Sieg für Umweltaktivisten: Deutschlands Felder gentech-frei
Nicht mal mehr im Versuchsanbau: 2013 wachsen das erste Mal seit 20 Jahren in Deutschland keine Gentech-Pflanzen unter freiem Himmel.
Auf Deutschlands Äckern wächst 2013 erstmals seit 20 Jahren keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze. Als letzter Inhaber einer Genehmigung für Freilandversuche in diesem Jahr hat das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) im sachsen-anhaltischen Gatersleben sein geplantes Experiment abgesagt. Das IPK wollte in diesen Tagen Gentech-Winterweizen aussäen.
„Unser Freilandversuch wird in diesem Jahr leider nicht stattfinden“, teilte IPK-Sprecher Roland Schnee der taz.am wochenende mit. Er begründete das mit den Zerstörungen von Freisetzungsversuchen durch militante Gentechnik-Gegner. Sie hätten dazu geführt, dass „es in Deutschland kaum noch Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen gibt“.
Aus der Liste des zuständigen Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geht hervor, dass der IPK-Versuch mit Winterweizen als letztes Experiment in diesem Jahr hätte stattfinden können.
Monsanto gibt auf: 2013 wurde in Deutschland keine gentechnisch veränderte Pflanze angebaut. Die Geschichte dieses Konsumkriegs lesen Sie in der taz.am wochenende vom 2./3. November 2013 . Terror und Überwachung haben eins gemeinsam: Sie können jede treffen. Und: "Die Sendung mit der Maus" atmet den Geist von '68, sagt Christoph Biemann. Außerdem: Der Mensch in der Revolte - In ein paar Tagen wäre Albert Camus 100 geworden. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Der Versuch war auf Flächen der Firma BioTechFarm in Üplingen geplant. Deren Geschäftsführerin Kerstin Schmidt sagte der taz.am wochenende: „Wir würden kein Geschäft machen mit nur einem einzigen Versuch.“ Der technische und personelle Aufwand lohne sich nicht.
Die Bewegung wird Mainstream
Damit ist nach dem kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen 2012 nun auch der Versuchsanbau in Deutschland zum Erliegen gekommen – ein weiterer Sieg für die Anti-Gentech-Bewegung.
Die Bewegung hat ab 1996 den Mainstream erobert: Damals wurden die ersten gentechnisch veränderten Pflanzen aus den USA nach Deutschland importiert. Die Umweltorganisation Greenpeace blockierte Schiffe, die die Soja transportierte, und startete eine europaweite Kampagne. Ergebnis: Unterstützten oder tolerierten 1996 nach einer Umfrage im Auftrag der EU-Kommission noch 56 Prozent der Deutschen Gentechnik in der Landwirtschaft, waren es drei Jahre später nur noch 49 Prozent.
Dabei nutzten die Aktivisten die Angst vieler Menschen vor der neuen Technologie. Sie fürchten, dass die Pflanzen zum Beispiel Allergien oder Krebs verursachen könnten. Die mutmaßlichen Belege dafür sind allerdings höchst umstritten. Gentechnikpflanzen ermöglichen es aber auch, aus wirtschaftlichen Gründen über Jahre auf denselben riesigen Feldern die gleichen Pflanzenarten anzubauen. In solchen Monokulturen können sich Schädlinge und Krankheiten schneller ausbreiten. Auf diesen Feldern überleben weniger Tier- und Pflanzenarten.
Durch intensive Lobbyarbeit erreichte etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), dass die EU 2003 einen folgenschweren Beschluss fasste: Wenn ein Lebensmittel zu mehr als 0,9 Prozent aus Gentech-Pflanzen besteht, muss das gekennzeichnet werden. Das ermöglichte es den Verbrauchern, sich im Supermarkt bewusst gegen Gentechnik zu entscheiden. Deshalb wagte es kaum ein Lebensmittelhersteller, gentechnisch veränderte Pflanzen zu verarbeiten.
Aigner gegen Gentech-Mais
Mit hunderten Informationsveranstaltungen in Bayern trugen die Gentechnikgegner dazu bei, dass schließlich die Regierungspartei CSU in der Gentech-Frage kippte. 2009 verbot deshalb die damalige Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) den Gentech-Mais MON810 von Monsanto in Deutschland.
Monsanto-Konkurrent BASF gab im Januar 2012 auf und stoppte den ohnehin vor sich hinsiechenden Anbau seiner Gentech-Kartoffel Amflora – unter anderem, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2010 das restriktive deutsche Gentechnikgesetz bestätigt hatte. Damit war der kommerzielle Anbau in Deutschland am Ende.
Monsanto gestand im Mai 2013 seine Niederlage in der taz ein. Geschäftsführerin Ursula Lüttmer-Ouazane sagte über den Anbau von Gentech-Pflanzen in Deutschland: „Wir haben verstanden, dass das im Moment nicht die breite Akzeptanz hat.“ Wenig später zog Monsanto vier seiner acht Zulassungsanträge für den Anbau in der EU zurück, die anderen sollen bald folgen. Verlängern will der Konzern die Lizenz für MON810, die in Deutschland außer Kraft gesetzt ist.
Ist dieser Sieg der Gentechnikgegner endgültig? Was ist mit den massenhaften Importen von Gentech-Futter? Diskutieren Sie mit! Wir freuen uns auf Ihre Meinung.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott