piwik no script img

Sozial ohne Mitsprache

Gekündigte Mitarbeiter, verhinderte Betriebsräte: Angesichts zunehmender Ökonomisierung kommt es auch im sozialen Bereich zur Behinderung gewerkschaftlicher Arbeit

Kämpfen lohnt sich: Solidarität mit Ines Heider vor dem Arbeitsgericht Foto: Elaine Toszka, klassegegenklasse.org

Von Anna Kücking

Leonora Hartung sitzt in einem Imbiss und isst ein Falafelsandwich, vor ihr liegt ein roter Schnellhefter. Sie blickt nachdenklich nach draußen auf den Popcornstand mit ikonisch rot-weißem Schirm, der neben einem Hochbeet mit tellergroßen Geranien steht. Sie habe es am Anfang nicht glauben wollen, sagt sie. „So viel Widerstand auf den Vorschlag, einen Betriebsrat zu gründen?“ Leonora Hartung ist Sozialarbeiterin und heißt eigentlich anders. Doch was sie macht, verletzt die festgefahrenen Hierarchien der hiesigen Arbeitswelt: Sie kritisiert die Geschäftsführung.

Was für Deutsche allgemein gilt – bei 59 Prozent löst der Gedanke an den Job mindestens einmal pro Woche starke Angstgefühle aus – trifft es auf Leonora Hartung noch stärker zu? Sich gegen den Arbeitgeber zu stellen, bedeutet in einem abhängigen Arbeitsverhältnis fast immer, die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen. Doch bei so viel Angst am Arbeitsplatz, ist es da nicht gerade gut, über Veränderung zu sprechen?

Eine Veränderung wollten auch Leonora Hartung und ihre Kolleg:innen. Vor allem wollten sie mehr Mitbestimmung. Aber, sagt sie: „Es war unmöglich, einen Betriebsrat zu etablieren.“

Union Busting – also die Behinderung von Gewerkschaftsarbeit und Organisierung in Betriebsräten – ist illegal. Dennoch geht Betriebsratsarbeit nicht selten mit Maßnahmen von Arbeitgebern wie Abmahnungen, Kündigungen oder Einschüchterungen einher. Auch in der Sozialarbeit kommt das immer wieder vor. Neu ist das nicht, in Zeiten des zunehmenden neoliberalen Umbaus auch in der sozialen Arbeit stellt sich jedoch die Frage: Hat Union Busting in dem Bereich zugenommen?

Spätsommer 2023. Wie viele andere Bereiche leidet die Soziale Arbeit unter Flexibilisierung und prekären Arbeitsbedingungen. Zwar verdienen So­zi­al­päd­ago­g:in­nen im Vergleich innerhalb des sozialen Sektors nicht schlecht – vor allem bei Trägern mit Tarifbindung (TVöD). Doch im Schnitt liegt das Einkommen im sozialen Bereich immer noch 17 Prozent unter dem anderer Branchen – der sogenannte Care Pay Gap. Besonders freie Träger kämpfen mit unsicheren, kurzfristigen Projektfinanzierungen – eine langfristige Perspektive fehlt.

Zusätzlichen Druck erzeugen die Sparmaßnahmen des Berliner Senats. Diese Politik des Ressourcenentzugs erhöht den emotionalen Druck auf Fachkräfte, die die Menschen, die sie betreuen, längst nicht mehr angemessen begleiten können.

Leonora Hartung arbietet zu dieser Zeit für einen Träger, eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in Berlin. Er zahlt überdurchschnittlich gut. Als sozialer Dienst ist er in der Wohnungslosen- und Eingliederungshilfe tätig. Seit 2017 vermietet er Wohnungen an Menschen, die auf dem entfesselten Berliner Immobilienmarkt selbst keine Möglichkeit haben, Wohnraum anzumieten und zu halten. Mit seinem Housing-First-Ansatz, wohnungslosen Menschen ohne Vorbedingungen eine Wohnung anzubieten, verhandelt er sozialpolitisch notwendige Schritte für eine gerechtere Verteilung von Wohnraum.

