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Soziale GerechtigkeitMehr Anreize für Privatiers

Bernd Kramer

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Bernd Kramer

872.000 Deutsche gehen keiner geregelten Erwerbsarbeit nach. Es wird Zeit für eine bessere Arbeitsvermittlung und Leistungsentzug für Verweigerer.

Wer ohne zu Schwitzen Profite kassiert, sollte seinen Teil in den Fiskus zahlen – hier auf einer Wahlversammlung der Linken in BW Foto: Marijan Murat/dpa

W ie immer war CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einem großen Skandal auf der Spur, als ihm auffiel, dass der Wohlstand dieses Landes von tätiger Arbeit abhängt. Wenn alle Däumchen drehen, kommt das Bruttosozialprodukt nicht von der Stelle. Dummerweise drehen nach Linnemanns Bauchgefühl ziemlich viele Däumchen, die eigentlich zur Wertschöpfung bewegt werden könnten. Wer hält den Laden noch am Laufen? Wo wird wieder in die Hände gespuckt?

„Man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht mehr um Work-Life-Balance geht, sondern um Life-Life-Balance“, sagte Linnemann, dieser nimmermüde Schreck aller Faulen und Schlaffen, im Mai dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Raus aus der sozialen Hängematte: Wer arbeiten kann, findet Linnemann, der muss auch arbeiten. Recht hat er. Die Zahl der Menschen, die nicht arbeiten, obwohl sie es könnten, ist in diesem Land dramatisch gestiegen.

Inzwischen gehen 872 000 Deutsche keiner geregelten Erwerbstätigkeit mehr nach, sondern leben von Dividenden, Gewinnausschüttungen oder Mieteinnahmen. Und weil die Aktienkurse gestiegen sind, die Profite sprudeln und eine gewaltige Erbschaftswelle übers Land rollt, werden immer mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Inzwischen lassen sich in Deutschland doppelt so viele wie vor 20 Jahren auf diese Art ihren Lebensunterhalt von der Allgemeinheit finanzieren.

Im ersten Moment fallen ihre Bezüge nicht als Transfereinkommen auf, weil keine staatliche Umverteilungsinstanz dazwischengeschaltet ist; das Geld wird direkt durch die unsichtbaren Hände auf ihre Konten gelenkt, fast als handelte es sich um einen natürlichen Prozess. Den Arbeitnehmern sind die Unternehmensgewinne bereits vom Lohn abgezogen, bevor die Gehaltsabrechnungen gedruckt werden.

Bild: privat
Bernd Kramer

Jahrgang 1984, hat VWL, Politik und Soziologie studiert und die Kölner Journalistenschule besucht. War von 2012 bis 2013 bei der taz im Inlandsressort zuständig für Schul- und Hochschulthemen.

Nur keine Pauschaldiffamierungen

Dort kann der Normallohnarbeiter nur noch lesen, wie viel Sozialversicherungsabgaben und Steuern vom Bruttogehalt abgehen. Damit lässt es sich viel leichter über die Bürgergeldempfänger, die vermutlich über alle Maße alimentiert werden, schimpfen, als über die Besitzbürgergeldempfänger, die ihren Teil längst kassiert haben. Natürlich tut man den Privatiers Unrecht, wenn man sie pauschal als Drückeberger diffamieren wollte. Manch einer hat ein hartes Schicksal.

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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

So kommt es bisweilen vor, dass ein Erwerbsloser umziehen muss, weil der Stellplatz vor dem Mehrfamilienhaus nicht ausreicht, um dort seine sechs Oldtimer sicher zu parken. Manche Familien kennen seit Generationen keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr; ihre Kinder haben Probleme in der Schule, weil sie zu Hause vorgelebt bekommen, dass es auch ohne Arbeit geht.

Es gibt Erwerbslose, die auf die leistungslose Unterstützung schlicht deswegen angewiesen sind, weil sie für den regulären Stellenmarkt ungeeignet sind: zu teure Klamotten, zwei linke Hände, keine Zeit. Manche argumentieren mit ihrer grundsätzlichen Lebenshaltung, wonach sie fremdbestimmte Lohnarbeit für menschenunwürdig halten. Also für sich selbst. Und dem will man natürlich nicht widersprechen.

Für einen Teil der Erwerbslosen konnten immerhin Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefunden werden, die zwar keinen erkennbaren produktiven Zweck haben, den Betroffenen aber doch eine Tagesstruktur ermöglichen. So lässt sich in eigens dafür eingerichteten Family Offices so etwas wie eine Beschäftigung vorgaukeln: auf Aktienkurse starren, Zahlen in Excel-Tabellen übertragen, Immobilienprospekte durchblättern, Geld von einem Familienkonto zum anderen und zurück überweisen, den persönlichen Vermögensberater bei der Bank anrufen.

Im Prinzip ein Ein-Euro-Job, ähnlich sinnfrei, aber in der Aufwandsentschädigung eher gehoben. Eine Lösung auf Dauer ist das nicht. Und natürlich ist es niemandem zu erklären, dass Menschen, die nicht arbeiten, mehr haben als die, die sich Tag für Tag ins Büro oder an die Werkbank schleppen. So etwas ist einfach ungerecht, empörend, ein Skandal – da liegt Linnemann nicht falsch. Deshalb sollten die Anreize zur Beschäftigungsaufnahme erhöht werden.

Vorbild neue Grundsicherung

Vermittlungshemmnisse müssen beseitigt werden, um den Besitzbürgergeldbeziehern den Weg in den normalen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die jüngst von der Koalition vereinbarten Verschärfungen beim Bürgergeld könnten hier als Vorbild dienen: Privatiers, die sich auch nach dreimaliger Aufforderung nicht zu einem Beratungsgespräch einstellen, muss ein Leistungsentzug drohen. Wer eine zumutbare Arbeit wiederholt ablehnt, dem sollten die Bezüge im Extremfall um 100 Prozent gekürzt werden.

Da die Auszahlung nicht von staatlichen Bankkonten erfolgt, müssten in diesem Fall die Finanzämter Amtshilfe leisten und das Besitzbürgergeld in Form von Steuern auf Kapitalerträge einziehen. Natürlich muss den Betroffenen dabei das Existenzminimum zum Leben verbleiben. Darüber wird das Bundesverfassungsgericht sorgsam wachen. Beim Bürgergeld, da war sich Hängemattenrüttler Carsten Linnemann sicher, könne man unfassbare Summen zusammenschütteln, um den Bundeshaushalt zu sanieren.

„Es sind sehr viele Milliarden, da bin ich mir ganz sicher“, hatte er Anfang Oktober im ZDF gesagt. Von den 30 Milliarden, die die Union großspurig im Wahlkampf versprochen hat, war da schon keine Rede mehr, auch nicht mehr von 5 Milliarden, auf die das Sparpotenzial über die Monate darauf zusammengeschrumpft ist. Was eine Vermögensteuer in die Kasse spülen könnte, lässt sich hingegen relativ genau berechnen, je nach Modell würde der Staat zwischen 25 und 108 Milliarden Euro einnehmen.

Wie gut, dass die Koalition ihren Streit um das Bürgergeld endlich beilegen konnte. Jetzt sollte sie sich mit der gleichen Hingabe um die Arbeitslosen am oberen Ende kümmern.

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