Deutsche Goldmedaille im Teamspringen: Meister des Maßhaltens

Den Olympiasieg im Teamspringen betrachten die deutschen Flieger als Resultat der eigenen Unbeirrbarkeit. Sie verbessern sich beständig.

Stehen in der Luft: das deutsche Skispringer-Team auf dem Podium. Bild: dpa

Nach dem Sieg wurde Severin Freund grundsätzlich. „Skispringen wird auf extrem dünnem Boden gewonnen“, sagte er am Dienstag in einer Zirbelstube, die sich Deutsches Haus nennt. Weil das mit dem Boden ein bisschen kryptisch klang, bemühte er gleich noch den zweiten Severin’schen Lehrsatz der Weitenjagd: „Skispringen passiert in der Zehntelsekunde. Entweder man trifft den richtigen Punkt oder es geht daneben.“

Die deutschen Teamspringer hatten fast alle den richtigen Absprung erwischt, denn die Mannschaft um Freund (25), Andreas Wank (25), Marinus Kraus (23) und Andreas Wellinger (18) hat Olympiagold gewonnen vor den Österreichern, ganz knapp, mit nur 2,7 Punkten oder 1,5 Metern Vorsprung.

Freund behielt beim letzten Sprung die Nerven und fügte den Ösis die erste Niederlage bei einem großen Teamspringen seit 2006 zu. Das Quartett des Deutschen Skisprung-Verbandes (DSV) hat jetzt nach 1994 und 2002 zum dritten Mal bei Winterspielen gewonnen. „Mir ham a Mordsselbstvertrauen g’habt“, so Kraus. Er habe seine Sprünge halt so gemacht, „und alles andere passiert“, sagte ein offensichtlich schicksalsergebener Milchbart.

Sie sahen alle sehr frisch aus, als sie sich am Folgetag der Presse präsentierten. Abstürzen ist bei ihnen wohl auch nachts verboten. Es ging zwar recht lang, bis fünf Uhr in der Früh, aber so wie diese dürren Burschen ausschauten, hätte man sie getrost noch einmal zu einem verschärften Training auf die Schanze schicken können. Sie waren zwar nach ihrem Sieg im Deutschen Haus eingekehrt und später auch noch in der Austria-Absteige, aber über die Stränge geschlagen haben sie nicht. Skispringer sind eh Meister der Balance und des Maßhaltens.

Warten auf den großen Durchbruch

Größer waren die Augenringe da schon bei Bundestrainer Werner Schuster (44). Der Österreicher ist seit sechs Jahren Bundestrainer. Und seit sechs Jahren wartet die deutsche Presse auf den ganz großen Durchbruch eines Springers aus dem Schwarzwald, Allgäu oder von der Thüringer Höh. Vor vier Jahren konnten Schusters Leichtgewichte immerhin Silber im Teamwettbewerb von Vancouver gewinnen, aber ein herausragender Individualist und Seriensieger wird bis heute vermisst.

Zuletzt wurde das durchwachsene Abschneiden der DSV-Springer bei der Vierschanzentournee ziemlich hart kritisiert. Die Süddeutsche Zeitung schrieb etwa: „In der sechsten Saison darf eine gelungene Aufbauarbeit mehr bringen als ein Zwischenergebnis im Mittelmaß.“ Immer wieder hieß es, die Springer seien im entscheidenden Moment psychisch zu labil, Schuster würde ihnen zu wenig Dampf machen. Kurzum: Es herrsche zu viel Harmonie im Team. Recht oft las man in den vergangenen Wintern die boulevardeske Schlagzeile: „DSV-Adler stürzen ab.“ Doch nach dem Erfolg von Sotschi fühlt Schuster sich bestätigt in seiner jahrelangen Friemelei an diversen Stellschrauben des Verbands.

Manch einer verlor die Geduld, nicht aber Schuster. „Ich habe nie an meiner Grundkompetenz gezweifelt“, sagte er. Coachen, das sei wie eine Bergwanderung: Man müsse langsam und stetig vorangehen, im Nebel nicht etwa umkehren, sondern weiter Richtung Gipfel aufsteigen. Der Vorarlberger Schuster glaubt nun endgültig, die „Durststrecke“ gemeistert zu haben: „Von diesem Erfolg profitiert der deutsche Skisprung noch in den nächsten zwanzig Jahren, wir haben einiges auf die Reihe gekriegt.“

Er dankte dem Verband, dass er so lange ungestört habe arbeiten können. Für seine Verhältnisse wurde er fast schon ein wenig überschwänglich, als er ankündigte: „Wir sind noch nicht am Ende, das ist nur ein Zwischenhoch.“ Bis dieses oder jenes „durchsickert bis zum letzten Nachwuchstrainer, das dauert schon mal vier oder fünf Jahre“, sagte der Bundestrainer. Schuster hat, wie er anführte, „eine einheitliche Linie im Technik- und Athletiktraining“ etabliert und „die Wertigkeit des Kader- über das Stützpunktpunktsystem“ gestellt. Das klang ein bisschen technokratisch und hat wohl nicht jeder verstanden. Aber nun ja: Der Erfolg gibt ihm recht.

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