Slowenisch-italienische Grenzerfahrungen: 24 Stunden geöffnet
Gorizia und Nova Gorica sind zwei Städte, die eigentlich beide vom Wegfall der Grenze profitieren sollten. Doch während die eine aufblüht, trauert die andere alten Zeiten hinterher.
Fast völlig verwaist liegt der enorme Parkplatz. Er böte Raum für hunderte Autos, doch nur ein paar Fahrzeuge verlieren sich im fahlen Licht der Straßenlaternen. Und außer den wenigen Gästen einer Pizzeria, die draußen vor dem Lokal sitzen, ist keine Menschenseele zu erblicken.
Ein Taxi? Der Kellner der Pizzeria blickt drein, als habe man ihm eine völlig absurde Frage gestellt. "Um acht Uhr abends kriegen Sie in ganz Gorizia kein Taxi mehr." Und um acht Uhr abends hat auch der letzte Bus den Verkehr eingestellt. Gorizia hat Feierabend.
"Versuchen Sies doch mal drüben auf der slowenischen Seite, in Nova Gorica arbeiten die rund um die Uhr", setzt der Kellner nach. "Gleich hinter der Casa Rossa ist eine Tankstelle, die rufen sofort einen Wagen." Er zeigt auf den überdachten Grenzübergang, den hier alle Casa Rossa nennen, und er erzählt noch, hier sei vor 18 Jahren Geschichte geschrieben worden: "Da hinten fielen im Juni 1991 die ersten Schüsse der Balkankriege."
Ungebremst rauschen die Autos an den alten Grenzkontrollstellen vorbei, und auch von den Fußgängern verlangt kein Beamter die Papiere. Der Schlagbaum hat ausgedient, die Grenze ist unsichtbar geworden - und doch höchst präsent. Nur wenige Meter hinter der Casa Rossa beginnt eine andere Welt. Links von der Straße herrscht reges Treiben an der Großtankstelle ("Geöffnet 0-24 Uhr"), rechts flimmert eine überdimensionierte Reklametafel fürs Casino Fortuna in allen Farben. Mehrere Taxen warten auf die Kunden von der anderen Seite der Grenze. Praktischerweise nennt der Fahrer gleich selbst das Fahrziel. "Sie wollen zum ,Perla', nicht wahr?"
1947: Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält Jugoslawien bisher italienische Gebiete, unter ihnen den Großteil der Provinz Gorizia. Seitdem verläuft die Grenze direkt hinter der Stadt Gorizia. Auf ihrer Seite errichten die Jugoslawen die Stadt Nova Gorica.
1991: Slowenien sagt sich von Jugoslawien los. Am Grenzübergang "Casa Rossa" von Gorizia fallen die ersten Schüsse der Balkankriege, als slowenische Milizen einen Panzer der jugoslawischen Armee attackieren.
2004: Am 1. Mai tritt Slowenien zusammen mit neun anderen osteuropäischen Staaten der EU bei.
2007: Am 1. Januar tritt Slowenien der Eurozone bei. Am 22. Dezember wird das Land Mitglied der Schengen-Zone; die Grenze zu Italien kann nun ohne jede Kontrolle überquert werden.
Alle wollen zum Perla, dem größten Spielkasino von Nova Gorica - laut Eigenwerbung dem größten Europas. Keine Gesichtskontrolle gibt es an der Tür, kein Dresscode ist einzuhalten - alle dürfen rein, und die Erstbesucher kriegen außerdem, wohl als Einstiegsdroge, einen Spielchip über 4 Euro spendiert. Drinnen sieht es aus wie in einer viel zu groß geratenen Spielhölle; Saal um Saal verliert sich der Gast zwischen den Reihen der hunderte labyrinthartig angeordneten Slotmaschinen, ganz hinten dann die Tische für Black Jack und Roulette. Männer in Jeans oder Bermudas hocken da, stieren auf ihre Jetons, dann auf die Kugel. Die Verkehrssprache ist Italienisch, nur wenn mal zwei Croupiers ein Wort miteinander wechseln, hört man Slowenisch. Die Spieler sitzen, der Croupier streicht mit seinem Rechen die Jetons ein. Unablässig wechseln so die Euros die Seiten, von den Portemonnaies der Spieler in die Kassen des Perla - und von Italien nach Slowenien, rund um die Uhr. Denn auch hier gilt, wie an der Tankstelle: "24 Stunden geöffnet".
Das italienische Gorizia dagegen öffnet erst wieder am nächsten Morgen um 9. Wenn überhaupt: Die Via Rastello, ein kleines, schmuckes Sträßchen, die Häuschen alle aus dem Mittelalter, bietet ein deprimierendes Bild, obwohl die Fassaden gut in Schuss sind. Auf 300 Metern reiht sich Laden an Laden, doch drei von vier Geschäften sind verrammelt. "Happy Days" verheißt die Aufschrift auf einer Markise; die schmutzigen Fensterscheiben, die leere Auslage künden davon, dass die glücklichen Tage hier vorbei sind.