Auf seiner Website gibt sich der Träger „echt, innovativ, agil.“ Einer der Geschäftsführer hat einen Master in Business Administration. Titel seiner Abschlussarbeit: „Die Erhaltung des Humankapitals von älteren Mitarbeitern.“ Auch in der Sozialen Arbeit zählt das Kapital: Für jede Person, die in einer Wohnung untergebracht wird, bekommen Träger Geld. Immer wieder werden die Mitarbeitenden angehalten, für eine 100-prozentige Auslastung der Wohnungen zu sorgen. „Doch wenn alle Wohnungen ausgelastet sind, kommen wir im Team mit angemessener Begleitung gar nicht hinterher. Die Fluktuation ist zu hoch“, kritisiert Leonora Hartung.

Nicht alle sind zufrieden mit dieser Unternehmenskultur. Wieso also nicht einen Betriebsrat gründen, dachten sich einige Angestellte des Trägers. Als die Pläne die Runde machten, meldete sich prompt die Geschäftsführung. Mitbestimmung sei zwar gewollt, aber durch ein veraltetes Kontrollorgan wie einen Betriebsrat? Die Geschäftsführung stellt ihre Alternative vor: den „Common Purpose“. Doch dort war keine gewerkschaftliche Anbindung vorgesehen, erzählt Hartung. Gerade das sei den Beschäftigten aber wichtig gewesen.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat 2024 herausgefunden, dass etwa jede fünfte Betriebsratsneugründung behindert wird. Oft treten sie in inhabergeführten Unternehmen auf. In 62 Prozent der Fälle wurden potenzielle Betriebsratskan­di­da­t:in­nen eingeschüchtert. In 58 Prozent versuchten Arbeitgeber, die Bestellung des Wahlvorstands zu verhindern. In 45 Prozent unterstützten sie ihnen nahestehende Kandidat:innen, und in 21 Prozent wurden Kan­di­da­t:in­nen gekündigt.

Union Busting wird dabei flankiert von einer gesellschaftlichen Entwicklung, in Zuge derer öffentliche Mittel statt in soziale Sicherung vermehrt in Unternehmenssubventionen fließen. Die Idee dahinter: gestärkte Konkurrenzfähigkeit, Wachstum. Die Folge: Flächentarifverträge werden abgeschafft, Unternehmenssteuern gesenkt, Sozialleistungen gekürzt. Nach dem Prinzip „Workfare statt Welfare“ dominieren seit Jahren neoliberale Aktivierungslogiken auch die Soziale Arbeit. Sozialleistungen werden zunehmend an die Bedingung geknüpft, niedrig entlohnter Arbeit nachzugehen. Das wirkt sich auf Mitarbeitende und Menschen, die von ihnen begleitet werden, aus.

Ob im Zuge dieser Entwicklung auch Union Busting zugenommen hat, ist schwer zu belegen. Denn erst, wenn der Geschäftsführung eine gezielte Verhinderung von Wahlen oder mutwillige Kündigungen nachgewiesen werden können, spricht man juristisch von Union Busting. Und das ist schwer nachweisbar. In Berlin gibt es zwar eine spezialisierte Abteilung bei der Staatsanwaltschaft, die sich um solche Fälle kümmern soll. Doch in den vergangenen acht Jahren wurden alle eingegangenen Anzeigen eingestellt.

Arbeitsgericht in Mitte. Die Sonne scheint hell an diesem Morgen Anfang Mai, das Foyer des Berliner Arbeitsgerichts ist voller Menschen. Ein Polizist tritt auf eine kleine Menschenmenge zu und zeigt auf eine Person, die eine Weste der Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) trägt. „Ich habe die Anweisung bekommen, dass keine politischen Symbole erlaubt sind“, sagt er. „Das ist eine Weste der Gewerkschaft. Die sind oft bei solidarischen Prozessbegleitungen dabei“, erklärt der Anwalt der Klägerin ruhig. Nach einem kurzen Telefonat bestätigt der Polizist, dass die Weste okay ist.

