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Sommer im UkrainekriegLauter als die Sirenen

Die ukrainische Hauptstadt ist nahe und der Krieg bestimmt die Gespräche. Wie ein Sommerausflug an den Fluss Stuhna dennoch etwas Leichtigkeit bringt.

Der Dnipro in Saporischschja Foto: Albert Koshelev/imago

Ufer der Stuhna taz | Am Ende des Tages werden es nur noch die Ameisen sein, die uns Schmerzen zufügen. „Sie beißen mich in den Arsch“, sagt Khrystyna, als der Himmel vom Hellblau ins Hellgraue gewechselt hat. Sie sagt es auf Ukrai­nisch, Russisch und Englisch, damit es auch jeder versteht. Wir sind ja nur sechs hier am Strand, sechs Freund:innen.

Wir waren mal sieben, aber der Angler hat sich verzogen, nachdem wir ihn erst freundlich gefragt hatten, ob wir hier sein dürften, und dann laut schreiend ins Wasser rannten. Die Sirenen haben wir fast nicht gehört, so laut waren wir. Ihr Heulen kam von der anderen Seite des Flusses, von hinter den Bäumen. Die Sonne schien grell von dort zu uns hinüber. Die Sirene. Das Ende eines Luftalarms. Eigentlich ist Krieg.

Mit glühenden Zigaretten sitzen wir 45 Kilometer südlich von Kyjiw an einem Strand. Oder sind es 50 Kilometer? Es könnten 1.000 an diesem Tag sein. Es ist Krieg, aber wir sind hier draußen. Die schmale Stuhna schiebt ihr trübes Wasser an uns vorbei in Richtung Dnipro. In ein paar Windungen nur hat sie es geschafft. Dann saugt der Riesenfluss alles auf, was sie zu bieten hat, und reißt es nach Südosten mit, weiter nach Cherson und dann ins Schwarze Meer.

Cherson. Wir waren doch eben noch dort. Lizza, Slava und Khrystyna, weil sie Dokumentarfilme drehen über diesen Krieg. Ich, weil ich darüber schreibe. Wir haben überschwemmte Straßen und Häuser gesehen. Wo das Wasser weg ist, ist der Schlamm geblieben und saugt sich an jedem Schuh fest. „Wie in einem Computerspiel sieht es hier aus“, hat Lizza in Cherson gesagt, immer wieder. Dass sie doch noch etwas fassungslos machen kann, nach neun Jahren Filmen im Krieg in der Ostukraine.

Der Checkpoint ist am Wochenende nicht besetzt

Auch Khrystyna wollte am Ende nur noch weg aus Cherson. Sie war sogar in Bachmut, dieser von Russlands Artillerie zu einer Mondlandschaft zerbombten Stadt. Das Wasser sei fast schon wieder abgeflossen aus Cherson, so viel Nachrichten lesen wir dann doch noch am Strand. Wir lesen, dass der Dnipro Öl und unbekanntes Gift nach Süden trägt. Und sehen ein Video, auf dem das Schwarze Meer vor Odessa grün ist; ein helles Giftgrün, nicht das freundliche Schlamm-und-Algen-Grün der Stuhna hier vor uns. Wir sitzen stromaufwärts und sind dankbar dafür.

Sasha legt Holz ins Feuer. „Das muss brennen, bis da nur noch glühende Asche ist“, sagt er. „Nur dann wird das Schaschlik gut.“ Er trägt sein langes Haar offen und Lizzas geflochtenen Hut mit dem weißen Band. Er lächelt. Was für eine Angst er hatte, vor der Fahrt mit dem Bus hierher. Angst vor dem Checkpoint zwischen Kyjiw und der Kleinstadt unweit unseres Strandes. Sasha ist 24 Jahre alt, noch anderthalb Jahre, bis ihn die Armee einziehen könnte. „Sie wollen nur die ab 26 als Soldaten“, sagt er.

Aber er ist noch dort gemeldet, wo er geboren wurde, in einer Stadt im Osten und nicht in der Hauptstadt, wo er eigentlich wohnt. Er will nicht auffallen bei einer Militärkontrolle. Er fürchtet, sie könnten ihn doch schon holen, er fürchtet den Krieg. Wie oft hat Lizza ihm am Telefon gesagt, dass dieser Checkpoint am Wochenende nicht besetzt ist? Egal. Sasha liegt hier und starrt in die Flammen. „Aua.“ Khrystyna schlägt mit einer Hand auf ihr rechtes Bein. Die Ameisen. Ein guter Schmerz, er bleibt nicht lang.

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