piwik no script img

Somewhere Over the Rainbow

Seit Gründung der ersten CSDs wurde viel erreicht. Doch wohin geht die Reise weiter? Eine offene Debatte, die Konflikte austrägt, ist kein Akt der Spaltung, sondern nützt der Stabilität

CSD, größer denn je: Selbst in Kleinstädten wird paradiert Foto: Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopress/picture alliance

Von Jan Feddersen

Um meine Sprecherposition, für viele nicht überraschend, gleich zu Anfang dieses Textes zu offenbaren: Ich bin ein, wie es oft verächtlich heißt, alter weißer Mann und schreibe über Queeres (meist, aber seltener werdend) in dieser Zeitung seit meinem Volontariat in den späten achtziger Jahren. Währenddessen habe ich jede bürgerrechtliche Action kritisch begleitet, sowieso die für die Abschaffung des Schandparagrafen 175, und finde außerdem, dass der Kampf (und sein Erfolg 2017) für die Ehe für alle ein Meilenstein in der Geschichte der Bundesrepublik war.

Das, was als CSD-Saison in diesem Jahr schon im April begann und bis in den Oktober noch reicht, habe ich mit angestiftet: nämlich 1980 in Hamburg den ersten CSD, der damals noch nicht so hieß. Homosexuelles öffentlich zu zeigen, war wichtig und auch eine Art Identitätspolitik, weil Schwules und Lesbisches damals nur Gegenstand von Getuschel und Anschwärzung, nicht von staatsbürgerlichem Stolz gewesen ist. Die CSD-Saison ist inzwischen größer denn je, selbst in Kleinstädten, was uns damals vollkommen abenteuerlich vorgekommen wäre, wird paradiert.

Wir hatten Erfolg, und wie! Das sittliche Gefüge – und die an diesem hängenden Gesetze – sind tüchtig aufgelockert worden. Zwar sind Coming-outs immer noch häufig Akte größter Überwindung, vor allem in den Elternhäusern, die sich keine schwulen oder lesbischen Kinder wünschen. Auch in Schulen oder im Job kann es noch schwer sein. Gemessen aber an der Zeit vor einem halben Jahrhundert sind die Verhältnisse so viel besser geworden, was wiederum nur Älteren bewusst sein kann. Heute sind wir überall, bis in die kleinsten gesellschaftlichen Verästelungen, in allen Parteien, Verbänden bis hin zu Kleingarten- oder Sportvereinen. Gut so. Nun muss niemand mehr sich verstecken, aber kann es: Die Homosexualität einer Person heißt ja nicht, sich outen zu müssen.

In diesem Jahr ist indes eine Vielzahl von Konflikten zu registrieren. Nicht allein, dass viele Unternehmen keine Sponsorengelder mehr zahlen und damit die Finanzierung für einen CSD schwieriger geworden ist. Das muss keine schlechte Entwicklung sein: Ein CSD soll eine politische Manifestation sein, kein Umzug mit Sponsorentrucks. Unsere Paraden sind, ob direkt politisch artikuliert oder nicht, Umzüge von queeren Menschen, die sich bei dieser Gelegenheit überhaupt trauen, sich offen zu zeigen. Auch gibt und gab es Konflikte um die Regenbogenflagge, die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nur einmal jährlich am 17. Mai zum Internationalen Tag ­gegen Homophobie gehisst sehen will, nicht jedoch zum CSD Berlin. Für Aufregung sorgte auch, dass sie Bundestagsmitarbeitenden nicht erlaubte, als Gruppe des Bundestags zum CSD zu gehen. Wobei: Der Streit dreht sich nicht darum, ob die Mitarbeitenden überhaupt dürfen. Natürlich können sie, aber als offizielle Delegation eben nicht. Der CSD wird offiziell immer noch als politische Demo angemeldet. Vermutlich liegt das Haar in der Suppe auch beim Geld: Wäre eine CSD-Teilnahme Arbeitszeit? Eine Frage, die viele Mitarbeiter von geförderten Projekten sich auch stellen – und sie bejahen, was auf ein staatlich betreutes und finanziertes Paradieren hinausläuft, sehr dem Geist von politischen Paraden zuwiderlaufend. Man erkennt: CSDs sind als Organisationsgefüge kompliziert.

