Somalische Seeräuber in kenianischer Haft: Das Gefängnis der Piraten
Wenn somalische Seeräuber europäischen Marinen ins Netz gehen, landen sie in Kenias sicherster Haftanstalt. Die Anwälte der Piraten sagen, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen.
MOMBASA taz | Man sagt, das Shimo la Tewa ist das einzige Gefängnis in Kenia, aus dem ein Ausbruch unmöglich ist. Es liegt in der Hafenstadt Mombasa, unweit vom Meer. Die Wellen schlagen gegen Felsen, böiger Wind beugt die Palmen. Im schnellen Wechsel folgt Sonnenschein auf Regenwolken, es ist Monsun über dem Indischen Ozean.
Für rund 120 Insassen des Shimo la Tewa ist das Wetter ziemlich egal. Als vermeintliche somalische Piraten warten sie auf ihren Prozess. "Sie sind isoliert und haben keinen Kontakt zu den anderen Gefangenen oder der Außenwelt", erzählt Hussein Khaled von der islamischen Menschenrechtsorganisation Muhuri. "In Kenia werden eigentlich nur Häftlinge unter Terrorverdacht isoliert."
Seit eine Frau das Gefängnis leitet, werden die Gefangenen besser behandelt. Muhuri hat ein kleines Büro bekommen, um die Häftlinge in Shimo la Tewa betreuen zu können. "Aber es ist uns noch nicht gelungen, mit den somalischen Insassen zu sprechen", klagt Hussein Khaled. "Die befinden sich in einem abgeschlossenen Teil des Gefängnisses, von somalisch sprechenden Aufsehern bewacht."
Zunahme: Derzeit halten Piraten in Somalia 12 Schiffe und 168 Seeleute fest. Trotz der internationalen Marinepatrouillen vor Somalia nimmt die Zahl der Piratenangriffe stetig zu: 25 in der ersten Hälfte 2008, 109 in der zweiten Hälfte 2008, 148 in der ersten Hälfte 2009. Nach Ende des Monsuns im September erwarten Experten einen weiteren Anstieg.
Konzept: Die internationale Schifffahrtsindustrie fordert deshalb ein neues Einsatzkonzept von EU und Nato. "Das Einzige, was effektiv sein wird, ist die Anwesenheit von Militär auf den Schiffen", sagt Spyros Polemis, Vorsitzender der Internationalen Schifffahrtskammer. Das Verteidigungsministerium lehnte dies ab.
Lösegeld: Mit zwei Millionen Euro wurde am Montag die am 4. April entführte deutsche "Hansa Stavanger" ausgelöst. Das Schiff wird nun von der Bundesmarine nach Mombasa eskortiert, wo es morgen ankommen soll. D.J.
Die wenigen Kontakte, die die Somalier mit der Außenwelt haben, sind die Begegnungen mit ihren Anwälten. "Faire Prozesse für somalische Piraten sind unmöglich in Kenia", meint Francis Kadima, der 34 der mutmaßlichen Seeräuber verteidigt. "Kenia hat ein Abkommen mit der EU, den USA und Kanada unterschrieben, wonach deren Marine gefangene Piraten den kenianischen Behörden übergeben können, um ihnen in Kenia den Prozess zu machen. Aber keiner weiß, was genau in dem Abkommen steht. Die ganze Sache stinkt."
Der Anwalt hat sein Büro im stickigen Erdgeschoss eines Gebäudes in der Altstadt von Mombasa, nicht weit vom Meeresufer. Schon im 14. Jahrhundert war die Hafenstadt ein Zentrum für Händler aus Persien, der arabischen Welt, Indien und China. Im Rhythmus der Monsunwinde, die in einer Jahreszeit Segelschiffe von der arabischen Halbinsel und dem indischen Subkontinent Richtung Ostafrika treiben und in der anderen wieder zurück, brachten die Händler Elfenbein und Sklaven aus Afrika nach Asien.
Mombasa in Kenia, die Insel Sansibar im heutigen Tansania, aber auch somalische Hafenstädte sowie das arabische Küstenreich Oman waren an diesem Handel beteiligt, der die beiden Kontinente miteinander verband, lange bevor Europa eine Rolle spielte. Heute ist diese Route weiterhin wichtig für den Welthandel zwischen Afrika und Asien und auch für die Öltanker, die durch den Golf von Aden ins Rote Meer Richtung Mittelmeer fahren. Mehr als 20.000 Schiffe im Jahr gibt es - reiche Beute für Piraten.
Die europäischen Länder, die jetzt die Gewässer vor Somalia patrouillieren und gefangene somalische Piraten in Kenia absetzen, greifen der kenianischen Justiz und dem Gefängniswesen finanziell unter die Arme, um die Kosten der Piratenprozesse zu decken. Aber Anwalt Kadima glaubt, dass trotz dieser finanziellen Unterstützung die kenianische Justiz die Prozesse nicht bewältigen wird.
"In Kenias Justiz insgesamt gibt es einen Rückstau von mehr als 860.000 Gerichtsverfahren, die auf ihre Eröffnung warten", erklärt er. "Wir haben einen großen Mangel an Richtern. Kenianer haben kein Vertrauen in das Justizsystem, und die Gefängnisse sind übervoll." Prozesse in Kenia können sich jahrelang hinziehen. Vor Kurzem erst wurden zehn Somalier verurteilt, die schon im Jahr 2000, als Piraterie noch selten war, ein Schiff gekapert hatten.
Von einer unabhängigen Untersuchung der Vorwürfe gegen abgelieferte Piraten durch Kenias Justiz könne keine Rede sein, sagt Anwalt Kadima, denn das Beweismaterial liefern die europäischen Marinebesatzungen, die die Häftlinge abliefern, gleich mit. "Das Niveau des Rechtsweges in den Ländern, die hier Piraten abliefern, ist viel besser als bei uns. Aber auf einmal finden diese Länder, dass für somalische Piraten Kenias Justizsystem ausreicht."
Dem Anwalt gelang es erst nach Monaten, einen Richter davon zu überzeugen, den Somaliern den Kontakt zu ihren Familien zu erlauben. Diese hatten bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung von dem Verbleib ihrer Angehörigen. Wer die Anwälte bezahlt, ist auch noch unklar. Die Länder, deren Marinen die Somalier auf hoher See verhafteten, kommen dafür nicht auf.
Hassan Greeve, ein ehemaliger Polizist, der jetzt für eine Gefangenenhilfsorganisation arbeitet, sieht das alles sehr abgeklärt. "Der Westen hat keine Lust, sich mit den Problemen Somalias zu beschäftigen, und ist froh, gegen etwas Geld die Prozesse auf Kenia abschieben zu können", meint er. Er findet, dass die Rechte der inhaftierten Somalis verletzt werden. "Es fängt schon damit an, dass die Länder, die sie hier abliefern, sie als Piraten abstempeln. Mit diesem Wort sind die Menschen schon vorverurteilt." Gerechtigkeit, glaubt er, würde nur ein internationales Tribunal bringen.
Der "Piratenflüsterer"
Als bester Kenner der Situation vor Ort gilt Andrew Mwangura. Der Gründer der "Ostafrikanischen Seefahrervereinigung" hat sein Büro nicht weit entfernt von der Kanzlei Francis Kadimas in Mombasa. Der "Piratenflüsterer" wird Mwangura genannt wegen seiner hervorragenden Kontakte zu den somalischen Piraten und ihren Geiseln.
Mwangura spricht tatsächlich mit leiser Stimme. Schüchtern blickt er durch seine Brille. Er verabredet sich in einem chinesischen Restaurant in einer Seitenstraße Mombasas. Das Personal grüßt ihn wie einen alten Freund. Hier fühlt er sich sicher. "Ich versuche, so unauffällig wie möglich durchs Leben zu gehen", sagt er. "Sie behalten mich noch immer im Auge." Er meint die kenianische Sicherheit.
Voriges Jahr wurde Mwangura verhaftet, nachdem er verraten hatte, dass eine Ladung von 33 ukrainischen Panzern auf dem von Piraten gekaperten Schiff "Faina" für Südsudan bestimmt war und nicht, wie Kenias Regierung sagte, für die eigene Armee. "Ich wurde abends verhaftet und in eine Polizeizelle gesperrt", erinnert er sich. "Dann tauchten Männer mit Sonnenbrillen auf und wollten mich mitnehmen. Sie versprachen, mich danach laufen zu lassen. Ich habe das nicht geglaubt.
Glücklicherweise weigerte der Polizeichef sich, mich gehen zu lassen, und andere Gefangene stellten sich schützend vor mich, bis diese Typen verschwanden." Nach neun Tagen kam er frei, ohne Anklage. Vermutlich hatte seine Information, die inzwischen bestätigt ist, mächtigen Geschäftsinteressen geschadet.
Diese Erfahrung hält Mwangura aber nicht von seiner Arbeit ab. "Sie wollten mich zum Schweigen bringen, aber das ist ihnen nicht gelungen." Den Kampf für eine bessere Regulierung der Seefahrt sieht er als seine Lebensaufgabe. "Ich war selbst ein Seemann und weiß aus Erfahrung, dass Seeleute nie Fragen stellen. Sie wissen oft nicht, dass sie gefährliche Güter verfrachten - ohne Schutz. Oder, dass ihr Schiff ohne Genehmigung Chemikalien transportiert und irgendwo illegal ablagert."
Fischer werden Seeräuber
Mwangura sagt, dass die somalischen Piraten gezielt Frachter unter Billigflagge und mit illegalen Transporten angreifen. "Dafür können sie ein höheres Lösegeld fordern", analysiert er. Als Beispiel nennt er die gekaperte "Buccaneer", deren italienischer Eigentümer sich weigert zu sagen, was sich an Bord befindet.
Den Beschluss der EU, "Sicherheitskräfte" der international anerkannten, aber in Somalia völlig machtlosen Übergangsregierung von Präsident Sheikh Sharif Ahmed für den Kampf gegen den "Terrorismus" und auch gegen die Piraterie auszubilden, beurteilt Mwangura skeptisch. "Viele Somalier, die Schiffe kapern, sind ehemalige Milizionäre von Kriegsherren in der somalischen Hauptstadt Mogadischu oder der Region Puntland. Manche davon wurden sogar von privaten Sicherheitsfirmen aus dem Westen trainiert, die für diese Warlords arbeiteten." Neue "Sicherheitskräfte" könnten in Zukunft ebenso anfangen, selbst Schiffe zu kapern.
Somalische Piraten erklären immer wieder, dass sie gezwungen seien, Schiffe zu kapern, weil sie ihren eigentlichen Beruf als Fischer nicht ausüben könnten. Somalia hat seit beinahe zwanzig Jahren keine Regierung mehr. Fischereiflotten aus Asien und Europa nutzten diese eingeschränkte Autorität und fischten in den 1990er Jahren unreguliert in den somalischen Hoheitsgewässern. Thunfisch, Krebs und Garnelen im Wert von geschätzt 300 Millionen Euro jährlich wurden gefischt, ohne Gegenleistung für Somalia.
Nach Angaben von somalischen Piraten und Umweltorganisationen sind die Gewässer vor der Küste von Somalia jetzt so gut wie leer gefischt. Aber seit die Piraterie zunimmt, soll auch der Fischbestand langsam wieder wachsen. Ein Teil der Fischerei hat sich östlich verlagert, in das Meer um die Seychellen. Französische Kriegsschiffe, die eigentlich in der EU-Marinemission vor Somalia Dienst tun, werden neuerdings zum Schutz französischer Fangflotten in diesem Gebiet eingesetzt.
"Selbst heute geht es weiter", sagt Mwangura. "Wir wissen, dass ein südkoreanisches Kriegsschiff zwei südkoreanische Fischerboote innerhalb der somalischen Hoheitsgewässer beschützt. Sag mir: Wer sind dann die Piraten?"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!