Sonderjustiz und Frieden in Kolumbien: Prozessauftakt gegen Farc-Guerilleros
Erstmals haben sich ehemalige Rebellen der Justiz gestellt. Mehr als 50 Jahre Krieg zwischen Regierung und Guerilla sollen aufgearbeitet werden.
Eineinhalb Jahre nach dem historischen Friedensvertrag in Kolumbien hat die Sonderjustiz für den Frieden ihre Arbeit aufgenommen. Am Freitag erschien die Führungsriege der ehemaligen Farc-Guerilla zum ersten Mal vor der Justiz. 31 früheren Farc-Kommandierenden werden bis zu 8.500 Entführungen in den Jahren 1993 bis 2012 zur Last gelegt. Dabei geht es auch um Folter, Ermordung und das Verschwindenlassen der Entführten.
Die Sonderjustiz für den Frieden ist ein wichtiger Bestandteil des Friedensabkommens, dass Regierung und Guerilla 2016 unterzeichnet hatten. Mit ihr sollen alle am Konflikt beteiligten Parteien für Morde, Entführungen, Vergewaltigungen, Folter und Vertreibungen zur Verantwortung gezogen werden. Es geht aber vor allem um Aufklärung der Taten und der Schicksale der bis heute Verschwundenen.
Nach Angaben des Historischen Zentrums der Erinnerung Kolumbiens haben die fünf Jahrzehnte der militärischen Auseinandersetzungen, an denen auch andere Guerilleros und Paramilitärs beteiligt waren, rund 6,5 Millionen Opfer gefordert. 5,7 Millionen Menschen wurden vertrieben und 220.000 Menschen getötet. 27.000 Menschen wurden entführt, rund 60.000 Personen sind verschwunden.
Seit Freitag wird nun erstmals vor der Sonderjustiz die Verantwortlichkeiten von 31 darin Verwickelten geklärt. Zum Auftakt waren mit Rodrigo Londoño alias „Timochenko“, Pablo Catatumbo und Carlos Lozada lediglich drei frühere Farc-Kommandeure erschienen. Ein Weiterer wurde per Video zugeschaltet. Die anderen ließen sich von ihren AnwältInnen vertreten.
Über zwei Milliarden Dollar durch Entführungen
Am Ende des jetzt begonnen Verfahrens werden jedoch keine Urteile stehen. Aufgabe der „Kammer für die Anerkennung der Wahrheit, Verantwortung und Feststellung der Taten und Ausführungen der Sonderjustiz für den Frieden“, so der volle Name, ist es, alle bisherigen Ermittlungsergebnisse und Urteile aus früheren Prozessen zu Verbrechen im Zusammenhang mit dem über 50-jährigen Konflikt zu bündeln und zu klären, welche Taten als schwere Verbrechen strafrechtlich verfolgt werden sollen. 86 Berichte wurden der Kammer vorgelegt, darunter auch ein umfassender Bericht der Generalstaatsanwaltschaft, aus dem hervorgeht, dass die Guerilla über zwei Milliarden Dollar mit den Entführungen erpresst haben sollen.
„Die Vorgeladenen haben jetzt Zeit zum Lesen und um sich vorzubereiten. Danach rufen wir sie dazu auf, Stellung zu beziehen,“ so die Vorsitzende Richterin Julieta Lemaitre. Sie und ihre vier KollegInnen hoffen auf die aktive Aufklärung durch die mutmaßlich Beschuldigten. Als Anreiz dient die Aussicht auf Strafmilderungen oder gar Straffreiheit bei weniger schweren Straftaten. Erwartet wird ein langjähriges Verfahren. Einen Termin für die nächste Sitzung setzte Richterin Julieta Lemaitre nicht fest.
Nach der Sitzung entschuldigte sich die heute als politische Partei organisierte Farc (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común/Alternative revolutionäre Kraft des Volkes): „Wir bitten alle um Verzeihung, wir werden alles nur Mögliche tun, damit die Wahrheit über das Geschehene bekannt wird. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, dass sich solche Taten niemals wiederholen werden,“ so die Farc in ihrer Stellungnahme, in der sie sich über die Anwesenheit der Medien und den digitalen Livestream bei der Sitzung beschwerte. Zudem sei unerlaubterweise der Bericht der Generalstaatsanwaltschaft der Presse zugespielt worden.
„Die juristische Aufarbeitung der während des Konflikts verübten Verbrechen ist eine wichtige Komponente des Friedensprozesses“, sagte Kai Ambos. Der Professor für internationales Strafrecht an der Universität Göttingen unterstützt die Sonderjustiz in Kolumbien als externer Berater. „Es dürfte schwer werden, den Farc-Anführern die Verantwortlichkeit für einzelne Entführungen nachzuweisen“, räumte Ambos gegenüber der Nachrichtenagentur dpa ein. Entscheidend sei jedoch, dass die Täter am Ende in irgendeiner Weise zur Verantwortung gezogen werden würden.
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