Smartphone-Sucht in Südkorea: Offline steigt die Herzfrequenz
In Südkorea zählt nur, wer Leistung zeigt. Deshalb wird aus dem Nichtstun sogar ein Wettbewerb – ohne elektronische Geräte.
Entspann dein Gehirn und mach einfach mal nichts – das war die einzige Anforderung eines Wettbewerbs in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Mit leeren Gesichtern saßen rund 60 Teilnehmer_innen regungslos und gelangweilt in einem Park, Matte an Matte. Wer dabei nicht nervös wird und die niedrigste Herzfrequenz aufweisen kann, gewinnt.
Warum sollte die Herzfrequenz beim Abhängen im Park überhaupt hochgehen? Weil keinerlei elektronische Geräte erlaubt waren. Für Südkoreaner_innen eine Herausforderung, immerhin besitzen 80 Prozent ein Smartphone und 15 Prozent gelten sogar als süchtig. Nicht alle fünf Minuten auf das Handy zu sehen kann den ein oder anderen schon mal unruhig werden lassen. Auch essen, schlafen, sprechen oder auf die Uhr schauen waren verboten.
Am Ende der strapaziösen 90 Minuten wurde bei Rapper Shin Hyo Seob alias Crush die niedrigste Herzfrequenz gemessen. „Ich war bei der Vorbereitung meines neuen Albums körperlich und geistig so erschöpft, dass ich einfach ein bisschen chillen wollte“, sagte der Sieger bei Entgegennahme seiner gläsernen Trophäe.
Dass ein solcher Wettbewerb ausgerechnet in Südkorea ausgerufen wird, ist kein Zufall. Schließlich ist die Gesellschaft hochgradig technologisiert, gebildet und wohlhabend. Der Aufschwung der vergangenen Jahrzehnte hat aber auch eine Kehrseite: Der Alltag ist geprägt von Stress, Konkurrenzdenken und dem Drang, immer online zu sein.
Bei all dem Leistungsdruck einfach mal abzuschalten fällt vielen schwer. Als Reaktion darauf hatten Künstler_innen bereits 2014 den Entschleunigungs-Wettbewerb mit Smartphone-Verbot ausgerufen. In Südkorea muss eben sogar das Nichtstun zu einem Wettbewerb stilisiert werden. Sonst wäre es ja keine Leistung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen