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Sinnloser Aktionismus nach GeiseldramaIch und mein Muslim

Während der Geiselnahme in Sydney bieten Tausende Muslimen via Twitter Begleitschutz an. Gut gemeint und trotzdem daneben.

Brauchen Muslime hier Begleitschutz? Central-Station in Sydney. Bild: getty images

Am Tag nachdem ein vorbestrafter, gestörter Mann in einem Café in Sydney Geiseln genommen hat, erfreut sich Australien an seiner eigenen Solidarität gegenüber Muslimen. Tausende bieten via Twitter an, Menschen muslimischen Glaubens in öffentlichen Verkehrsmitteln Begleitschutz zu geben und feiern sich dafür selbst. Dabei ist das kein Zeichen von Akzeptanz, sondern sinnfreier Aktionismus. Herablassend und bevormundend.

Noch während die Geiselnahme andauerte, verbreitet sich bei Twitter der Hashtag #illridewithyou („Ich fahre mit dir“). Die australische Twitter-Nutzerin @sirtessa begann die Aktion. Zunächst twitterte sie die Route ihrer täglichen Buslinie und bot an, Muslime, die sich wegen ihres Aussehens bedroht fühlen, zu begleiten. Später schlug sie den Hashtag #illridewithyou vor. Innerhalb kurzer Zeit verbreitet er sich weltweit, stürmte in vielen Ländern an die Spitze der Trending Topics. Prominente und Politiker schlossen sich der Bewegung an. Innerhalb von 24 Stunden wurde er mehr als 400.000-mal genutzt.

Seitdem jubeln weltweit nicht nur Twitter-Nutzer über ihren politischen Aktivismus, sondern auch Medien. Einhellig loben sie die ach so solidarische Twitter-Gemeinde. „Australier stehen auf gegen Islamophobie“ heißt es und „Sydney zeigt Herz“. Vom „schönsten Hashtag aller Zeiten“ ist die Rede und Dutzende Nutzer bekommen „Gänsehaut“. Menschen posten stolz Bilder von sich, wie sie mit Muslimen fliegen, Bus oder Bahn fahren. Als sei das allein schon ein toleranter Akt.

Noch während der Geiselnahme berichtet eine Frau bei Facebook, wie sie eine muslimische Frau im Zug beobachtete, die ihr Kopftuch abnahm. Sie sei ihr hinterhergelaufen, habe sie aufgefordert, es wieder anzuziehen, und ihr angeboten: „Ich gehe mit dir“. Ein Akt von Zivilcourage. Und eine Selbstverständlichkeit.

Aber Solidarität und Akzeptanz bilden sich nicht allein im Angebot von Begleitschutz ab, sondern darin, zu differenzieren. Wenn ein irrer Einzeltäter muslimischen Glaubens Geiseln nimmt, darf man das weder auf andere Muslime übertragen, noch muss man alle anderen Muslime schützen. Denn was bedeutet #illridewithyou genau? Dass Muslime nicht in der Lage sind, alleine Bus zu fahren? Dass man sie an die Hand nehmen muss, weil sie unemanzipiert und ängstlich sind.

Entmündigung und Bevormundung

Soll die weiße Mehrheitsgesellschaft jetzt mit wachen Augen durch die Welt gehen auf der Suche nach schutzwürdigen Muslimen, sich ungefragt neben sie setzen, weil sie unsere Hilfe brauchen? Mit derartigem Aktionismus spricht man ihnen ihre Souveränität ab, entmündigt und bevormundet sie.

Zumal die realen Auswirkungen der #illridewithyou-Soli-Welle wohl überschaubar sind. Von hilfsbedürftigen Muslimen, die via Twitter nach helfenden Begleitern suchen, ist nichts bekannt. Die Aktion wirkt deshalb wie ein Feigenblatt von Menschen, denen man zwar ihren guten Willen nicht absprechen mag, die aber real existierende Probleme nicht lösen, sondern davon ablenken.

Australien steht plötzlich als tolerante, offene Nation da. Dabei hat das Land tatsächlich ein latentes Rassismusproblem. Die Regierung gibt Millionen für Hetzkampagnen aus, die Flüchtlinge vor der illegalen Einwanderung abhalten sollen. Im Wahlkampf 2013 überboten sich die Parteien mit Stimmungsmache gegen Asylsuchende. Jährlich gibt es Dutzende Anschläge auf Moscheen. Und auf die Verbrechen, die bis in die 1970er Jahre hinein an den Ureinwohnern begangen wurden, blickt das Land nicht gerne zurück.

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7 Kommentare

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  • Gestern in Melbourne:

     

    "Mein Muslim sieht ja etwas wild aus. Aber er ist ganz Kinderlieb."

     

    "...Und? Ist er auch stubenrein?"

     

    "Du wirst überrascht sein. Der ist ganz sauber. Er hat sogar immer frische gebügelte Hemden an."

     

    "Meiner ist ein frecher Racker. Und sooo verspielt. Nur wenn man den Bus kriegen muss wird es schwer. Dann muss ich ihn immer von den anderen Muslimen wegziehen."

     

    "Hast Du es schon einmal mit einem Halsband probiert?"

     

    "Nein. Ich will ihn so artgerecht wie Möglich halten."

  • Ich hab in der taz selten einen Kommentar mit so schlechten Argumenten gelesen. Gerade deswegen, weil Australien ein Rassismus-Problem hat, müssen sich nach dieser Einzeltäter-Tat jetzt viele Muslime fürchten, dass irgendwelche Rassisten sie aufgrund ihres Glaubens angreifen. Die Leute hinter #Illridewithyou bieten denen, die eine solche Hilfeleistung gerne in Anspruch nehmen, an, sie zu begleiten und damit ihre Angst vor unsinnigen rassistischen Rache-Aktionen in den Tagen nach der Tat zu senken. Das ist lobenswert. Vielleicht kann durch die Aktion – und auch durch die mediale Aufmerksamkeit, die sie erhalten hat – die Zahl solcher Rache-Aktionen klein gehalten werden.

  • Hallo Herr Wrusch,

    leider muß ich mich Frau Krakowskis Urteil anschließen.

    - So ein Blödsinn -

    Aber aus anderen Gründen.

    Wir sehen ja gerade in D wie aus diffusen Ängsten eine echte Massenhysterie wird. Ein AfDler hat gestern geäußert, daß das in Sidney ja nur einer war... was könnte bei uns alles passieren.

    Es geht nicht darum ob ein Muslim alleine Bus fahren kann. Sondern es geht darum daß es Leute gibt, die nicht von 12 Uhr bis Mittag denken können (Und gerade wir in D beweisen zur Zeit deren zahlenmäßig nicht unerhebliche Existenz) und aufgrund einer solchen Tat Muslime angreifen.

    In einem haben Sie Recht, Probleme werden so nicht gelöst, aber Auswirkungen eventuell gemindert.

     

    Ansonsten empfand ich Ihren Kommentar leider nur als gewöhnliche Überheblichkeitspolemik.

  • So ein Blödsinn! Die gleichen Leute, die jetzt Muslimen ihren "Schutz" anbieten, haben davor fleißig gehetzt, Stoßrichtung: Muslime sind per se frauenfeindlich und potentielle Attentäter - Australier müssen sich fürchten in AUS enthauptet zu werden - wir wollen keine Burkas sehen und keine Halal-Nahrung! - Kein Wunder, dass Muslime sich fürchten müssen.

  • Das ist ein sehr schlechter Artikel.

    "Denn was bedeutet #illridewithyou genau? Dass Muslime nicht in der Lage sind, alleine Bus zu fahren? Dass man sie an die Hand nehmen muss, weil sie unemanzipiert und ängstlich sind." Nein, es bedeutet, dass Rassisten die Geiselnahme als Anlass nehmen, Muslime zu beschimpfen, bespucken und körperlich anzugreifen. Das passiert kopftuchtragenden Frauen ohnehin jeden Tag, jetzt wird es nochmal nach oben gehen.

  • Irgendwie übers Ziel hinaus geschossen, #illridewithyou als Ausdruck patriarchalen Denkens zu sehen. Es ist eine spontane, nicht besonders durchdachte, aber freundliche Aktion. Es soll doch nur schnell deutlich gemacht werden, dass man differenzieren kann. Im Ggs zu den Aussies haben die deutschen Pegida-Arschlöcher sich durch die Geiselnahme sofort in ihrer Ablehnung bestätigt gesehen.

  • Oh Himmel, nun freue sich doch mal jemand dass hier ganz offensichtliche Menschen GUTES tun wollten und nicht unter dem Hashtah #ihatemuslims eine große Hexenjagd veranstaltet haben. Es ist immer dasselbe - für manche Leute ise es einfach egal, ob etwas einem guten Geist entspringt auch wenn es nicht perfekt ist und die Welt für ein paar Millisekunden zu einem besserem Ort macht, und sei es nur auf Twitter - wenn es nicht vegan ist, die Rechte von Frauen nicht ausreichend berücksichtigt, die grundlegenden Probleme eines Landes nicht angeht und auch sonst nicht dazu angetan ist, ALLE Problem auf einen Schlag JETZT zu lösen ist es SCHLECHT. Meine Güte.