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Sozialwissenschaftlerin zu Paragraf 219a„Keine Opfer bei Abtreibungen“

Die Regierung hat eine Ergänzung zum Paragrafen 219a vorgelegt, der „Werbung“ für Abtreibungen verbietet. Sehr vage, meint Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik.

Mitglieder des Thüringer Frauen*kampftagsbündnisses protestieren in Erfurt gegen den Abtreibungparagraphen 219a Foto: dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Achtelik, Sie beschäftigen sich mit der sogenannten Lebensschutzbewegung. Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht den Vorschlag der Bundesregierung zum Paragrafen 219a?

Kirsten Achtelik: Die selbst ernannte Lebensschutzbewegung hat sich durchgesetzt. Ihr wird eine konkrete Zusage gemacht: Es soll eine Studie in Auftrag gegeben werden, in der es um die „seelischen Folgen“ von Abtreibungen gehen soll.

Was kritisieren Sie daran?

Eines der Hauptargumente der Bewegung ist, dass Frauen unter Schwangerschaftsabbrüchen leiden würden. Das erste Opfer einer Abtreibung sei der Fötus, wird behauptet, das zweite die Frau.

Dem ist nicht so?

Nein. In der Regel gibt es bei Abtreibungen gar keine „Opfer“. Es gibt zwar Frauen, die Abbrüche machen lassen, weil sie in einer sehr bedrängten Situation sind – also beispielsweise, weil der Mann ein Schläger ist. Es ist möglich, dass es ihnen damit nicht gut geht. Eine aktuelle Studie zeigt aber, dass mehr als 95 Prozent aller Frauen auch drei Jahre nach Abbrüchen noch erleichtert über die Entscheidung sind. Dessen ungeachtet hat die „Lebensschutzbewegung“ sogar das sogenannte Post-Abortion-Syndrom (PAS) erfunden.

Was ist das?

Im Interview: Kirsten Achtelik

40, ist Sozialwissenschaftlerin und Autorin. Sie arbeitet zu feministischen Theorien und Bewegungen und der sogenannten Lebensschutzbewegung. Im März ist ihr Buch „Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ‚Lebens-schutz‘-Bewegung“ im Verbrecher Verlag erschienen, das sie zusammen mit Eike Sanders und Uli Jentsch geschrieben hat.

Der Begriff kam in den 80er Jahren in der US-amerikanischen Pro-Life-Bewegung auf. Es wird behauptet, dass Frauen von Abtreibungen krank werden, beispielsweise schwere Depressionen bekommen. Es gibt sogar Studien, die das bestätigen. Viele dieser Studien sind allerdings von WissenschaftlerInnen gemacht worden, die in der Bewegung aktiv sind. Metastudien, die wiederum diese Studien untersuchen, zeigen, dass das PAS Nonsens ist.

Inwiefern?

Die Metastudien zeigen, dass nicht sorgfältig gearbeitet wurde. Es ist ja eben die Frage, wo die negativen Symptome herkommen. Wenn Frauen beispielsweise schon an Depressionen litten, bevor sie eine Abtreibung hatten, dann sagt es natürlich nichts aus, dass sie auch danach Depressionen hatten. Diese Metastudien sind sehr gründlich vorgegangen. Das PAS ist wissenschaftlich widerlegt.

Die Bundesregierung will das PAS erneut wissenschaftlich untersuchen.

Offenbar haben die Christdemokraten für das Leben großen Druck ausgeübt

Kirsten Achtelik

Offenbar haben die Christdemokraten für das Leben (CDL) großen Druck ausgeübt, eine „Lebensschutzgruppe“ in der CDU. Was die SPD angeht, sehe ich zwei Möglichkeiten. Entweder haben sie dort nachlässig gearbeitet und es ist niemandem aufgefallen. Oder die Studie wurde im Austausch für etwas noch Schlimmeres hineinverhandelt.

Wie progressiv kann ein Gesetzentwurf auf dieser Grundlage werden?

Das Problem an dem Entwurf ist auch, dass er bei allen feministischen Forderungen sehr vage bleibt. Aber wenn es eine konkrete Formulierung gäbe, die sicherstellt, dass ÄrztInnen über ihre Arbeit informieren dürfen, könnten sie nicht mehr angezeigt werden. Im Gegensatz zu den Versprechungen, die die SPD gemacht hat, wäre das zwar ein kleiner – aber es wäre immerhin ein Fortschritt.

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7 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Im vorliegenden Kontext wird mal wieder deutlich, wie schwierig die Verständigung unter neuzeitlichen Menschen ist. Ein Jeder beurteilt und verurteilt auf seiner eigenen subjektiven Folie. Objektivierbare Massstäbe jenseits von Plausibilitäten, Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten existieren nicht (kaum).

    Als im Geiste des Christentums er- (oder ver-) zogener Mensch fällt mir aktuell immer öfter das Bild der Babylonischen Sprachverwirrung ein. Mit der entscheidenden Modifikation: selbst mit der formal gleichen Sprache schaffen wir es, uns NICHT zu verständigen.

