Sitzungsmarathon im Bundestag: Mietspiegel, Klimaschutz, Raubkunst
In einer 17-stündigen Sitzung hat der Bundestag eine Flut von Gesetzen beschlossen. Das sind die wichtigsten Beschlüsse.
Verschärfter Klimaschutz
Das neue Klimaschutzgesetz sieht schärfere Regelungen vor: So ist das neue nationale Ziel verankert, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden – also nur noch so viele Treibhausgase auszustoßen wie wieder gebunden werden können. Ursprünglich hatte man sich das erst bis 2050 vorgenommen. „Wir wollen 2045 treibhausgasneutral wohnen, wir wollen treibhausgasneutral wirtschaften und mobil sein“, sagte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Der Ausbau erneuerbarer Energien müsse Vorrang bekommen, Infrastruktur modernisiert werden.
Das Gesetz schraubt auch das Emissionsziel bis 2030 hoch. Deutschland soll nun bis dahin seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 65 Prozent senken. Das bislang geltende Gesetz sah mindestens 55 Prozent vor. Auch neue Ziele über 2030 hinaus legt das geänderte Gesetz fest. Demnach soll 2040 bereits ein Rückgang des klimaschädlichen Ausstoßes um 88 Prozent erreicht sein.
Nötig wurde die Gesetzesänderung durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte das bislang geltende Recht Ende April für teilweise verfassungswidrig erklärt. Die Richter trugen der Bundesregierung auf, die Emissionsziele nach 2030 näher zu definieren, um die Freiheit künftiger Generationen nicht durch klimabedingte Einschränkungen zu gefährden.
Mietspiegel-Pflicht in größeren Städten
Städte und Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern müssen künftig einen Mietspiegel erstellen. Damit sollen Mieter besser vor überzogenen Mieterhöhungen geschützt werden. In mehr als 80 der 200 größten deutschen Städte gebe es derzeit keinen gültigen Mietspiegel, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. Ohne Mietspiegel sei die Mietpreisbremse aber „faktisch unwirksam“.
Mietspiegel werden genutzt, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Damit werden Mieterhöhungen begründet und bei einem Umzug in ein Gebiet mit Mietpreisbremse zulässige Höchstmieten errechnet. Fehlt jedoch ein Mietspiegel, steht die Bestimmung der maximal erlaubten Miethöhe rechtlich auf wackeligen Füßen.
Strengere Regeln gegen Extremismus, Missbrauch und Zwangsprostitution
Fahnen der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas werden in Deutschland ebenso verboten wie sogenannte Feindeslisten mit Namen und Daten politischer Gegner. Bislang musste ein Vereinsverbot vorliegen, um die Verwendung von Kennzeichen einer bestimmten Organisation unter Strafe zu stellen. Jetzt reicht es, dass die Organisation auf der EU-Terrorliste steht – wie etwa die Hamas oder die kurdische PKK.
Ausdrücklich verboten ist in Zukunft auch das Verbreiten von „Feindeslisten“, wie sie vor allem in rechts- und linksextremen Kreisen kursieren. Wer personenbezogene Daten verbreitet und die Betroffenen damit in Gefahr bringt, muss bis zu drei Jahre in Haft.
Härter bestraft werden darüber hinaus verhetzende Beleidigungen gegen Juden und Muslime sowie gegen Homosexuelle und Behinderte. Herabwürdigende Briefe oder Mails gelten bislang nicht als Volksverhetzung, weil sie nicht öffentlich verbreitet werden – diese Lücke im Strafrecht wurde nun geschlossen.
Ferner wurden Verbreitung und Besitz von Anleitungen zum sexuellen Kindesmissbrauch zur Straftat gemacht. Wer solche Texte aus dem Internet oder geschlossenen Chatgruppen runterlädt, muss mit Haft bis zu zwei Jahren rechnen, für deren Verbreitung drohen sogar drei Jahre. Zur Bekämpfung der Zwangsprostitution wird darüber hinaus die „Freier-Strafbarkeit“ ausgeweitet: Künftig machen sich Freier strafbar, wenn sie offensichtliche Anzeichen für die Zwangslage einer Prostituierten – etwa Verletzungen – ignorieren.
