piwik no script img

Sozialwohnungen in DeutschlandKlar vorbei ist auch daneben

Statt der angekündigten 100.000 Sozialwohnungen wurden im vergangenen Jahr nur 22.545 gebaut. Der Bestand ist rückläufig. Verbände schlagen Alarm.

Es fallen mehr Wohnungen jedes Jahr aus der Sozialbindung, als neue gebaut werden Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Knapp vorbei ist auch daneben – das Sprichwort kann für den sozialen Wohnungsbau in Deutschland nicht gelten. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte versprochen, dass jedes Jahr 100.000 neue Sozialwohnungen errichtet werden. Jetzt ist klar: Das Ziel wurde deutlich verfehlt. Stattdessen wurden im vergangenen Jahr nur 22.545 Wohnungen für Menschen mit kleinem Einkommen gebaut, nicht einmal 25 Prozent der geplanten Anzahl.

Auch der Gesamtbestand an Sozialwohnungen ist 2022 erneut gesunken, auf rund 1,088 Millionen Wohnungen, 14.000 weniger als noch 2021. Die Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Bundestagsfraktion der Linken hervor, welche der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das Minus von 14.000 Wohnungen ergibt sich daraus, dass nicht nur zu wenige Wohnungen gebaut wurden. Bei rund 36.500 liefen die Preisbindungen aus, wie Caren Lay (Linke), die Antragsstellerin der Anfrage, bemerkte. Sie wünscht sich ein Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild. Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig. 2010 gab es noch fast 600.000 Sozialwohnungen mehr, 1990 waren es noch über 3 Millionen laut VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Gleichzeitig ist der Bedarf an Sozialwohnungen hoch, sogar elfmal höher als der Bestand, so der Präsident des Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten. 11 Millionen Menschen hätten einen Anspruch, das sei ein „riesiges Problem“, die Zahl der Neubauten nennt er „kläglich“.

Verbände fordern Kursänderung

In die gleiche Bresche schlägt der Paritätische Gesamtverband. Der Tiefstand sei „sozial verheerend“, ärmere Menschen würden an die Stadtränder verdrängt. Das Problem, bezahlbaren Wohnraum zu finden, erreiche „schon die Mittelschicht“. Im Bauministerium beruft man sich auf eine „Rekordsumme von 18,5 Milliarden Euro“, welche von 2022 bis 2027 den Ländern zur Verfügung gestellt wird. Bis sich dies in den Fertigstellungszahlen widerspiegelt, „braucht es etwas Zeit“.

Auf eine Sozialwohnung haben Menschen mit Wohnungsberechtigungsschein Anspruch. Um diesen zu bekommen, darf, laut dem Wohnraumförderungsgesetz, das jährliche Haushaltseinkommen einen Wert von 12.000 Euro einer Einzelperson oder von 27.200 Euro einer vierköpfigen Familie nicht überschreiten. Diese Zahlen können in einzelnen Bundesländern abweichen. Wer eine Sozialwohnung vermietet, erhält staatliche Förderung. Allerdings darf als Miete nur ein festgelegter Betrag verlangt werden, die „Kostenmiete“.

Aus den Verbänden und der Politik kommen derweil Forderungen, den Kurs zu korrigieren. Sowohl Siebenkotten als auch Bentele und der Paritätische Gesamtverband fordern die Wiedereinführung einer Wohngemeinnützigkeit. Dieses Fördersystem für Sozialwohnungen ohne zeitliche Bindung wurde vor über 30 Jahren abgeschafft, im Koalitionsvertrag aber versprochen. Bentele verlangt von Bau­trä­ge­r:in­nen und Investor:innen, die hohen Renditen der vergangenen Jahre müssten sie jetzt in bezahlbaren Wohnraum investieren. Außerdem hält sie eine Aufstockung der eingeplanten Gelder für den sozialen Wohnungsbau für notwendig. Siebenkotten geht noch weiter: Er fordert ein „Sondervermögen von 50 Milliarden Euro“ und ein „Sofort-Programm“, um den derzeitigen Bestand aus der zeitlichen Befristung in eine dauerhafte Bindung zu überführen.

Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Christina-Johanne Schröder, meint, die Krise am Mietmarkt könne „nicht allein durch den geförderten Wohnungsbau bewältigt“ werden. Für eine Verbesserung der Situation in den kommenden Jahren sieht der Paritätische Gesamtverband „wenig Grund zum Optimismus“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Gesetze erlassen, die Bauträger und Investoren verpflichtet, sondern Strafe und Co. und schwupps läuft es.



    Wenn wir erst immer danach fragen, ob der Investor statt mit 15% Rendite auch mit 12% Rendite im Jahr noch paar Häuser baut, ist uns einfach nicht mehr zu helfen!

