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■  Die SED-Nachfolgepartei PDS wird 10 Jahre alt. Von umstürzlerischem Gedankengut ist nichts geblieben. Gar nichts. Im Osten ist sie die einzige Heimatpartei, aber auch im Westen wird sie sich etablieren, Ex-SPD-Wähler an sich binden und vor allem die Grünen beerbenSo sozialistisch wie Helmut Kohl

Mittwoch hat sie Geburtstag. Zehn Jahre gibt es dann die PDS, die Partei des demokratischen Sozialismus. Sie ging aus einer karthartischen Krisensitzung der einzig maßgeblichen Partei der DDR hervor, der SED. Im Westen galt der erste gewählte PDS-Vorsitzende, der Rechtsanwalt Gregor Gysi, einerseits bald als Mediendarling, andererseits aber auch als Verkörperung all dessen, was nach westlichen Maßstäben politisch des Teufels ist und sein möge.

Die PDS hat die zehn Jahre ihrer Geschichte prächtig überstanden. Je mehr sie seitens der westlichen Altparteien zum Paria erklärt wurde, desto satter fielen ihre Wahlergebnisse aus. Mehr als ein Fünftel der Wählerschaft, die in der DDR groß geworden ist, wählt die PDS. Vor einem Jahr wurde die PDS endgültig gesellschaftsfähig. Da erklärte Angela Merkel, selbst gelernte DDR-Bürgerin, dass eine Rote-Socken-Kampagne für ihre Partei nicht mehr in Frage käme.

Manche in der westlichen Union (und sowieso qua Praxis in der Ost-CDU) können sich irgendwann einmal sogar Koalitionen mit der PDS vorstellen. Und, erstaunlich: Das regt nur noch wenige auf. Denn im politischen Alltag ist die PDS so kommunistisch wie etwa Helmut Schmidt oder Helmut Kohl: nämlich gar nicht. Sie trägt und befördert gewöhnliche Politiken. Auf jeder ostdeutschen Politikebene spielt sie eine Rolle. Umstürzlerische Anwandlungen sind keine bekannt. Gar keine.

Unabhängig von allen Fußnoten ihres Programms ist die PDS bereit, sich allen Sachzwängen zu unterwerfen – ob in Sangersleben, Schwerin oder in Gera. Was sie von der SPD der Neunzigerjahre unterscheidet, ist ihr strikt sozialdemokratischer (und eben keineswegs revolutionärer) Impetus: Alles muss sich an der Elle sozialer Gerechtigkeit messen lassen.

Der Erfolg der PDS im Osten ist auch ein Resultat ihrer Glaubwürdigkeit: Anders als viele (westliche und östliche) Sozialdemokraten wissen ihre Aktivisten, wovon sie sprechen, wenn von der DDR die Rede ist. Sie verfügen trotz massiver Mitgliedsverluste über die beste Infrastruktur im gesellschaftlichen Umfeld; sie schwimmt tatsächlich wie ein Fisch im Wasser des Osten. Sie verkörpert das beste Spiegelbild der früheren DDR-Bevölkerung: Ihre Anhänger sind genauso spießig und liberal, aufrichtig oder verlogen, weltoffen und provinziell wie ihre Wähler. Sie ist eine Volkspartei im Osten, nichts sonst, und sie wird es noch mehr werden.

Die entscheidende Qualität der PDS bestand jedoch in ihrer Fähigkeit, das völkische Potenzial im Osten einzubinden. Sie ist insgeheim für völkische, wenn man genau will: national-sozialistische Wähler annehmbar, auch wenn sie ernsthaft antirassistische Kampagnen in den fünf neuen Bundesländern betreibt.Die PDS kann eine Angela Marquardt und einen Gregor Gysi nur zur Prominenz bringen, weil sie zugleich Menschen an sich bindet (über die soziale Frage), die sonst DVU oder NPD wählen würden. Schon aus diesem Grund darf die PDS auf radikales Wortgewölk („sozialistisch“ etc.) nicht verzichten. Sie bedient zugleich auf eine für westliche Beobachter unangenehme Weise antiwestliche, antiliberale, antibürgerliche Ressentiments: Die PDS ist insofern die einzige Heimatpartei des Ostens.

Die PDS wird aber auch im Westen avancieren. Sie wird das linkssozialdemokratische Spektrum abdecken und integrieren, was die SPD verloren hat. Gefährlich wird die PDS nur den Grünen. Je staatssekretärlicher sich die Ex-Alternativen profilieren, je weniger sie jugendliche Rebellen anzusprechen vermag, desto mehr wird die PDS zu den Grünen der „Berliner Republik“. Im Osten ist keine Partei so out wie die der früheren Bürgerrechtler. Die PDS hingegen gilt umso stärker als Forum, in dem radikale Vorschläge ihren Platz finden können.

Jan Feddersen

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