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Sommer in KonstanzSprung in den Rhein

Konstanz liegt am Bodensee. Dennoch steigen seine Bewohner*in­nen besonders gern an einer Stelle ins Wasser, die kein See, sondern ein Fluss ist.

Geht ganz ohne Eintritt: Rheinschwimmen in Konstanz Foto: Marc John/imago

Zum Rheinbaden geht es in Konstanz über eine Fahrradbrücke. Sie ist geschwungen wie die über den „Seerosenteich“-Bildern von Claude Monet, nur sehr viel weiter gespannt, und fungiert als inoffizieller Sprungturm, was vielleicht der Grund für die Beliebtheit der Badestelle bei jungen Menschen ist: Das verbotene Springen verleiht dem Flussbaden einen kleinen Thrill.

Bei Konstanz verengt sich der Bodensee auf vier Kilometer zum Seerhein, die Badestelle ist zentral in einem öffentlichen Park gelegen, dem Herosé-Park. Eine Besonderheit des Parks mitten im Stadtalltag ist die Vermischung der Sphären: Kein Drehkreuz trennt Berufsalltag und Anzüge von Bikinis und Besäufnis, keine Dauerkarte verlangt, mich in eine Freibadbesucherin zu verwandeln.

Unpassend freizügig

Es fühlt sich anfangs an, als säße ich in Unterwäsche im Wartesaal des Bürgeramts, unpassend freizügig. Aber dann sehe ich einen muskulösen Typen Gymnastikübungen machen und entspanne mich. Die Verkehrsader pumpt Fahrräder und Spazierende mitten durch die Liegewiese. Kippenstummel liegen im Gras. Der Geruch einer weggeworfenen Windel zieht aus dem Mülleimer zu mir.

Schwimmen ist wie Fliegen. Nicht wie das umweltbelastende Sitzen im Polstersitz einer Maschine, sondern wie das sanfte Abheben im Traum. Das Wasser umfängt uns, die Sinne des Gehens weichen den Sinnen des Schwebens. Sogar im Chlorwasser eines gekachelten Schwimmbeckens unter beißend weißem Licht funktioniert das für mich jedes Mal, dieses Glück des anderen Seins im Wasser.

Dennoch bleibt es im Schwimmbad eine Vorbereitung auf das Echte: Das lebendige, unvorhersehbare, wilde Wasser, mit dem man sich anlegen kann, in dem Tiere leben, das mal weich und hell ist, mal dunkelgrün und glatt.

Gegen die Strömung

Wie in eine Hausfassade die Frage eingemauert ist, ob du hochkletterst oder ein Bach nicht ohne die Prüfung denkbar ist, ob du drüber springst, strudelt der Fluss mich an: Und, kannst du? Schaffst du es, gegen die Strömung anzuschwimmen? Schaffst du es auf die andere Seite? Tauchst du zu meinem Grund?

Der Seerhein ist gnädig, sein ruhiges Wasser lässt einen immer gewinnen. Es ist eher ein Planschen und Abkühlen als kämpferischer Sport. Ohne Mühe könnte ich auf die andere Seite schwimmen und am Schweizer Ufer aussteigen. Ich könnte mich auch flussabwärts zum Bodenseeforum treiben lassen, rausklettern, meine Kleidung aus dem wasserdichten Rucksack ziehen und einen Vortrag hören gehen.

Die britische Journalistin Elaine Morgan glaubte, der moderne Menschen habe sich im Flachwasser entwickelt. Er habe den aufrechten Gang und die für Savannentiere ungewöhnliche Fettschicht nur gebraucht, um besser umherwaten zu können. Wenn ich in der Hitze als Seelöwin am Ufer liege und mich in Richtung Wasser rolle, denke ich gern an sie und ihre von der Wissenschaft abgelehnte Fringe-­Theo­rie vom Wasser-Affen.

Glücklich sind die, die nah am Wasser leben. Glücklich bin ich.

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