Sinn und Unsinn der Liebesschlösser: Tonnenschwere Treueschwüre
„Love locks“ sollen das Flüchtigste verstetigen, sie sind ein leeres Ritual. In Paris ist jetzt das Geländer der Pont des Arts unter ihrer Last weggebrochen.
Wer wüsste nicht, dass die Liebe – ach! – auch eine Last sein kann? Niemand. Aber wer wollte das in den goldenen Tagen wahrhaben, da diese Liebe noch frisch ist wie der junge Morgen? Niemand.
Deshalb hat sich wie eine romantische Epidemie weltweit die neofolkloristische Sitte verbreitet, den gegenseitigen Liebesschwur durch das gemeinsame Anbringen von Vorhängeschlössern an symbolisch aufgeladenen Orten zu bekräftigen.
Manchmal sind es verwunschene Orte wie eine Mole am Bodensee oder die stählernen Handläufe der Großen Mauer in China. Meistens sind es Brücken wie in New York die Brooklyn Bridge, in München die Thalkirchener Brücke oder der Pont des Arts in Paris – wo sich nun fast zweieinhalb Meter Brückengeländer unter der Last der Liebe verabschiedet haben und in die Seine gestürzt sind.
Die nun neu anrollende Debatte über Sinn und Unsinn ist im Grunde so alt wie der Brauch selbst. In Norditalien sollen schon seit Jahrzehnten erst Soldaten das Ende ihres Dienstes, später Studenten das Ende ihres Studiums damit gefeiert haben, die Schlösser ihrer Spinde an einem Brückengeländer zu befestigen und die Schlüssel den Fluten zu überantworten. Amourös umgedeutet und damit frisch popularisiert hat diese Sitte der Schriftsteller Frederico Moccia mit seinem 2006 auch auf Deutsch erschienen „Ho voglia di te“ („Ich steh’ auf dich“). Darin befestigen die Hauptfiguren ein Schloss an der Laterne auf der Milvischen Brücke in Rom und befördern den Schlüssel mit einem Kuss und einem gehauchten „per sempre“ („für immer“) in den Tiber. Hach.
Nachahmer, Nachahmer, Nachahmer
Nun ist der Mensch zwar immer fähig zur Liebe, aber nur selten zur Fantasie, und so fand die Sache mit den Liebesschlössern das, was jeder Unsinn immer findet: Nachahmer. Längst ist die Laterne auf der Milvischen Brücke unter dem Gewicht der Schlösser umgeknickt.
Mit der Bedrohung gehen die Städte sehr unterschiedlich um. Während sich in Köln eine regelrechte Industrie für stählerne Liebesschwüre entwickelt hat, bestraft Venedig seine Liebenden mit 3.000 Euro, sollten sie den Beweis ihrer Zuneigung an der Rialto-Brücke anbringen. Tatsächlich kommen die Schlösser stets in Massen, wie Korallenriffe lagern sie sich überall an, worum ihr Bügel passt. Und passt er nicht, wird zusätzlich eine Kette zur Hilfe genommen.
Ästhetisch sind die libidinösen Verklumpungen längst als Landplage anerkannt. Es gibt wohl niemanden, der versonnen die Hohenzollernbrücke in Köln entlangschreitet, den Blick über inzwischen genau 179.999 Schlösser gleiten lässt und heiter bei sich denkt: „Was muss Liebe schön sein!“ Wenn die metastasierende Totalität tonnenschwerer Treueschwüre eine Frage aufwirft, dann eher die nach der Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen.
Öffentliches Upgrade der Liebe
Schon Nietzsche wusste: „Alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit“, und zwar deshalb, weil es kaum etwas Flüchtigeres gibt als die Lust. Mit dem Ritual um die Liebesschlösser erfährt die Lust ein öffentliches Upgrade zur Liebe. Was beweglich war, sitzt fest. Den Schlüssel haben wir weggeworfen. Herzlichen Glückwunsch!
Dabei ist gerade das Schloss viel eher ein Zeichen der Zögerlichkeit als eines der Dauer. Wer es wirklich ernst meint und glaubt, diese Ernsthaftigkeit symbolisch unterstreichen zu müssen, zieht sich seit Jahrtausenden gegenseitig Ringe auf. Paare in Köln müssen sich jedenfalls keine Sorgen machen. Die Hohenzollernbrücke wird halten. Sie ist, anders als italienische Laternen oder französische Geländer, kein Produkt welscher Flickschusterei, sondern preußische Wertarbeit aus kriegserprobtem Kruppstahl. Also Romantik pur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen