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Souverän am Pförtner vorbei

„Schneller Essen“ – 101 Kantinenkritiken für Leute, die gern auch mal mit Polizisten essen. Dringliche Warnung vor Bundeswehr-Kantine in Köpenick  ■ Von Andreas Becker

Restaurantkritiker wäre wohl jeder gern. Für ein paar hundert Mark Spesen essen gehen und dann rummäkeln – traumhaft. Restaurantführer durch die Hauptstadt aber verstopfen schon jetzt die Buchläden. Deshalb wagten sich zwei Profi-Esser jetzt auch in die Niederungen des öffentlichen Essensverzehrs. Nein, nicht schon wieder ein sozialkritisches Dönerbuch. Michael Ahlsdorf und Reinald Schlette haben sich durch 101 Kantinen gefuttert. Mangelerscheinungen will Ahlsdorf nach dieser Ochsentour nicht bei sich festgestellt haben. Denn schon am Geruch im Behördenflur kann der versierte Kantinenkritiker den Geschmack des Stammessens erschnüffeln.

In Köpenick bei der FrwAnSt Ost, der Freiwilligenannahmestelle der Bundeswehr, schlug den wehrbereiten jungen Männern ein solcher Dunst entgegen, daß sie es nur bis zum „Kasino“, einer Art Frittenbude, schafften. Das Betreten des „Speisesaals“ verhinderten ihre empfindlichen Mägen. Ein realistischer Vorgeschmack für freiwillige Soldaten auf Rühes Bundeswehrcatering in Kasernen und bosnische Feldküchen. Ahlsdorf: „Diese Bundeswehrkantine erfüllt alle Vorurteile, die man gegen Kantinen haben kann. Es ist der Geruch, das Ambiente – diese große Halle –, das Geschirrklappern, es ist einfach nur unangenehm.“

Das Hauptproblem eines schüchternen Kantinenessers sind feindliche Pförtner. „Souverän“ solle man die Gesichtskontrolle passieren, „auf keinen Fall Schwellenangst zeigen“. Wer so viel Selbstbewußtsein beim Kantinenfremdgang entwickelt, der dürfte auch in der Lage sein, einige der Speiseausgaben zu besuchen, denen im Kantinenführer die Bestnote „drei Suppenkellen“ gegeben wurde. Das sind immerhin rund zehn Prozent der getesteten, zum Beispiel die Kantine des Rathauses Schöneberg. Außerdem „wird auf jedes Gericht Dekorationspetersilie gestreut“. Betreiber dieser Luxusgaststätte ist der Gerresheim-Service, der auch in den Kantinen von Philharmonie, Komischer Oper und Staatsoper großzügig Grünzeugs auf Teller werfen läßt. Nicht getestet wurden Unimensen und nicht ohne Werksausweis zu erreichende Kantinen.

Das nach Bezirken geordnete Büchlein bietet einige Fotos von typisch tristen Kantinen und vernachlässigt in den recht kurzen Bewertungstexten auch die ästhetische Komponente der Restaurants nicht. Menschen, die einfach den Appetit verlieren, wenn sie ein quietschoranges Tablett beim Essen anstarrt oder wenn die Hydrokulturen trauriger als auf einem pflanzenmöblierten Postamt aussehen, werden nicht vorgewarnt. Statt dessen haben die Autoren vermerkt, ob Lesestoff vorhanden ist und natürlich was die Gerichte kosten. In der DIN-Behörde findet der ortsunkundige Esser den Weg, wenn er an der Ausstellung mit genormten Schrauben vorbeiflaniert. Im „Bärenmenü Casino“ vermißten die Autoren Schulterhalfter und Handschellen, denn hier diniert die Polizeidirektion Verbrechensbekämpfung. Ergebnis: nur eine Schöpfkelle.

Kantinentester Ahlsdorfs Lieblingsessen ist Hering. „Vollwertkost“ gibt's inzwischen fast überall, die meisten Köche wüßten allerdings nicht so genau, was das überhaupt ist. Größte Sorge der Köche ist das Phänomen des Verkochens und die Hautbildung auf Schüsselgerichten. In den Katakomben, Kantinen-Backstage, wo die brodelnden Riesentöpfe stehen, recherchierte man nur zaghaft: „Wenn man das Personal kennenlernt, entwickeln sich so gewisse Mitleidsfaktoren, so daß man am Ende nicht mehr objektiv über das Essen berichten kann.“ Um die Köche nicht nervös zu machen, verzichteten die Tester darauf, sich anzukündigen. Weiterhin ungeklärt bleibt die Frage, warum manche Tabletts an der einen Seite abgeschnittene Ecken haben.

Schneller Essen – 101 Kantinen in Berlin. be.bra Verlag, 19,90 DM

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