Skandale beim Autoclub ADAC: Der Metzger bedient nicht mehr
Jahrelang war der ADAC eine geachtete Institution, jetzt ist sein Image im Eimer. Die Mitarbeiter leiden unter dem Skandal, aber viele sind insgeheim froh.
MÜNCHEN taz | Wochenlang halten sich die Skandalgeschichten über den ADAC jetzt schon in den Schlagzeilen. Unter den Mitarbeitern verschlechtert sich die Stimmung deshalb zunehmend. Viele von ihnen sind frustriert darüber, die Fehler ihrer Vorgesetzten ausbaden zu müssen. Da ist zum Beispiel der Pannenhelfer, der in seiner Mittagspause regelmäßig den gleichen Metzger ansteuerte, um sich eine Leberkäsesemmel zu kaufen. Wenn der Mechaniker jetzt in seinem ADAC-Overall den Raum betritt, weigert sich der Metzger, ihn zu bedienen.
Aber sosehr die Mitarbeiter unter den Folgen der Enthüllungen leiden: Insgeheim sind viele von ihnen froh darüber, dass die Missstände des ADAC nun auf den Tisch kommen. „Die Öffentlichkeit darf jetzt nicht wegschauen. Der Druck muss aufrechterhalten werden, bis ein wirklicher Wandel vollzogen ist“, sagt eine Führungskraft des Clubs.
Tatsächlich: Was Deutschlands größten Club vor einem knappen Monat traf, war ein Erdbeben. Am 14. Januar wurde bekannt, dass sein geltungssüchtiger PR-Chef jahrelang die Teilnehmerzahlen bei der Abstimmung zum „Lieblingsauto der Deutschen“ manipuliert hatte.
Mitglieder: 2013 waren 18,6 Millionen Menschen im ADAC - über 200.000 mehr als im Vorjahr. Damit ist der ADAC der größte Verein in Deutschland.
Einsätze: 2012 verzeichnete der Club das zweithöchste Pannenaufkommen in seiner 110-jährigen Geschichte: Die 1.700 ADAC-Straßenwachtfahrer sowie 940 externe Dienstleister rückten 4,17 Millionen Mal aus. Die 49 Rettungshubschrauber waren 49.200 Mal im Einsatz. Insgesamt beschäftigt der ADAC 8.600 Mitarbeiter.
Überschüsse: Die Mitgliederbeiträge des ADAC e. V. und seiner 18 Regionalclubs stiegen 2012 auf 1,01 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss des Vereins lag in dem Jahr bei 25,0 Millionen Euro.
Gewinne: Die in der ADAC Beteiligungs- und Wirtschaftsdienst GmbH zusammengefassten Tochtergesellschaften, darunter Versicherungen, Verlage oder Reiseveranstalter, erzielten Gesamterträge von 1,03 Milliarden Euro - und einen Gewinn von 84,9 Millionen Euro.
Der Automobilclub startete die Image-Aufräumarbeiten, doch seitdem ist alles nur noch schlimmer geworden. Die Nachbeben erschüttern die Münchner Clubzentrale bis heute: Dienstflüge im Rettungshubschrauber, Bonuszahlungen für den Verkauf neuer Autobatterien, Manipulationsvorwürfe bei Badeseegewässer-Tests, zuletzt dann die Schlammschlacht um den Rücktritt von Deutschlands oberstem Autofahrer, dem bisherigen ADAC-Präsidenten Peter Meyer.
13 Jahre lang hatte Meyer den Automobilclub regiert, und trotz der Skandale am Ende seiner Regentschaft hätten ihm einige Weggefährten einen stilvolleren Abschied gewünscht. Stattdessen aber schoben sich Meyer und seine Präsidiumskollegen den ganzen Montag über giftig Schuldzuweisungen hin und her.
Der ADAC braucht Ruhe
Zum Abschluss verlor der ehemalige Clubchef dann auch noch den Überblick über die eigene Vereinssatzung. „Angesichts der aktuellen Vertrauenskrise des ADAC hat das Präsidium ein Suspendierungsverfahren gegen Peter Meyer beschlossen“, schrieb der ADAC gegen Mittag in einer Pressemitteilung. Könne ja gar nicht sein, schrieb Meyer wenig später zurück: „Ein Suspendierungsverfahren kann gemäß ADAC Satzung (§ 14 Abs. 4) nur auf Antrag des Generalsyndikus vom Präsidium beschlossen werden. Ein solcher Antrag wurde nicht gestellt.“
Der Generalsyndikus, der oberste Jurist des ADAC also, hat einen solchen Antrag tatsächlich nicht gestellt. Musste er aber auch nicht. In dringenden Fällen, so steht es zwei Paragrafen weiter oben, könne das Präsidium zusammen mit den Regionalfürsten des Clubs vorläufige Beschlüsse jeglicher Art fassen. Den Präsidenten freistellen, zum Beispiel.
Eine wirkliche Rolle spielten die Paragrafen der Satzung zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr. Am Vormittag hatte Meyer bereits bekannt gegeben, mit sofortiger Wirkung zurückzutreten. Seine Kollegen hofften, dass der Druck auf ihren Verein damit nachlassen würde. „Man sollte dem ADAC jetzt auch mal Ruhe geben. Wir haben die Probleme erkannt und brauchen jetzt Zeit, um unseren Reformplan umzusetzen“, sagt ein Funktionär der obersten Ebene. Womöglich hätte der Club tatsächlich ein wenig Ruhe bekommen, wenn sich Expräsident Meyer geordnet zurückgezogen hätte. Ein „Ich übernehme die Verantwortung“ von ihm. Ein „Vielen Dank für Ihre Verdienste“ vom ADAC.
Doch danach war ihm nicht. Er übernehme ausdrücklich keine Verantwortung, sondern habe schlicht keine Lust mehr, sich für Fehler anderer beschuldigen zu lassen, betonte Meyer. Im Übrigen fände er es besser, wenn nicht nur er, sondern gleich das ganze Präsidium zurücktrete.
Rückbesinnen auf die Anfänge
Die Politik sieht es ähnlich. Die Linkspartei, der Vorsitzende des Verkehrsausschuss im Bundestag, der Justizminister – sie alle wollen beim ADAC weitere Köpfe rollen sehen.
Werner Kaessmann, der Generalsyndikus des Clubs, hält davon nichts. „Das Präsidium besteht aus sechs Topmännern, die mit Herzblut dabei sind“, sagt er. Unter Präsident Meyer habe der ADAC Millionen von Mitgliedern gewonnen, und in diesen erfolgreichen Jahren hätten seine Kollegen womöglich Punkte übersehen, an denen der Automobilclub geölt werden müsse. Aber mögliche Nachfolger bräuchten Monate, um sich in den komplexen Verein einzuarbeiten – Reformen bräuchten dann nur noch länger.
Der ADAC stehe „vor einer Weggabelung“, sagt hingegen eine andere Führungskraft des Clubs. Entweder er verfolge weiterhin den Weg des Expräsidenten Meyer: mehr Geschäfte, mehr Mitglieder und damit mehr politischen Einfluss. „Meyer war so etwas wie ein König Ludwig, der sich mit dem ADAC sein Neuschwanstein gebaut hat und an unbegrenztes Wachstum glaubte.“ Oder er besinne sich auf seine Anfänge als Verein, der sich anders als ein Versicherungskonzern auch mal kulant zeigen könne, um Mitgliedern zu helfen. Das sei der Weg, den sich die Mitarbeiter an der Basis wünschten.
Zunächst wird der ADAC aber weitere Nachbeben überstehen müssen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte untersucht noch immer, wie stark der Automobilclub die Mitgliederabstimmung zum „Lieblingsauto“ gefälscht hat. Am Montag bestätigte sie Manipulationen im Jahr 2014. Die Ergebnisse der Vorjahre will sie nächste Woche bekannt geben. Die Funktionäre in der Clubzentrale können dann wieder mit Negativschlagzeilen rechnen.
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