  • Die Angst davor, sich das Wohnen nicht mehr leisten zu können, ist einfach ein erstklassiges Disziplinierungsinstrument für die Bevölkerung. Wer will schon auf der Straße landen? Unter (fast) allen Umständen sichergestellte Wohnungsversorgung ist einfach etwas, das nicht gewünscht ist. Deshalb interessiert das letztlich auch niemanden von denen, die daran etwas ändern könnten, und mehr als salbungsvolle und billige Worte kann man da nicht erwarten.

    Mag zynisch klingen, ist aber letztlich so. Dazu kommt natürlich noch, dass es heute praktisch keine Möglichkeit mehr gibt, außerhalb von Immobilienbesitz oder regulären Mietverträgen überhaupt zu wohnen, weil jeder Fleck irgendwem gehört.

    Das ist einfach so und damit müssen wir irgendwie zurechtkommen... Aber in einer so restlos durchorganisierten und besessenen Welt muss man dann auch das organisieren, zielgerichtet und ergebnisorientiert.

  • Was hat das denn mit der Mittelschicht zu tun, oder mit "Ärmeren" die (oh Schreck) an den Stadtrand verdrängt werden könnten? Davon können Abtertausende in diesem Land nur träumen, die finden erst recht nix in den Speckgürteln, die angeblich auch nicht umsonst so heißen und darüber hinaus mangels Angebot schon gar nicht. Und wen diese Not frontal trifft, findet öfter als nie auch keinen "unbezahlbaren Wohnraum", weil die auf diesen ganzen Markt überhaupt keinen Zugriff mehr haben. Auch darum ja Sozialwohnungen, als das noch'n Ding war und selbst dies Land so'n kleines bisschen sozialer. Aber irgendwie typisch und auch symptomatisch gleich wieder alles Mögliche durcheinander zu werfen, da braucht es nicht mehr als zwei, drei Wortmeldungen. Kein Problem, bis es die Mittelschicht spürt? Statt dass man sich mal auf das konzentriert, das hieße für mich jetzt auch mal einfach beschränkt, was (schon) lichterloh brennt. Das liefert die Erklärung für diese Zustände, wenn's nach mir geht, teilweise gleich mit und dann ist es ja nur goldig, wenig Grund für Optimismus anzumelden. Habe leider auch von den einschlägigen Verbänden lange wenig bis nichts dazu vernommen und viel mehr als nachzureichen, was wir lange wissen, ist jetzt auch nicht. Es bräuchte ein komplettes, geschütztes und quasi qua Gesetz zugesichertes Mindesangebot und Segment, so wie man das mitunter auch beim Arbeitsmarkt versucht (Stichwort "Dritter"), das wirklich Bedürftige definitiv auch mit Wohnraum auffängt, im Notfall. Kann einfach sein, kann sehr klein sein, kann flexibel sein, kann auch temporär angelegt sein, auch um Wartelisten zu überbrücken z.B. bis dann eine "richtige" Sozialwhg. mal verfügbar ist. Aber das wär für mich Recht auf Wohnen.

  • Das sogenannte "Wiener Modell" finanziert sich durch den Eigenbestand ständig selbst. Lediglich 5 Prozent des Haushaltsbudgets der Stadt Wien werden zur Wohnraumförderung aufgewendet.

    Hierzu sah sich die von der die Linke mitregierte damalige berliner Regierung nicht in der Lage (dies hätte erhebliche Mieterhöhungen in der Bestandsmiete mit sich gebracht) und verkaufte statt dessen den Wohnungsbestand. Ergo, Berlin hat überhaupt keinen nennenswerten Wohnungsbestand um ein Wohnungsbauprogramm nach dem Wiener Vorbild aufzusetzen.

    Und das Problem an der Wohngemeinnützigkeit ist halt, dass darin niemand wirklich ein Interesse haben dürfte. Angesichts hoher Zinsen und hoer Baupreise wird derzeit nur investiert, wenn auch die Renditeaussicht stimmt.

  • Man könnte ja auch mal energisch gegen verdeckten Leerstand und Airbnbs vorgehen, statt mithilfe urbaner Verdichtung die Zahl der auch im Hochsommer ohne Lebensgefahr bewohnbaren Wohnungen *durch Neubau* zu *reduzieren*.

    Mit Wohnraum ist es in Deutschland wie mit Fachkräften: es gibt zu wenig - und gleichzeitig versucht eine Rekordzahl an Jugendlichen vergebens, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.



    So ein "Marktversagen" ist in der Regel ein Hinweis auf eine Legislative und Judikative, die realitätsblind in einer idealistischen Traumwelt entscheiden.