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Singapurs Ex-UN-Botschafter über Comeback Asiens"Die größten Optimisten der Welt"

Bis 1820 waren Indien und China die größten Volkswirtschaften der Welt. Wenn dieser Zustand jetzt wiederkommt, sei das eine "Rückkehr zur Norm" und völlig berechtigt, sagt Kishore Mahbubani.

Sieht Asiens Aufstieg entgegen: Dekan Kishore Mahbubani Bild: ap
Sven Hansen
Interview von Sven Hansen

taz: Herr Mahbubani, was bedeutet Barack Obamas Wahlsieg für das Image des Westens in der Welt?

Kishore Mahbubani: Obamas Wahl wird helfen, den weltweiten Antiamerikanismus um die Hälfte zu reduzieren. Millionen Afrikaner feiern seinen Wahlsieg. 200 Jahre westlicher Dominanz haben die Afrikaner demoralisiert. Und jetzt sehen sie nicht etwa einen Nachkommen von Sklaven, sondern den Sohn eines afrikanischen Vaters das mächtigste Amt der Welt erobern. Das gibt den Afrikanern einen großen Schub Selbstvertrauen. Vergleichen wir das mit Asien. Der Grund, warum die Länder dort sich so gut entwickeln, ist doch der große Schub im kulturellen Selbstvertrauen. Heute sind die Asiaten überzeugt, dass es ihnen besser gehen wird. Im gleichen Sinne könnte Obamas Sieg für die Afrikaner wirken.

In Ihrem Buch "Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz" beschreiben Sie einen relativen Niedergang des Westens. Zeigt Obamas Sieg nicht gerade die Fähigkeit der USA, sich in Krisenzeiten neu zu erfinden?

Die These meines Buches ist, dass wir jetzt in eine Phase kommen, die vom Ende der Dominanz der Weltgeschichte durch den Westen gekennzeichnet ist. Das ist nicht das Ende des Westens. Dieser bleibt die stärkste einzelne Zivilisation. Der relative Rückgang der Macht des Westens setzt sich aber fort. Dies ist eine Rückkehr zur Norm. Denn bis 1820 waren die beiden größten Volkswirtschaften immer China und Indien. Erst in den letzten 200 Jahren stiegen Europa und dann die USA auf. Wenn also um 2050 China die größte Volkswirtschaft ist, Indien die Nummer zwei, die USA die Nummer drei und Japan die Nummer vier, ist das eine Rückkehr zur historischen Norm.

Obama wird die westliche Dominanz also nicht aufrechterhalten können?

Weil in China, Indien und anderen asiatischen Staaten heute die optimistischsten Menschen der Welt leben. Sie glauben, ihnen gehört die Zukunft. Selbst wenn es kurzfristige Probleme wie jetzt in der Finanzkrise gibt, sind sie zuversichtlich, dass es ihnen gut gehen wird. Wenn erst einmal hunderte Millionen Menschen in der Weltwirtschaft entfesselt sind, können sie nicht mehr zurückgedrängt werden.

Reichen der Verweis auf die Geschichte und Asiens Optimismus als Beleg für das Ende der westlichen Dominanz?

Die westliche Dominanz der Weltgeschichte ist ein künstliches Phänomen. Die Bevölkerungszahl des Westens beträgt maximal 900 Millionen, die Erdbevölkerung 6,7 Milliarden. Der Westen macht nur etwa 12 Prozent aus. Es ist unnatürlich, dass 12 Prozent die restlichen 88 dominieren. In früheren Epochen reichte eine kleine Herrschaftsschicht, und die Massen der Bauern hatte kein Mitspracherecht. Diese Ära ist vorbei, wie auch die Zeit absoluter Herrscher. Um den Rest der Welt als gleichberechtigt anzunehmen und nicht von oben herab zu behandeln, muss der Westen seine Einstellung ändern.

Ihre Konzentration auf Asien vernachlässigt Afrika und Lateinamerika.

Ich könnte meine Argumente leicht dahin erweitern. In Lateinamerika sind doch bei den letzten Wahlen in Brasilien, Argentinien, Venezuela oder Bolivien Regierungen an die Macht gekommen, die den USA sagen, wir wollen unser Schicksal in die eigene Hand nehmen. Geht es um Afrika, stellen westliche Medien die Chinesen als neue Kolonisatoren dar. Die Afrikaner aber sagen: Es ist gut, dass die Chinesen kommen. Früher hat uns der Westen bevormundet. Davon haben die Afrikaner genug. Asiens Aufstieg gibt ihnen eine Alternative.

In islamischen Ländern wird Modernisierung oft als Verwestlichung wahrgenommen und deshalb abgelehnt.

Weil es bisher die einzig erfolgreichen Gesellschaften im Westen gab, werden Modernisierung und Verwestlichung gleichgesetzt. Weil islamische Länder Verwestlichung ablehnen, haben sie meist auch die Modernisierung abgelehnt. Aber jetzt sehen sie, dass asiatische Gesellschaften sich modernisieren und zugleich entwestlichen. China und Indien sind eben keine Kopien des Westens. Vielmehr entdecken sie ihre kulturellen Wurzeln wieder, von denen sie während der westlichen Dominanz abgeschnitten waren. Jetzt können islamische Länder am Beispiel Chinas und Indiens erfahren, dass sie sich modernisieren können, ohne dabei verwestlichen zu müssen.

China selbst ist doch heute viel westlicher als vor etwa 30 Jahren.

Es ist viel modernisierter. In meinem Buch beschreibe ich, wie meine Familie in Singapur eine Toilette mit Wasserspülung bekam. Das war ein unglaublicher Sprung in der Wahrnehmung der eigenen Würde. Genauso ist es heute in China, wo die Menschen sich moderne Annehmlichkeiten wie Waschmaschinen und Fernseher zulegen. Das ist Modernisierung. Schaut man auf die Inhalte der Fernsehsendungen, gibt es zwar westliche Filme, aber auch historische Serien, in denen die Menschen ihre eigene Kultur wieder entdecken. Die Inhalte sind vor allem chinesisch.

Schon Anfang der 1990er haben viele ein neues asiatisch-pazifisches Jahrhundert angekündigt. Dann kam 1997 die Asienkrise …

Es handelt sich um eine langfristige Verschiebung. China wird die größte Volkswirtschaft frühestens 2027 sein, Indien wird noch länger brauchen. 1994 und 95 habe ich als Diplomat in Europa für die Notwendigkeit eines Asien-Europa-Gipfels (Asem) geworben. Damals war Asiens Aufstieg offensichtlich, und die Europäer nahmen die Idee des Gipfels an. Dann kam 1997 die Asienkrise. Da glaubten die Europäer, Asien sei am Ende, und ließen es im Stich. Westliche Medien waren voll Schadenfreude. Natürlich werden die Asiaten noch einige Krisen durchmachen. Aber der langfristige Trend wird sich nicht ändern. Die Europäer müssen die neuen Realitäten akzeptieren: Es geht um eine fundamentale Verschiebung in der Weltgeschichte. Dafür bedarf es einer ganz neuen Haltung. Die Kultur der Herablassung gegenüber den Asiaten muss aufhören. In meinem Buch berichte ich von einer Begegnung mit dem belgischen Außenminister. Er war der Meinung, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges nur noch zwei Weltmächte gibt. USA und EU. Das ist doch arrogant.

Besteht nicht die Gefahr, dass asiatische Arroganz künftig die westliche ersetzt?

Sollten die Asiaten in Triumphalismus verfallen, wäre das ein Desaster, denn sie haben noch einen langen Weg vor sich. Doch bei meinen Begegnungen mit Politikern in China oder Indien konnte ich keinerlei Triumphalismus feststellen. Vielmehr sind sie sich des weiten Weges bewusst, den sie noch vor sich haben. Aber anders als früher sind sie viel zuversichtlicher. Die Chinesen wollen sich auf die gigantischen internen Herausforderungen konzentrieren, bemühen sich deshalb um ein friedliches Umfeld und wollen jede globale Führungsrolle vermeiden. Momentan wollen sie das internationale System noch nicht verändern. Sie wissen, dass es irgendwann geändert werden muss, aber sie sind geduldig.

Sie beschreiben Asien als moderner als den Westen. Die wichtigste Entwicklung der letzten Jahrzehnte, das Internet, wurde aber in den USA erfunden.

Der Westen ist innovativer als Asien und wird es noch eine Zeit bleiben. Die Asiaten halten das auch nicht für schlecht und haben zum Beispiel das Internet begierig aufgenommen. Die Länder mit der welthöchsten Breitband-Verbreitung sind Südkorea und Singapur. Unsere Regierung will jetzt jedem Haus einen Breitbandanschluss verpassen. Das drückt großes Vertrauen in die Macht des Internets aus. Wenn eine neue technische Entwicklung rauskommt wie der iPod, gibt es die meisten Kunden in Asien. Die Innovationen des Westens sind gut, aber auch die Asiaten investieren immer mehr in Entwicklung und Forschung. Bei Abschlussfeiern an US-Universitäten stammen die meisten Doktoranden inzwischen aus Asien.

Warum soll es der Welt besser gehen, wenn Asiaten darin mehr zu sagen haben?

In jeder Innenpolitik wäre es ein instabiler Zustand, wenn 12 Prozent der Bevölkerung den restlichen 88 Prozent ihren Willen aufzwingen. Wenn die Asiaten mitentscheiden, wird die Weltordnung stabiler, als wenn Amerikaner und Europäer allein die Welt kontrollieren. Es ist doch verrückt, dass der Chef des Internationalen Währungsfonds immer ein Europäer sein muss und jener der Weltbank ein Amerikaner, während 3,5 Milliarden Asiaten keine Chance auf diese Posten haben. Oder die G 8: Das ist doch ein Bild der Vergangenheit. Die G 8 hat nichts erreicht. Trotzdem wird das fortgesetzt. Oder die OECD, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ein Club der Reichen: Was hat er für die Welt erreicht? Nach 50 Jahren Entwicklungshilfe gibt es fast keine Erfolge.

China will bisher nicht Mitglied der G 8 werden.

Die Chinesen befürchten, dass ihr Interesse, Mitglied der G 8 zu werden, zurückgewiesen wird. Deshalb warten sie, bis man sie formal einlädt. Kommt diese Einladung, werden die Chinesen sie annehmen. Da bin ich absolut sicher.

Sie setzen auf eine asiatische Zukunft, doch die Asiaten haben noch nicht einmal ihre eigenen Konflikte gelöst.

Es gibt viele historische Dispute in Asien, die sich nicht über Nacht beenden lassen. Um solche Konflikte in Europa zu lösen, waren zwei Weltkriege nötig. Millionen Europäer sind gestorben, bevor es möglich wurde, die Europäische Union zu schaffen, in der Kriege nicht mehr möglich sind. Das ist ein Gipfel der Zivilisation. In Asien sind wir noch nicht so weit, aber wir haben einen großen Schritt gemacht, denn das Risiko eines Krieges ist heute so niedrig wie nie zuvor.

INTERVIEW: SVEN HANSEN

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