Das sieht auch Marko Marini so, Dezernent für "grenzüberschreitende Beziehungen" der von der Linken regierten Provinz Gorizia - die genauso heißt wie die von einem rechten Bürgermeister geführte Stadt Gorizia. Marini empfängt in einem in freundlich-hellem Blaugrau gestrichenen Palazzo der Provinzverwaltung, nur ein paar Ecken von der Via Rastello entfernt. Nein, Gorizia mit seinen 35.000 Einwohnern geht es nicht schlecht, der alte Stadtkern ist wunderschön, die Arbeitslosenquote niedrig, und bei der Lebensqualität liege Gorizia im nationalen Ranking auf Platz 8 der 103 Provinzen, sagt Marini. Doch dann redet der hagere Grünen-Politiker vor allem von verpassten Chancen, von einer Stadt, für die die Öffnung der Grenze zu Slowenien eher Verlust denn neue Gelegenheit war. Und das, obwohl es hier tausend Jahre lang, bis 1947, keine Grenze gegeben hat, bis zur neuen Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg, die plötzlich Gorizia zur Stadt direkt am Eisernen Vorhang machte. Damals verlor die Stadt fast ihr gesamtes Hinterland an Jugoslawien - und lebte gut damit. Der italienische Staat machte Gorizia zur Garnison mit 5.000 Soldaten und gewährte außerdem Steuererleichterungen. Dann ist Marini bei dem großen, heute trostlos leeren Parkplatz gleich an der Casa Rossa, an der Grenze. Der war ursprünglich für die Slowenen, die durch den einigermaßen durchlässigen Eisernen Vorhang auf Einkaufstour herüberkamen und sich zu Tausenden in den Läden der Via Rastello mit billigen Jeans und Elektrogeräten eindeckten. "Paradoxerweise war der Austausch zwischen beiden Seiten damals viel reger als heute."
"Kurzum: Die Grenze war eine Ressource für Gorizia", fasst der Dezernent zusammen. Wenn es nach ihm ginge, dem Politiker aus der slowenischen Minderheit in Italien, dann wäre auch ihr Fallen eine Chance. Schließlich gibt es auf der italienischen Seite eine große slowenische Minderheit, die als Scharnier wirken könnte, und schließlich könnten Gorizia und Nova Gorica zusammen wahrhaft europäisch werden, zum Beispiel gemeinsame Wege mit einer Uni gehen. Doch nichts tut sich, und Marini sieht die Verantwortung dafür allein bei den visionslosen italienischen Politikern. Lediglich eine beide Städte verbindende Buslinie ist in den 18 Jahren seit dem Fall des Eisernen Vorhangs herausgekommen, und auch der Beitritt Sloweniens zur EU 2004, dann zur Schengen-Zone Ende 2007 hat auf der italienischen Seite keine neuen Impulse gebracht. Stattdessen schimpfen die Menschen in Gorizia über die Spielkasinos "drüben" - "und dann fahren sie selbst nachts heimlich rüber". Marini zeigt auf den Stadtplan an der Wand. "Sehen Sie, hier hinter der Grenze war früher einfach alles weiß, jetzt ist Nova Gorica mit seinen Straßen wenigstens komplett eingezeichnet. Aber die Politik verhält sich meist immer noch so, als wäre da ein weißer Fleck." "Wir ruhen uns zu sehr auf der Vergangenheit aus", sagt Marini.
Jung dagegen ist Nova Gorica, das "Neue Gorizia", in der Tat: Kein einziges Gebäude zählt mehr als 60 Jahre. Aus dem Nichts ließ Tito die Retortenstadt hochziehen. Zwillingsstädte könnten die beiden ungleichen Schwestern heute werden, meint die Chefin der Wirtschaftskammer von Nova Gorica, Miriam Bozi, ohne die störende Grenze, aber spätestens seit das rechte Berlusconi-Lager im Jahr 2007 das Rathaus von Gorizia für sich erobert hat, sieht auch sie dafür wenig Chancen.
Unscheinbar ist das Gebäude, in dem Frau Bozi residiert, gleich neben dem Perla. Doch die energische Managerin, die Italienisch genauso flüssig spricht wie Englisch - "Das tun wir alle hier", meint sie -, denkt "alla grande". Ein Wirtschaftswachstum von jährlich 6 Prozent konnte Nova Gorica über die letzten Jahre verzeichnen, 2000 Arbeitsplätze in der 25.000-Einwohner-Stadt bieten allein die Spielkasinos und Hotels, dazu kommen noch einmal hunderte Jobs in dem großen, Ende letzten Jahres eröffneten Einkaufszentrum, aber das ist ihr nicht genug. Gerade ist ein Megaprojekt den Bach runtergegangen, weil die Partner aus Las Vegas ausgestiegen sind: ein neues Großkasino samt Hotels und allem Drum und Dran, mit 4.000 Arbeitsplätzen. Macht nichts: Frau Bozi hat schon den nächsten Plan von wahrhaft pharaonischen Ausmaßen auf dem Tisch. "Wir wollen eine Pyramide errichten, größer als die Cheops-Pyramide, zwei Flanken komplett mit Solarmodulen bedeckt, für ein Europäisches Luftfahrtmuseum, Investitionsvolumen 950 Millionen Euro", sagt sie, als sei das Großprojekt ganz selbstverständlich in der kleinen Stadt. Gäste aus Italien, aus ganz Europa wünscht sie sich. "Unsere Wirtschaft kennt keine Grenzen", schließt Bozi mit einem Lächeln.
Auch die beiden Städte kennen keine Grenze mehr - eigentlich. Die Rückfahrt mit der "Internationalen Buslinie" endet auf der Piazza Transalpina. Früher lief der Grenzzaun quer über den Platz, direkt vor Nova Goricas Bahnhof. Am 1. Mai 2004 stieg hier die große Party zur EU-Osterweiterung, mit dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi als Stargast. Nur noch eine steinerne Linie zwischen den Pflastersteinen erinnert daran, dass der Besucher hier mit dem einen Fuß in Slowenien, mit dem anderen in Italien steht. Und doch, scheint es, kommen Gorizia und Nova Gorica selbst hier, an diesem symbolträchtigen Ort, einfach nicht zusammen. Auf der italienischen Seite heißt der Platz wie eh und je "Piazza Transalpina", so als hätte sich gar nichts geändert seit 1947 - die Slowenen dagegen haben ihre Hälfte in "Europaplatz" umgetauft.
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