Verschärftes Anti-Stalking-Gesetz
Wer einer anderen Person regelmäßig auflauert oder sie wiederholt belästigt, soll künftig schneller vor Gericht landen. Um das sogenannte Stalking konsequenter verfolgen zu können, hat der Bundestag die Strafbarkeitsschwelle gesenkt. Bisher musste Tätern „beharrliches“ Nachstellungsverhalten nachgewiesen werden, das das Leben des Opfers „schwerwiegend“ beeinträchtigt. In Zukunft reicht es schon aus, jemanden „wiederholt“ zu belästigen und dessen Leben damit „nicht unerheblich“ zu beeinträchtigen.
Verschärft wird das Strafmaß: Konnten bisher wegen Stalkings höchstens drei Jahre Gefängnis verhängt werden, sind nun in besonders schweren Fällen bis zu fünf Jahre möglich. Darüber hinaus steht nun auch „Cyberstalking“ ausdrücklich unter Strafe – etwa wenn jemand durch spezielle Apps auf Social-Media-Konten oder Bewegungsdaten seines Opfers zugreift.
Mehr Schutz für Insekten
Zum Schutz von Insekten soll der Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft weiter eingedämmt werden. Mehr Gebiete wie Wiesen mit verstreut stehenden Obstbäumen oder artenreiche Weiden können unter besonderen Schutz gestellt werden. In vielen Schutzgebieten soll der Einsatz insektenschädlicher Chemikalien wie Holzschutzmittel eingeschränkt werden. Weitere Vorgaben sollen verhindern, dass nachtaktive Insekten von Beleuchtung angelockt werden und sterben.
Zu dem Paket gehört auch eine Verordnung von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), die ein Verbot des besonders umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat regelt. Als Ausgleich für Mehraufwand durch weniger Pflanzenschutzmittel will der Bund zusätzlich 65 Millionen Euro für betroffene Höfe zur Verfügung stellen.
Zweiter Prozess bei schwersten Straftaten wie Mord oder Völkermord
Bei schwersten Straftaten wie Mord, Völkermord oder Kriegsverbrechen kann Verdächtigen künftig ein zweites Mal der Prozess gemacht werden, wenn neue Beweise auftauchen – eine Änderung der Strafprozessordnung. Wegen des Verbots der sogenannten Doppelbestrafung darf eigentlich niemand für dieselbe Tat mehrfach zur Verantwortung gezogen werden. Davon konnte bislang nur in eng begrenzten Ausnahmen abgewichen werden – etwa bei einem späteren Geständnis.
Die Liste der „Wiederaufnahmegründe“ wird nun um schwere Straftaten erweitert, die nicht verjähren: Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen eine Person.
Neuer Straftatbestand gegen illegale Internet-Geschäfte
Der Internethandel mit Waffen, Drogen und Kinderpornografie soll konsequenter bestraft werden. Betreibern einer kriminellen Handelsplattform droht künftig bis zu zehn Jahre Gefängnis. Schon bisher machten sich Betreiber grundsätzlich der Beihilfe schuldig, wenn ihre Online-Marktplätze für illegale Geschäfte genutzt wurden. Wenn ihnen aber keine Kenntnis von den konkret gehandelten Waren nachgewiesen werden konnte, blieben sie in der Regel unbehelligt.
Bundeswehreinsätze auf dem Balkan und im Mittelmeer
Die Bundeswehr bleibt weiter im Kosovo und vor der libanesischen Küste stationiert. Der Bundestag verlängerte die Mandate für die beiden Auslandseinsätze. Im Rahmen der Nato-Mission KFOR können unverändert bis zu 400 deutsche Einsatzkräfte in den Kosovo geschickt werden. Sie sollen die öffentliche Ordnung sichern und den Aufbau einer zivilen Friedensordnung unterstützen.
Bei der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen sollen bis zu 300 deutsche Soldatinnen und Soldaten den Waffenschmuggel in den Libanon unterbinden. Die Bundeswehr ist derzeit unter anderem mit einer Korvette vertreten. Der Verband wird von einem deutschen Admiral geführt.
Einbürgerung von NS-Verfolgten und Nachfahren
Verfolgte des Nazi-Regimes und deren Nachkommen haben künftig einen gesetzlichen Anspruch auf einen deutschen Pass. Das Parlament verabschiedete dazu eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Nachfahren von NS-Opfern, die ins Ausland geflüchtet waren, bekommen ohne Auflagen die deutsche Staatsbürgerschaft.
Entsprechende Erlasse des Innenministeriums von 2019 werden damit auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und großzügiger ausgestaltet. So war eine erleichterte Einbürgerung bisher nur möglich, wenn mindestens ein Elternteil vor dem 1. Januar 2000 geboren war. Diese Einschränkung fällt weg.
Der Antrag auf Einbürgerung ist kostenlos, andere Staatsangehörigkeiten darf man behalten. Betroffene müssen lediglich nachweisen, dass ihre Vorfahren zwischen 1933 und 1945 in Deutschland verfolgt wurden oder zu Gruppen gehörten, die verfolgt wurden. Das gilt für Nachfahren von Juden, Sinti und Roma ebenso wie von psychisch Kranken oder politisch Verfolgten.
Update-Pflicht für digitale Geräte
Bei Geräten mit digitalen Elementen wie Tablets oder Smartwatches gilt künftig eine Update-Pflicht. Ein neues Gesetz verpflichtet den Verkäufer zur regelmäßigen Aktualisierung seines Produkts. Damit sollen Funktionsfähigkeit und IT-Sicherheit gewährleistet bleiben.
Für welchen Zeitraum die Update-Pflicht gilt, ist allerdings nicht ausdrücklich festgeschrieben. Im Gesetz ist nur von einem Zeitraum die Rede, den der Kunde „aufgrund der Art und des Zwecks“ des erworbenen Geräts erwarten könne.
Rechtlich besser gestellt werden Verbraucher ferner im Fall eines beschädigten Produkts. Bislang lag ein Gewährleistungsfall nur in den ersten sechs Monaten nach dem Kauf vor. In Zukunft gilt hingegen zwölf Monate lang grundsätzlich die Vermutung, dass der Mangel bereits beim Kauf vorlag.
Neuer Rechtsrahmen für Personengesellschaften
Eine grundlegende Reform des Gesellschaftsrechts soll den teilweise mehr als 100 Jahre alten Rechtsrahmen für Personengesellschaften zeitgemäß machen. Das gesetzliche Leitbild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) orientiert sich nun eher am Start-up-Unternehmen als – wie bisher – an einer Tippgemeinschaft.
Der nicht rechtsfähigen GbR wird deshalb als Variante die rechtsfähige GbR an die Seite gestellt. Diese verfügt über ein eigenes Gesellschaftsvermögen und kann selbst Trägerin von Rechten und Pflichten sein. Eine Personengesellschaft besteht aus mindestens zwei Gesellschaftern, die in der Regel mit ihrem persönlichen Vermögen für das Unternehmen haften.
Mit der Reform wird auch ein öffentliches Gesellschaftsregister eingeführt, in dem wesentliche Eckdaten der GbR festgehalten werden. Die Eintragung in dieses Register ist allerdings freiwillig.
Zusätzliche Coronahilfe für den Nahverkehr
Wegen fehlender Fahrgäste in der Coronakrise gibt es eine weitere staatliche Finanzspritze für Busse und Bahnen. Der Bundestag beschloss, dem öffentlichen Personennahverkehr erneut eine Milliarde Euro zukommen zu lassen. Schon im vergangenen Jahr hatte der Bund 2,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Nahverkehr bereitgestellt – über die jährlichen Regionalisierungsmittel hinaus, die in diesem Jahr ohnehin auf knapp 9,3 Milliarden Euro steigen. Die Länder, die dem Gesetz im Bundesrat noch zustimmen müssen, sollen Finanzhilfen in gleicher Höhe wie der Bund bereitstellen.
