Soloalbum-Debüt von Don Letts: Selbstzufriedenheit in Dub
Don Letts ist als DJ und Filmemacher einer der Pioniere der Londoner Punkszene. Mit 67 veröffentlicht er nun „Outta Sync“, sein Solodebüt.
Vor einem halben Jahrhundert, als die Londoner Einkaufsmeile King’s Road in Chelsea noch nicht gentrifiziert, sondern Bühne für unterschiedlichste Subkultur-Tribes war, versuchte sich der junge Don Letts als Manager eines Klamottenladens. Mit dem wollte er dem benachbarten Geschäft von Modedesignerin Vivienne Westwood und ihrem Freund Malcolm McLaren Konkurrenz machen.
„Acme Attractions“ hieß Letts’ Shop, aus dem heraus er auch die Straße mit Reggae beschallte. Und damit seine Kundschaft auch nach Ladenschluss zusammen abhängen konnte, mietete man kurzerhand einen Club: „Roxy“ wurde 1976 zur Anlaufstelle der entstehenden Punkszene.
Dort legte Letts zwischen Konzerten Musik auf. Reggae vor allem, anfangs gab es kaum Punkplatten – womit er großen Einfluss auf die Entwicklung der Szene nehmen sollte. Besonders deutlich war der Reggae-Einfluss bei The Clash zu hören.
Letts hatte seine Lebensaufgabe gefunden: Nicht nur Brückenbauer zwischen afrokaribisch und weiß geprägter Subkultur zu sein, sondern zugleich der Chronist dieser Szenen. Er begleitete die erste Tour von The Clash mit einer Kamera, Filmemachen wurde sein Metier. Auf Letts’ abendfüllende Doku „The Punk Rock Movie“ (1978) sollten zahllose weitere folgen. Er produzierte zudem Musikvideos.
Chronist der Szene
Don Letts: „Outta Sync“ (Cooking Vinyl/Indigo)
Im Jahr 2021 erschien nach „Culture Clash: Dread Meets Punk Rockers“ (2006) bereits seine zweite, ähnlich gelagerte Autobiografie: „There and Black Again“. So sehr sich bei ihm alles um Musik dreht, abgesehen vom DJing und einigen Samples und Soundeffekten, die er für die Band Big Audio Dynamite von Mick Jones beisteuern sollte, ist sein eigener musikalischer Output überschaubar geblieben.
Nun aber ist Letts mit dem Dub-Produzenten Gaudi ins Studio gegangen – irgendwie, so erklärte er, musste er die Pandemie ja bewältigen. Sein Debütalbum trägt den doppeldeutigen Titel „Outta Sync“: Aus dem Takt. Ist Stolpern nicht sowieso produktiv? Allzu verstolpert klingt die Musik jedoch nicht: Vor allem ertönt gemütlicher Reggaepop, anschlussfähig in viele Richtungen, bisweilen jedoch etwas zu konturlos.
Eine Family Affair
Für Hinhörmomente sorgen neben Letts’ abgehangenem Sprechgesang vor allem seine Gäste: Der Ende 2022 verstorbene Terry Hall etwa, Sänger von The Specials. Lovers-Rock-Queen Hollie Cook, die in jungen Jahren bei den seinerzeit wiedervereinigten Slits mitwirkte und zudem die Tochter von Paul Cook, ehedem Schlagzeuger der Sex Pistols, ist. Es ist eben eine family affair, das Universum von Don Letts. Ein entfernter Verwandter, Wayne Coyne von der US-Psychedelicband Flaming Lips, gibt den Sparringspartner beim dubbigen „Present Dilemmas“.
Was Letts eigentlich zu erzählen hat, wirkt als Selbstverortung im Titeltrack etwas eitel: „Now because of my duality / Raised on pop and bass / Didn’t really bother me / Cause it’s all about the taste / I’m the vinyl generation / And that’s how I got my start.“ Die zweite Dualität, die ihn geprägt hat, nämlich „Black and British“ zu sein, kommt dagegen in den Texten etwas zu kurz.
Dabei waren die 1970er Jahre in England durchaus bewegte Zeiten. Auch wenn die alten Kämpfe angesichts der Krisen der Gegenwart, der „preditions of dystopia“, mit denen Letts sich konfrontiert sieht, eher als soziokultureller Schluckauf in Erinnerung bleiben: Mehr Atmosphärisches wäre schön gewesen, auf banal anmutende Allgemeinplätze wie „The young ain’t what they used to be / But neither are the old“ könnte man dagegen getrost verzichten.
Wenn Letts aus dem so selbstzufrieden gestarteten Titelsong mit lakonischem Sarkasmus aussteigt, hört man doch noch mal genauer hin. „And everything I used to fear / I find I now embrace / Because of all the problems / I won’t be around to face.“
In diesem eher ratlosen Moment, wenn die Frage mitschwingt, was Popkultur überhaupt erkämpft hat und was tatsächlich „Outta Sync“ gerät, klingt Letts interessanter, als wenn er, im Schaukelstuhl sitzend, aus dem Nähkästchen plaudert. Dafür gibt es schließlich seine Bücher und Filme.
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