    Hallelujah!

  • Ich kann nicht mehr hören. Für die Abschaffung des Paragraphen 219a gibt es ja eigentlich eine gesellschaftliche und auch parlamentarische Mehrheit. Am stärksten diskreditiert wird die mögliche Abschaffung aber nicht etwa von irgendwelchen Lebensschützern sondern von der ständigen Ausweitung der Diskussion auf den Paragraphen 218 durch sogenannte Feministinnen.

  • Frau Achtelik hat eine große Schnittmenge mit dem Gedankengut christlicher Pro-Lifer. Wer die pränatale Erkennung des Down-Syndroms verbieten und Frauen damit indirekt zum Austragen behinderter Föten zwingen möchte, wirkt nicht sehr überzeugend in der Pose der progressiven Feministin.

    • 8G
      84935 (Profil gelöscht)
      @Thomas Friedrich:

      Wer bestimmt, was "krank" oder "behindert" ist und abgetrieben werden darf? Ich kenne Familien mit Down-Kindern, die ein erfülltes Familienleben haben und ihr Kind nicht mehr weggeben würden. Dass es mehr Aufwand in der Betreuung bedeutet, ist klar. Damit besteht die Gefahr, dass das Kind Karriere und wirtschaftlichem Erfolg im Wege steht. Aus diesem Grund heraus abzutreiben, ist dann aber nicht mehr weit vom Gedanken der Euthanasie entfernt. Da fehlt nur noch das Argument "Volkskörper"...



      Der richtige Ansatzpunkt ist dabei nicht ein Verbot der Abtreibung, sondern ein Ende der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Behinderung. Es darf nicht sein, dass sich Eltern mit Behinderten Kindern die Frage anhören müssen, warum sie nicht abgetrieben haben! Geld genug gibt es, und wenn die Karriere-Typ*innen endlich angemessen besteuert werden, kann der Staat sich auch solchen gesellschaftlichen Aufgaben wie Behindertenförderung widmen, statt nur den "Standort D" zu pflegen.



      Zur Hauptfrage bin ich der Meinung, dass über legale Vorgänge auch informiert werden darf!

      • @84935 (Profil gelöscht):

        "Dass es mehr Aufwand in der Betreuung bedeutet, ist klar."



        Dann sollte doch in den Fällen, in denen schwangere Pesonen aufgrund ähnlicher Überlegungen, sich mit einer Fortsetzung der Schwangerschaft überfordert fühlen, die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch akzeptiert werden. Behindertenfeindlichkeit sollte doch nicht primär denjenigen zugeschrieben werden, die in ihrer Lebenssituation keine Möglichkeit sehen, ein Kind mit Beeinträchtigungen großzuziehen, sondern den Verhältnissen. Und in diesen Verhältnissen besteht ein großer Änderungsbedarf: Inklusion, wesentlich mehr qualifiziertes Personal in Bildungseinrichtungen (+KiTas), Anerkennung des Nachteilsausgleiches und entsprechendes Recht auf Einkommen, Unterstützung und Zugang zu Kultur und Bildung, massiver Abbau von Barrieren, Abkehr von der Leistungsgesellschaft (damit auch von dem damit zusammenhängenden Kapitalismus) ... Gebährfähige Personen erledigen auch heute noch hauptsächlich reproduktive Arbeit (Haushalt etc.). Eine Individualisierung bedeutet für schwangere Personen eben dann auch, dass sie für die Folgen einer Entscheidung aufkommen sollen, die nach Vorstellungen Anderer gemacht werden solle. Meine Einschätzung wäre es, dass sich mehr schwangere Personen für eine Fortsetzung entscheiden würden, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen besser sind.

        • 8G
          84935 (Profil gelöscht)
          @Uranus:

          Sie haben mich eventuell missverstanden, wenn ich Sie nicht mißverstanden habe. Ich bin persönlich gegen Abtreibung aber politisch und gesellschaftlich für die Wahlfreiheit. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass durch die PND ein gesellschaftlicher Druck zur Abtreibung "lebensunwerten Lebens" entsteht. Ihren gesellschaftlichen Änderungsbedarf sehe ich ebenso und habe auch versucht dies anzudeuten!

          • @84935 (Profil gelöscht):

            Okay. Mit Wahlfreiheit meinen Sie unabhängig der Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch? Auch wenn die Wahlfreiheit bedeuten würde, dass einige schwangere Personen die Schwangerschaft eines beeinträchtigten Fötus abbrächen?



            Meine Position ist jedenfalls, dass schwangere Personen die völlige Wahlfreiheit haben sollen. Die Position von Kirsten Achtelik sehe ich ähnlich kritisch wie Thomas Friedrich aus den Gründen, die ich in meinem vorigen Kommentar darlegte.



            Zur PND: Ich denke, es kommt darauf an, wie Beratungen ablaufen. Dann: Welches Bild von Behinderung wird vermittelt? Wie differenziert wird Behinderung dargestellt? Letztere beiden Fragen betrifft dann auch den größeren gesellschaftlichen Rahmen.