Sotschi 2014 – Skispringen, Einzel: Verheulte Siegerin
Carina Vogt sank ohnmächtig zu Boden. Ihr Make-up zeichnete Streifen. Sie gewann Gold, dabei hatte die 22-Jährige es nicht darauf abgesehen.
BERLIN taz | Wenn es eine sichere Aspirantin für diesen historischen Wettbewerb gegeben hatte, dann die Japanerin Sara Takanashi. Die Weltcupdauerkönigin – nur sie könnte die Premiere des ersten Frauenskispringens in der olympischen Geschichte gewinnen.
Meist lag sie vor ihren Rivalinnen mit komfortablen Vorsprüngen. Oder wenn nicht sie, dann wenigstens Sarah Hendrickson oder Lindsey Van aus den USA, die Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz oder die Deutsche Ulrike Gräßler – sie alle haben auf ihre je eigene Weise heftig dazu beitragen, dass die Weigerung des IOC, Frauen das Skispringen mit Medaillen zu verweigern, ausgehebelt werden konnte.
Aber Carina Vogt? Stand bei Weltcups manchmal auf dem Podium, mehr nicht. Dass sie dann aber alle Stars, ja, Avantgardistinnen ihrer Disziplin mit wenn auch geringem Abstand hinter sich lassen konnte: Nein, das hatte sie selbst nicht einmal vor dem Auftakt der Konkurrenz geglaubt. Doch Takanashi und Iraschko-Stolz zeigten, typisch für Olympische Spiele, Nerven – so lag Vogt schon nach dem ersten Sprung vorn.
Als sie schließlich als Letzte vom Bakken musste, war doch sonnenklar: Nein, die Vogt mag ja für eine Medaille gut sein – aber sie wird in der Luft vor Aufregung flattern und abstürzen Tat sie aber nicht. Wusste vor der Wertung aber nicht, wie viele Punkte zuerkannt werden. Dann blitzte das Resultat auf: Erste! Und dann machte sie, was eine Außenseiterin wie sie perfekt fürs Fernsehen zu tun hat: Sie sank halb ohnmächtig und jedenfalls überglücklich zu Boden, heulte gebührlich, ihr Make-up schmolz unter Tränen zu dünnen Streifen – Carina Vogt schien nur noch stammeln zu können.
Die Ulrike Meyfarth von Sotschi
Sie ist, mit den Erinnerungen an die Olympischen Spiele von München 1972, die Ulrike Meyfarth von Sotschi: Die Hochspringerin hatte damals auch gegen alle Prognostizierten gesiegt – und wurde hernach entsprechend von der Öffentlichkeit geherzt und gefeiert. Werblich gab sie eine prima Figur ab.
Das könnte auch der Skispringerin aus Degenfeld passieren: Sie wirkt freundlich und ein wenig scheu, absolut unroutiniert, fast unschuldig beglückt – also mit einer Aura versehen, mit der gut Sponsorenverträge zu ergattern sind. Vogts Vorgängerinnen, die das Skispringen olympisch sich erst erkämpften, gratulierten – als Mütter, die doch starke Töchter wollten – der Deutschen mit Respekt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!