Zank und Hader gab es auch jüngst beim CSD in Köln: Israelische Fahnen, solche, die auf dem CSD in Tel Aviv, dem einzigen im Nahen Osten, geschwenkt werden, waren verboten. Palästinensische Fahnen waren hingegen nicht verboten. Seltsame Konstellation: Das politische Zeichen eines queerphoben Regimes genießt Toleranz, das Land, in dem mittelmeerweit die größten CSDs stattfinden, wird ausgegrenzt. Klar, das wird mit der militärischen Auseinandersetzung Israels mit der terroristischen Hamas im Gazastreifen begründet, aber ein CSD, der nicht einmal von seinen palästinensisch Identitären politische Queerfreundlichkeit abverlangt – das ist eine gespenstische Entwicklung.

Nicht minder steht als Objekt des Zanks ein Elefant im Raum, der sich Selbstbestimmungsgesetz nennt. Dank dieses Gesetzes kann eine Person per Selbsterklärung auf dem Standesamt in ein anderes Geschlecht wechseln. Grüne, Liberale und Sozial­demokraten feiern sich dafür, andere kritisieren sie, auch der Autor dieser Zeilen. Denn dieses Gesetz führt auch dazu, dass Menschen wie eine queerfeindliche neonazistische Person in Ostdeutschland über eine Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ den Rechtsstaat herausfordern kann. Diese Person wird verlangen, eine Haftstrafe im Frauengefängnis absitzen zu dürfen und verklagt Medienhäuser, wenn von ihr als „Mann“ berichtet wird. Das finden selbst einige transaktivistische Menschen empörend, obwohl sie das Gesetz selbst so sehr wollten. Die CDU/CSU möchte das Gesetz evaluieren. Hoffentlich sieht dann auch die SPD, dass solche Sicherheitslücken nicht tragbar sind.

Nicht minder muss erwogen werden, dass, wie in vielen Ländern Nordeuropas und Großbritannien, Pubertätsblocker nicht mehr Minderjährigen verabreicht werden. Man weiß aus der pharmakologisch-medizinischen Forschung, dass diese Hormone Körper schädigen können und keineswegs eine harmlose Pausetaste sind, wie transaktivistische Lobbyisten gern behaupten. Ein öffentlicher Diskurs hierzu, wenigstens zu den Expertisen in anderen Ländern? Fehlanzeige.

Strittig ist jedoch nicht: Jede Trans*person, die angegriffen wird, je­de*x nonbinäre Mensch, jede homosexuelle Person, die Opfer von Gewalt wird, verdient nicht nur unsere Solidarität. Sondern die aller, denen etwas an einer bunten Gesellschaft liegt.

Das Selbstbe­stim­mungs­gesetz ist nur einer der Elefanten im Raum

Insofern ist es auch irrig zu vermuten, der LGBTI*-Kampf drehe sich bitte nur gegen die AfD, gegen rechtsradikal inspirierte Gruppen, vornehmlich in Ostdeutschland. Es mag zutreffen, dass Rechtsextreme es besonders auf schutzbedürftige Minderheiten abgesehen haben, aber für viele LGBTI*-Leute sind Islamisten die naheliegendere Gefahr. Aber das soll nicht gesagt werden, weil eine solche Aussage ja nur den rassistischen Rechten nütze. Diese Haltung ist aber falsch: Viele geflüchtete Queers begegnen hierzulande häufig jenen Menschen, vor denen sie sich gerettet haben – in die Freiheitsmöglichkeiten einer offenen Gesellschaft.

Leider gibt es nur wenige, eigentlich gar keine Foren, in denen diese Konflikte erörtert, ausgetragen und verfriedlicht werden können: Die Community und ihre Lautsprechenden appellieren unentwegt gegen die sogenannte Spaltung der Szene an – und das trägt auch nicht gerade zur Debatte bei. Tatsächlich leben wir in den freiesten, auch queeren Verhältnissen, die es jemals in Deutschland gab. Streit gehört aber zu demokratischen Verhältnissen wie sonst nichts: Das ist keine Spaltungsoperation, sondern ein Akt, der der Stabilität einer politisch-kulturellen Bewegung nützt.

„Somewhere Over the Rainbow“ war das Lied, das Motto der Stonewall-Revolte im Juni 1969 in New York, Filmstar Judy Garland eine Ikone schwuler Männer (gleich welcher Hautfarbe) und der Dragszene. Heute lässt sich sagen: Viel erreicht, und es geht immer weiter. Bloß wohin?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen