Sondierer beraten zu Ganztagsbetreuung: Hort der Bildung

Bei den Sondierungen zu einer möglichen Jamaika-Koalition sind alle für ein Recht auf Ganztagsbetreuung für Schulkinder. Streit gibt es trotzdem.

Zwei Schulmädchen gehen Arm in Arm auf eine Garderobe zu

Bund und Länder müssten sich bei der Ganztagsbetreuung unter die Arme greifen – das verhindert aber das Kooperationsverbot Foto: dpa

BERLIN taz | Für Grundschülerinnen und Grundschüler könnte die Schule in Zukunft jeden Tag um 16 Uhr enden. Geht es nach den PolitikerInnen von Union, FDP und Grünen, die gegenwärtig die Möglichkeiten einer künftigen gemeinsamen Regierung ausloten, soll unter einer Jamaika-Koalition jedes Kind in der Grundschule einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung erhalten. Dies berichtet am Dienstag die Rheinische Post unter Berufung auf ein Familien-Papier der Unterhändler, welches der Zeitung vorlag.

Die CDU hatte einen solchen Rechtsanspruch in ihrem Regierungsprogramm gefordert, auch Grüne und FDP bekennen sich zum Ausbau der Ganztagsschulen. Über den Weg dahin sind sich die Parteien jedoch uneins. Wie die Hamburger FDP-Politikerin Katja Suding der taz mitteilte, stehe die FDP zwar hinter dem Ziel, das Ganztagsangebot auszubauen. „Einen Rechtsanspruch würde die FDP aber von der Abschaffung des Kooperationsverbots und an den Finanzierungsvorbehalt knüpfen.“

Sollten die Pläne dennoch umgesetzt werden, wäre das ein Paradigmenwechsel in der Schule – ähnlich dem Kitaausbau unter der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU).

Während Kleinkinder seit 2013 ab dem ersten Geburtstag das Recht auf frühkindliche Förderung haben, gilt mit der Einschulung wieder das Prinzip: Nachmittags sind die Eltern zuständig. In allen Bundesländern sind zwar im Zuge des bundesweiten Ganztagsschulprogramms in der vergangenen Dekade Zigtausende Ganztagsplätze an Schulen entstanden. Gegenwärtig lernt jeder vierte Schüler an einer Ganztagsschule. Aber um den elterlichen Bedarf zu decken, fehlen allein an Grundschulen rund 1,5 Millionen Plätze bis 2025. Das zeigt eine Studie, welche die Bertelsmann-Stiftung vor einer Woche veröffentlichte. Und das Bundesprogramm zum Ausbau der Ganztagsschulen lief 2009 aus.

Der Bund darf nicht investieren, dank Roland Koch

Doch bevor die Eltern jetzt erneut Hoffnung schöpfen dürfen, müssen die Jamaika-Sondierer, wie erwähnt, gleich mehrere Hindernisse aus dem Weg räumen: Ein zentrales ist das sogenannte Kooperationsverbot, welches schulische Angelegenheiten unter die Hoheit der Länder stellt. Der Bund dürfte, selbst wenn er wollte, gar nicht in Ganztagsschulen investieren. Ironie der Geschichte: Der entsprechende Passus war 2006 gerade wegen der Ganztagsschulen ins Grundgesetz gewandert – vornehmlich auf Betreiben des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). Der wollte ein zweites milliardenschweres Ganztagsschulprogramm des Bundes, wie es die SPD 2002 angestoßen hatte, verhindern.

Die Union hält auch weiterhin am Kooperationsverbot fest und möchte ihre Ganztagsschuloffensive nun über einen Umweg, nämlich über die im Sozialgesetzbuch geregelte Kinder- und Jugendhilfe lancieren. Die regelt unter anderem die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen.

An Grundschulen fehlen rund 1,5 Millionen Ganztagsplätze bis 2025

Das stößt auf Kritik bei FDP und Grünen. Nicht nur die Liberalen, auch die Grünen wollen das Kooperationsverbot abschaffen, haben bisher jedoch keine Einigung mit der Union erzielt.

Teuer ist der Vorschlag außerdem. Laut Bertelsmann-Stiftung könnten die Personalausgaben für die Grundschulen bis 2030 um 4 Milliarden Euro pro Jahr steigen – allerdings nur, wenn alle Kinder am Ganztagsprogramm teilnehmen und LehrerInnen und ErzieherInnen den Tag gemeinsam gestalten.

Personal fehlt schon jetzt

Das gegenwärtige Konzept, den Ganztagsausbau allein über die Familienpolitik und damit über zusätzliche ErzieherInnen abzudecken, stimmt den Ko-Autor der Studie, Dirk Zorn, eher besorgt: „Eine Ganztag, der allein auf zusätzliche Betreuung, etwa durch ErzieherInnen, setzt, könnte zu einem Mangel an pädagogischen Fachkräften führen.“

Viele Kommunen haben bereits jetzt Schwierigkeiten, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz zu gewährleisten, da das Personal fehlt, um die Kinder zu betreuen. Während derzeit 93,6 Prozent der Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren bundesweit eine Kita besuchen, nimmt laut Bertelsmann-Studie nur jeder dritte Primarschüler am Ganztag teil.

Zorn lehnt einen reinen Betreuungsausbau aber auch aus pädagogischen Gründen ab: „Bei Ganztag geht es nicht allein um bessere Betreuungsmöglichkeiten und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wenn die Ganztagsschule pädagogisch wertvoll gestaltet werden soll, muss dies in schulischer Verantwortung geschehen und die Kultusministerien müssen mit in die Verantwortung genommen werden.“

Ähnlich sieht es auch der deutsche Städtetag. Dessen Präsidentin, die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Eva Lohse, appellierte im September an Bund und Länder, die Ganztagsangebote an Schulen auszubauen: „Ein individuelles Recht auf ganztägige Betreuung und Förderung von Grundschülern sollte man allerdings dort ansiedeln, wo es hingehört, nämlich an den Schulen“, erklärte Lohse. Ein Rechtsanspruch über die kommunale Jugendhilfe, wie er auf Bundesebene diskutiert werde, sei der falsche Weg.

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