Trendwende in der Agrarfoschung: „Voll gegen die Wand gefahren“
Eine Neuausrichtung der Agrarforschung wird gefordert. Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Energiewende lassen aber nur wenig Zeit dafür.
BERLIN taz | Die Weltbevölkerung wächst, aber mit ihr auch die Zweifel, ob Landwirtschaft in Zukunft neun Milliarden Menschen ernähren kann. Hinzu kommen die ökologischen Probleme, die mit der heutigen Form der Intensiv-Landwirtschaft unübersehbar einhergehen.
Diese Trends fordern auch die Agrarforschung heraus; die Stimmen nach neuen wissenschaftlichen Ansätzen werden lauter. Anlässlich der „Grünen Woche“ befragte die Wissenschaftspressekonferenz (WPK) in dieser Woche Experten in Berlin, wie eine „neue Agrarforschung“ in Deutschland aussehen müsste.
Für Wilfried Bommert, Agrar-Journalist und Sprecher des Instituts für Welternährung in Nümbrecht, ist die „High-Input-Landwirtschaft“ – getrieben durch intensiven Einsatz von Kunstdünger, Pflanzenschutzmittel und Erdöl – derzeit dabei, „voll gegen die Wand zu fahren“.
Die Fruchtbarkeit der Böden habe sich in den letzten Jahrzehnten um 30 Prozent verringert, der Artenverlust auf den Äckern der Agrarindustrie wird auf 95 Prozent geschätzt, die Grundwasservorräte sind durch Nitratbelastung nur noch zur Hälfte nutzbar.
Zudem sind bei zentralen Rohstoffen wie Phosphat und Kali die natürlichen Vorräte in wenigen Jahrzehnten erschöpft. Mit all dem agroindustriellen Aufwand konnte die Produktion von wichtigen Getreidesorten wie Weizen und Reis in den Jahren 2000 bis 2010 nur um ein Prozent gesteigert werden. In gleichem Zeitraum erhöhte sich die Nachfrage durch Bevölkerungswachstum um 1,8 Prozent – die Ernährungsschere geht auseinander. „Mit dieser Art von Landwirtschaft lässt sich die Welternährung nicht sichern“, ist Bommert überzeugt.
Weltformel funktioniert nicht
„Die Agrarforschung muss sicherlich umdenken“, ist auch die Überzeugung von Ulrich Köpke, Professor am Institut für Organischen Landbau der Universität Bonn. Bis vor fünf Jahren, als mit der Finanzkrise auch die Agrarmärkte von den Spekulanten entdeckt wurden, waren landwirtschaftliche Überproduktion in Gestalt von Butterbergen und Milchseen sowie Flächenstilllegungen die Hauptthemen der heimischen Agrarwissenschaftler. International wurde das Modell der industrialisierten Landwirtschaft exportiert.
„Aber die Weltformel hat nicht funktioniert“, kann Köpke am Vergleich der ostafrikanischen Länder Ruanda und Uganda belegen. Wichtiger als die eingesetzte Technik sind die örtlichen Bedingungen wie Lage und Klima, um zu guten Erträgen zu kommen.
Zentral ist auch die Einbeziehung der örtlichen Bevölkerung und ihres kulturellen Hintergrundes. Vergleichbare Ansätze sollte der ökologische Landbau nach Meinung des Bonner Experten auch in Deutschlands peripheren Regionen wie dem Hunsrück, der Eifel und dem Westerwald verfolgen.
Mehr als 5.000 Wissenschaftler
Die deutsche Agrarforschung ist ein Milliardenbetrieb. Derzeit widmen sich nach Angaben von Stefan Lange, Forschungskoordinator am Thünen-Institut in Braunschweig, rund 5.200 Wissenschaftler den Themen Ackerbau, Viehzucht und Ernährung. Zwei Drittel davon arbeiten an deutschen Hochschulen, ein Drittel an außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Zu ihnen gehört auch die Ressortforschung wie das Thünen-Institut, das dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft untersteht. Da die Agrarforschung in den Hochschulen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgebaut wurde, beläuft sich ihr Gesamtbudget an Stellen und Projektmitteln auf jetzt rund 600 Millionen Euro im Jahr, während die außeruniversitären Institute über 700 Millionen Euro verfügen können.
In der Breite ist zwar eine große Themenvielfalt der Agrarforschung anzutreffen, viele davon aber werden von den Individualinteressen der Wissenschaftler getrieben. Doch was die großen globalen Themen der Welternährung und des Klimaschutzes angeht, räumt Stefan Lange ein, darauf sei die deutsche Agrarforschung „strategisch nicht vorbereitet“.
Daher wurde im vorigen Jahr die Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA) gegründet, die sich neben Nachhaltigkeitsthemen auch stärker um die gesellschaftliche Akzeptanz kümmern will.
Optimierung allein reicht nicht
So sei „für die Optimierung der Nutztierhaltung in der Vergangenheit immer Geld“ dagewesen, erläutert der Thünen-Forscher. „Was aber vergessen wurde, war die gesellschaftliche Erwartung zum Thema Massentierhaltung“.
Umstritten ist weiterhin, wie die WPK-Anhörung zeigte, die Einschätzung der Bioökonomie. Darunter wird, wie Henk van Liempt, Referatsleiter Bioökonomie im Bundesministerium für Bildung und Forschung erläuterte, eine Wirtschaftsform verstanden, „die auf natürliche Prozesse zurückgreift und natürliche Ressourcen nutzt“. Dafür gibt die Bundesregierung pro Jahr 140 Millionen Euro aus, wovon 30 bis 40 Millionen in landwirtschaftliche und Pflanzenforschung gehen.
Weitere Schwerpunkte der Bioökonomie sind Energie und industrielle Rohstoffe. Steffi Ober von der Zivilgesellschaftlichen Plattform ForschungsWende kritisierte, dass das Bioökonomie-Programm zu sehr auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet sei und forderte den „Einbezug gesellschaftlicher Erwartungen“. Der Ministeriumsvertreter war offen für solche Beteiligungen, wenn sie „in praktikabler Gestalt“ eingebracht würden. Henk van Liempt: „Wir brauchen für die Bioökonomie auch die Gesellschaft“.
Gentech-Versuche in Nordamerika
Eine Gruppe hat sich allerdings aus der deutschen Agrarforschung weitgehend verabschiedet: die Spezialisten der Grünen Gentechnik. Professor Hans-Jörg Jacobsen konzentriert sich in seinem Institut für Pflanzengenetik an der Universität Hannover vor allem auf die Lehre.
„Mit meinen Freisetzungsprojekten bin ich 2012 nach Nordamerika gegangen“, berichtet Jacobsen. Themen sind die Trockentoleranz und die Pilzresistenz von Pflanzen. Bei Gentechnik-Kollegen beobachtet er einen Rückzug auf die Grundlagenforschung. Obwohl in Deutschland erfunden, sei die Grüne Gentechnik aufgrund politischer Restriktionen auf dem Abstieg. Jacobsen: „Wir werden dies später teuer zurückkaufen müssen.“
Sollte die niedersächsische Landesregierung ihre in der Koalitionsvereinbarung verankerte Ablehnung der Grünen Gentechnik auch in eine Gesetzesverordnung gießen, werde es Klagen in Karlsruhe wegen Verstoßes gegen die Forschungsfreiheit geben, so Jascobsen. Die Agrarforschung erobert die Justiz – das womöglich nächste Kapitel.
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