piwik no script img

Sozialdemokraten in ÖsterreichSPÖ zerlegt sich selbst

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlands, liefern sich einen internen Krieg. Der setzt der Partei zu.

Will an die Wähler, die zuletzt Grün gewählt haben: Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner Foto: Tobias Steinmaurer/imago

Wien taz | Was ist los mit der SPÖ? Das fragen sich mit Sorge ihre Anhänger und mit Häme ihre Gegner. Auf offener Bühne liefern sich Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes, einen Schlagabtausch, bei dem keine/r von beiden gewinnen kann.

Nach einem Versöhnungsgespräch, das Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) am Dienstag vermittelte, ist der parteiinterne Krieg vorerst abgesagt. „An oberster Stelle steht immer das Interesse der Partei und nicht von Personen“, sagte Doskozil. Rendi-Wagner gab das Ziel aus, „mehr an Vertrauen der Bevölkerung“ zu gewinnen: „Diesen Kurs muss man gemeinsam fortsetzen. Das Gespräch war ein erster wichtiger Schritt.“

Doskozil ist bei der SPÖ einer der prominentesten Fürsprecher einer restriktiven Asylpolitik

Die 50-jährige Rendi-Wagner ist politisch angeschlagen, seit sie beim Parteitag Ende Juni mit blamablen 75 Prozent der Delegiertenstimmen wiedergewählt wurde. Bei ihrem ersten Antreten vor drei Jahren waren es noch fast 98 Prozent gewesen. Es gab weder Gegenkandidaten noch eine kontroverse Diskussion, bei der sich die Kritiker der gelernten Epidemiologin aus der Deckung gewagt hätten. Sie sitzen mehrheitlich in den Landesverbänden Burgenland und Niederösterreich.

Vor Kraft strotzt vor allem der Burgenländer Doskozil, der vergangenes Jahr mit einer absoluten Mandatsmehrheit in seinem Bundesland ausgestattet wurde. Er ist bei den Sozialdemokraten der prominenteste Fürsprecher einer restriktiven Asyl- und Einwanderungspolitik, die sich wenig von jener der regierenden ÖVP von Sebastian Kurz unterscheidet.

Als dessen neokonservative Partei ÖVP 2019 bei der Nationalratswahl mit 37 Prozent der Stimmen einen Triumph feierte, stürzte die SPÖ auf 21 Prozent ab. Erst die durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Tage geförderten peinlichen Chatprotokolle, die Kurz als Mastermind des primitivsten Nepotismus und seine engsten Vertrauten als Clique von abgehobenen Emporkömmlingen entlarvte, verschafften der SPÖ etwas Aufwind. Vor dem Parteitag waren die Sozialdemokraten in manchen Umfragen auf 27 Prozent geklettert und die ÖVP auf 32 Prozent abgesackt. Eine politische Trendwende schien möglich.

SPÖ im Richtungsstreit

Da präsentierte die SPÖ scheinbar aus dem Nichts einen Vorschlag zur erleichterten Einbürgerung von Menschen, die mindestens sechs Jahre in Österreich leben. Zwar ist der Plan weder radikal noch unvernünftig, doch machten die medienversierten ÖVP-Sprecher daraus flugs einen gefährlichen Unfug, der darauf hinausliefe, islamistischen Terroristen die Staatsbürgerschaft hinterherzuwerfen. „Die österreichische Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut“, dozierte Kurz und drehte jede ernsthafte Diskussion ab.

Dass wenige Tage später ein 13-jähriges Mädchen tot aufgefunden wurde, das allem Anschein nach von afghanischen Asylbewerbern unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden war, beendete auch eine zaghaft begonnene Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen in das Kriegsland Afghanistan. Die SPÖ mit ihrem differenzierten Zugang hatte dabei nichts zu gewinnen.

Eines der aktuellen Probleme der einst stolzen Arbeiterpartei machte ein Herr Mitiszek deutlich, der sich bei einer Radiodiskussion zu Wort meldete. Er als Parteimitglied fühle sich von der „Lifestyle-Linken“ und der „Bobo-Kultur“ nicht angesprochen. Man dürfe die Dinge nicht mehr beim Namen nennen, ohne von selbstgerechten Hütern der Political Correctness zurechtgewiesen zu werden. Alois Reisenbichler, ein Veteran der Friedensbewegung, vermisse die Kapitalismuskritik.

„Die SPÖ muss authentisch werden“, wünscht sich auch Stefan Grasgruber-Kerl, Chef der Bezirkssektion in Wien Josefstadt. Er findet Rendi-Wagner zu lau. Sie habe den Kampf für Vermögenssteuern aufgegeben, bevor er noch begonnen wurde und bemühe sich, nirgends anzuecken. Im Richtungsstreit zwischen links-grünen Bobos und proletarischen Rechtsabbiegern stehe sie nicht klar auf einer Seite.

Problem des „innerparteilichen Widerspruchs“

Längst ist die SPÖ nicht mehr die Partei der Arbeiterklasse. Ein guter Teil davon ist zur rechten FPÖ abgewandert, die Zukunftsängste geschickt in Ausländerhass kanalisiert. Bei den jüngsten Nationalratswahlen konnte sogar Sebastian Kurz mehr Lohnabhängige von sich überzeugen, obwohl seine Partei von Millionären gesponsert wird und offen Politik für die Reichen macht.

Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle erkennt einen „innerparteilichen Widerspruch“. Anders als früher verlaufe die Konfliktlinie durch die Gesellschaft nicht mehr zwischen Arbeit und Kapital, sondern: „Blicke ich optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft. Ist eine multikulturelle Gesellschaft für mich positiv oder möchte ich sie abwehren?“

Man könne nicht beide Gruppen bedienen, ohne sich zu widersprechen. Doskozil und Rendi-Wagner würden diesen Widerspruch verkörpern: Der eine appelliere an die Wähler, die zur FPÖ abgewandert sind, die andere an jene, die zuletzt grün gewählt haben.

Eine Gratiszeitung titelte vor wenigen Tagen, dass sich eine Mehrheit der Wählerschaft Hans-Peter Doskozil als SPÖ-Chef wünsche. Allerdings wurden Wähler aller Parteien befragt. Dabei zeigte sich, dass die rechten Parteien FPÖ und ÖVP klar zum Burgenländer tendieren, während Rote und Grüne an Rendi-Wagner festhalten wollen. Man kann das als Aufforderung zu einem Lagerwahlkampf verstehen. Damit würde die SPÖ-Chefin allerdings politisches Neuland betreten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.