Neues Gesetz gegen lange Vertragslaufzeiten
Die Vertragslaufzeiten für Handytarife, Streamingdienste oder Fitnessstudios werden gesetzlich beschränkt, um den Wechsel zu einem anderen Anbieter zu erleichtern. Die neue Regelung soll Verbrauchern auch die Kündigung ihrer Verträge erleichtern. „Lange Vertragslaufzeiten und lange Kündigungsfristen beschränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und hindern sie an einem Wechsel zu attraktiveren und preisgünstigeren Angeboten“, erklärte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD).
Künftig dürfen Verträge in der Regel nur noch ein Jahr lang laufen. Längere Laufzeiten von bis zu zwei Jahren sind nur noch erlaubt, wenn der Kunde gleichzeitig auch ein Angebot über einen Ein-Jahres-Vertrag bekommt, der im Monatsdurchschnitt maximal 25 Prozent teurer ist. Wenn ein Unternehmen Verträge um mehr als drei Monate automatisch verlängern will, muss es von sich aus auf die Kündigungsmöglichkeit hinweisen. Die Kündigungsfrist wird grundsätzlich von drei Monaten auf einen Monat verkürzt. Im Internet muss es künftig außerdem einen „Kündigungsbutton“ geben, damit Verträge dort genauso einfach beendet werden können wie sie geschlossen wurden.
Reisebeschränkungen auch ohne Pandemie-Lage
Coronabedingte Einreisebeschränkungen können weiter greifen, auch wenn die Pandemie-Lage nationaler Tragweite ausläuft. Eine entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat der Bundestag ebenfalls beschlossen. Am 25. März 2020 hatten die Abgeordneten erstmals eine „epidemische Lage“ festgestellt und diese zuletzt bis maximal Ende September verlängert. Sie gibt dem Bund das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen – etwa zu Tests, zu Impfungen, zum Arbeitsschutz oder zur Einreise. Bei der nun beschlossenen Regelung geht es aber nur um Einreisebeschränkungen, die auch ohne diese rechtliche Grundlage weiter gelten können sollen – wenn auch nur maximal für ein Jahr nach Aufhebung der Lage.
Bei AfD, FDP und Linken stieß dies allerdings auf Ablehnung. Eine derart massive Einschränkung von Grundrechten sei nicht hinnehmbar, wenn keine epidemische Lage mehr vorliege.
Neues Stiftungsrecht vereinfacht Rückgabe von Raubkunst
Die mehr als 23.000 Stiftungen in Deutschland bekommen einen neuen Rechtsrahmen. Wenn der Bundesrat ebenfalls zustimmt, werden die teils unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer vereinheitlicht und im Bürgerlichen Gesetzbuch zusammengeführt. Damit soll auch die Restitution von NS-Raubkunst und Kolonialobjekten aus Stiftungsbesitz vereinfacht werden. Mit der Reform wird nämlich klargestellt, dass Stiftungen an der Rückgabe ihres Kulturguts nicht dadurch gehindert werden, dass es ein Teil des zu erhaltenden Stiftungsvermögens ist.
Coronaregeln für den Bundestag verlängert
Trotz sinkender Infektionszahlen bleibt der Bundestag vorsichtshalber im Corona-Modus. Das Parlament verlängerte die Regelung, wonach das Parlament bereits mit mehr als einem Viertel seiner Abgeordneten beschlussfähig ist. Normalerweise muss dafür die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein – doch wegen der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen hatte der Bundestag diese Marke im Frühjahr des vergangenen Jahres abgesenkt und die Sonderregelung seitdem mehrmals verlängert.
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