Souveränitätsstreit im Indischen Ozean: Wem gehören die Inseln und Meere?
Der Gebietsanspruch von Mauritius auf den britischen Chagos-Archipel wurde gerichtlich bestätigt. Dazu gehört auch die US-Marinebasis Diego Garcia.
Die Inselgruppe, die mit Diego Garcia die größte US-Militärbasis im Indischen Ozean umfasst, sei illegal vom Inselstaat Mauritius getrennt worden. Die britische Hoheit müsse „so schnell wie möglich“ enden, um „Mauritius zu ermöglichen, die Dekolonisierung seines Staatsgebiets im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu vollenden“.
Geografisch ergibt das wenig Sinn: Die Chagos-Inselgruppe liegt gar nicht in der Nähe von Mauritius und ist geologisch die südliche Fortsetzung der Malediven. Aber sie war Teil des Kolonialgebietes Mauritius, das Frankreich im 18. Jahrhundert gründete und das 1814 an Großbritannien fiel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg löste Großbritannien sein Empire auf. Den Chagos-Archipel und andere entlegene Inseln aber wollten die Briten aus militärstrategischen Gründen behalten und gründeten dafür 1965 das separate Kolonialgebiet „British Indian Ocean Territory“. Dieses blieb britisch, als 1968 Mauritius und 1976 die Seychellen unabhängig wurden. Die Seychellen bekamen hinterher „ihre“ Inseln zurück – Mauritius „seine“ aber nicht.
Nur Entschädigung
Denn den Chagos-Archipel hatten die Briten längst den USA als Marinestützpunkt übergeben, per Pachtvertrag Ende 1966. Die mehreren tausend Einwohner – Nachkommen der im 18. Jahrhundert von Frankreich zur Arbeit auf Kokosplantagen angesiedelten Sklaven aus Afrika – wurden bis 1973 zwangsdeportiert, vor allem nach Mauritius. Bis heute dürfen sie und ihre Nachkommen nicht zurück. Britische Gerichte haben die Deportationen für illegal erklärt, aber es gab bloß Entschädigung.
Nicht die Zwangsumsiedlung hat jetzt aber den Internationalen Gerichtshof beschäftigt, sondern die Abtrennung des „British Indian Ocean Territory“ von Mauritius vor dessen Unabhängigkeit. Mauritius stimmte dem zwar formal zu, hält aber seinen Gebietsanspruch aufrecht.
Die UN-Vollversammlung, die weltweit das Ende kolonialer Besitzverhältnisse vorantreibt, hält die Aufspaltung eines Kolonialgebiets vor der Unabhängigkeit mit dem Ziel, es nicht komplett in die Unabhängigkeit zu entlassen, für illegal. Diese allgemein akzeptierten Rechtsauffassung haben nun die Richter in Den Haag erneut bestätigt.
Der Chagos-Archipel ist nicht das einzige Gebiet im Indischen Ozean, dessen territoriale Zugehörigkeit unter dieser Rechtsauffassung zur Disposition stehen könnte, wie der britische Jurist Jamie Trinidad in einem Artikel über die möglichen Auswirkungen des Chagos-Falls ausführt.
Teil des Staatsgebiets geraubt
Ebenso wie Mauritius 1968 von den Briten wurden beispielsweise auch die Komoren 1975 von den Franzosen bei ihrer Unabhängigkeit eines Teiles ihres Staatsgebiets beraubt. Mayotte, eine der vier großen Inseln der Komoren, blieb französisch, weil seine Bevölkerung beim Unabhängigkeitsreferendum von 1974 mehrheitlich für den Verbleib bei Frankreich gestimmt hatte – obwohl Frankreich versprochen hatte, die Einheit der Komoren zu wahren.
Mayotte ist heute ein französisches Departement und EU-Gebiet, während die Komoren es weiter beanspruchen. Immer wieder sterben komorische Bootsmigranten beim Versuch, die EU-Außengrenze nach Mayotte zu überqueren. Für die UNO und auch für die Afrikanische Union ist Mayotte ein noch zu entkolonisierendes Gebiet.
Weniger bekannt ist der Fall der vielen kleinen Inseln rund um Madagaskar, die nach Madagaskars Unabhängigkeit 1960 im Besitz Frankreichs blieben.
Die Îles Éparses, offiziell Teil der französischen Antarktis, sind unbewohnt. Daher sieht Paris das Selbstbestimmungsrecht der Völker hier als nicht gegeben an. Dieses Argument, das die territoriale Integrität von Kolonialgebieten ignoriert, hat nun Den Haag für den Chagos-Archipel gerade gekippt. Auf ihm lebt ausschließlich ausländisches Militärpersonal.
Sowohl Großbritannien als auch Frankreich legitimieren ihre Territorialansprüche im Indischen Ozean – Frankreich besitzt noch mehr Inseln näher an der Antarktis und an Australien – inzwischen ökologisch. Sie haben große Meeresflächen zu Schutzgebieten erklärt, was diese vor gefräßigen asiatischen Fangflotten schützen soll. Die lokalen Anrainerstaaten erkennen diese Schutzgebiete nicht an.
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