Es ist der Gerichtstermin von Inès Heider, Sozialarbeiterin aus Neukölln. Sie trägt Sportjacke und Jeans. Knapp zwei Jahre zuvor, im Sommer 2023 hatte Heider in einer E-Mail über den internen Verteiler ihres Trägers auf einen GEW-Streik hingewiesen. In der Mail zitiert sie Kolleg:innen, die die Spaßmaßnahmen als „menschenverachtend“ bezeichnen. Der Träger wirft ihr vor, zu „wilden Streiks“ aufgerufen zu haben und kündigt ihr fristlos. Dabei war Heider im Wahlvorstand des Betriebsrats und stand unter Sonderkündigungsschutz. Obwohl in erster Instanz entschieden wurde, dass die Kündigung rechtswidrig sei, ging der Träger in Berufung.

„Es war unmöglich, einen Betriebsrat zu etablieren“

Leonora Hartung

Im Gerichtssaal springen die Anwesenden reflexhaft auf, als die Richterin in Alltagskleidung aus einem Hinterzimmer herauskommt. „Bitte setzen Sie sich, ich muss nur kurz was holen“, sagt sie und marschiert flott aus dem Raum. Als sie erneut erscheint, diesmal in Robe, stehen wieder alle. Nach 15 Minuten ist alles vorbei. Das Vorgehen des Trägers war rechtswidrig, urteilt die Richterin. Weder der Inhalt ihrer E-Mail noch deren Versendung rechtfertigten eine derart strenge Handhabung wie eine fristlose Kündigung. Es war nicht vertraglich festgehalten, dass es Heider verboten ist, den internen E-Mail-Verteiler des Trägers zu nutzen, und die Inhalte ihrer Nachricht fielen unter das Recht auf freie Meinungsäußerung, heißt es.

In dem Imbiss, in dem Leonora Hartung sitzt, ist mittlerweile ordentlich was los. An allen Tischen sitzen Menschen, trinken Chai, essen Salat oder Sandwiches. Auch bei ihrem Träger habe es Kündigungen gegeben, erzählt Leonora Hartung. Der Träger dementiert das auf taz Anfrage. Nachdem die Geschäftsführung ihre Konzepte vorgestellt hatte, setzt sie eine letzte Informationsveranstaltung auf das Datum, an dem auch die Wahl zum Wahlvorstand des Betriebsrats stattfinden soll. Danach soll abgestimmt werden: Betriebsrat oder das Modell der Geschäftsführung, der „Common Purpose“?

Am Ende entscheiden sich fast 80 Prozent der Mitarbeitenden für den Betriebsrat. Um die Wahl zu organisieren, fordert der Wahlvorstand bei der Geschäftsführung eine Mitarbeitenden-Liste ein. Fast zwei Monate vergehen. Eine Liste wird nicht geschickt. Doch der Träger kündigt eine Umstrukturierung an. Die sieben Standorte des Unternehmens werden in eigenständige Betriebsstätten aufgeteilt. Anstatt eines Betriebsrats für das gesamte Unternehmen müssten somit sieben gegründet werden. Die Mitarbeitervertretung zu etablieren, sei so massiv erschwert, sagt Leonora Hartung. Der Träger sagt auf taz-Anfrage, dass die Umstrukturierung in keinem Zusammenhang mit der Gründung des Betriebsrates stünden.

Seit der Aufteilung fühlt sich Leo­nora Hartung jedoch isoliert. „Wir arbeiten jetzt halt so vereinzelt vor uns hin“, sagt sie. Für sie ist klar: Es ging darum, einen unabhängigen Betriebsrat zu vermeiden. „Ich habe das Gefühl, es ist so normal, nicht mitzubestimmen, dass selbst das Einfordern eines Betriebsrates schon wirkt, wie ein radikaler Akt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen