus der einen wie der anderen Richtung angegriffen wird. Jeder der bei Verstand ist lässt sich nicht auf einen offenen Krieg mit Russland ein. Zu stark. Man hat ja schon Schwierigkeiten Irak und Afghanistan zu verdauen. Und Russland müsste das wissen. Also alles nur Theaterdonner um in der Propaganda Oberwasser zu behalten. Und um in bester putinscher Manier wieder auf Dicke Hose zu machen.

  • H
    hendrix

    Irre; wie krank muss man sein, um solche Kommentare wie "GWalter" abzugeben? (Ist vielleicht ein Chaos-Computerprogramm.)

     

    Jedenfalls guter Artikel, hoffen wir mal das die Regime-Partei "Einiges Russland" so wenig wie möglich Stimmen erhält.

  • G
    GWalter

    Diese Schmutzkampagne gegen Putin ist ekelhaft und lächerlich.

    Der Westen versucht mit allen Mitteln, ihm ans Bein zu pinkeln, wird damit aber keinen Erfolg damit haben.

     

    Putin tut der Welt gut, weil er einer der wenigen Mächtigen ist, die sich nicht bedingungslos vor den verlogenen US-Welt-Herrschern verbeugt und der auch mal Klartext redet.

  • G
    GWalter

    "US-Raketenschild bedroht Europas Frieden"

     

    Angesichts der Bedrohung Russlands durch das US-Raketenschild für Europa hat der russische Präsident Dmitri Medwedew in einer Sondererklärung die Aufstellung neuer Kampfsysteme angekündigt.

    Im Westen und im Süden des Landes würden im Notfall modernste Waffen aufgestellt, die in der Lage seien, den europäischen Raketenschild zu zerstören, erklärte Medwedew am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti.

     

    Medwedew beuftragte das Militär, weitere Maßnahmen zu auszuarbeiten, um im Notfall die Informations- und Führungssysteme des europäischen Raketenschildes zerstören zu können.

     

    Die USA wollen unter dem Vorwand Europa vor iranischen Raketen zu schützen einen Raketenschild errichten. Nach Meinung von Militärexperten ist dieser Schild jedoch ausgelegt um einen Angriff auf Russland vorzubereiten und die Völker Europas in einen Krieg zu stürzen

  • G
    GWalter

    Es gibt einen Mann, der für die Menschheit gefährlicher als jede andere lebende Person heute ist. Sein Name ist Zbigniew Brzezinski,CFR-Mitglied, Erz-Trilateraler Kommissionist, Bilderberger. Er ist der böse Geist hinter 5 US-Präsidenten, einschließlich Obamas - und er ist nur von einem Gedanken besessen: Die USA sei einen kommunistischen Eine-Welt-Staat zu beherrschen.

     

    Sein Ziel ist ein kommunistischer Welt-Staat, in dem Russland, das er hasst, in 3 Republiken in einem lockeren Staatenbund aufgeteilt wird - und wenn dies nicht möglich ist - dann letztendlich durch den 3. Weltkrieg.

     

    Zbigniew Brzezinski ist Barack Obamas außenpolitischer Berater. Brzezenski war der Nationale Sicherheitsberater Präsident Carters von 1977 bis 1981. Im Jahr 1988 förderte er HW Bush zum Präsidenten und war Vize-Vorsitzender in HW Bushs nationaler Sicherheits-Beratungs–Sondergruppe. Von 1987 bis 1989 fungierte er auch im Vorstand von HW Bush’s Auswärtigem Nachrichtendienst. Clintons Außenministerin, Madeleine Albright, war eine Schülerin Brzezenskis. GW Bushs Aussenministerin, Condoleeza Rice (ebenfalls eine ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin), die unter dem Vater Albrights studierte, teilt mit Brzezinski und Albright viele der gleichen Welt Regierungs-Ansichten.

  • A
    ant
  • J
    Josef

    Was für eine Georgier-Hatz? Ich habe damals eher eine Russen-Hatz gesehen, u.a. vom Krawattenfresser Saakaschwili, aber auch von anderen europäischen Regierungen!