■ Daumenkino: „Shine“
„Shine“ ist ein Film über den australischen Pianisten David Helfgott, der einen Teil seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt verbrachte. Sein Psychiater nennt Helfgotts Zustand „schizoaffective disorder“. Helfgott spricht sehr schnell, wiederholt jeden Satz mehrmals, hat eine Neigung, alle Menschen abzuküssen, und schwimmt täglich vier Stunden, um seine angestauten Energien loszuwerden. Auch Tabletten, sagt Newsweek, sorgen dafür, daß er nicht die Wände hochgeht. Helfgott ist inzwischen verheiratet und gibt seit etwa zehn Jahren wieder Konzerte.
Wo Wahnsinn im Spiel ist, kann Genie nicht weit sein — entlang dieser These hangelt sich Regisseur Scott Hicks durch den Film. In dieser Hinsicht bietet der Film nicht mehr als einen Haufen alberSympathy for the Schizo: Geoffrey Rush als HelfgottFoto: Verleih
ner Klischees: David, der so in seiner Musik aufgeht, daß er ständig zwei verschiedene Schuhe trägt oder ohne Hosen zum Briefkasten marschiert. Später dann spielt Helfgott in einem Restaurant Rimsky-Korsakows „Hummelflug“, obwohl er seit Jahren nicht mehr geübt hat — eine zirkusreife Leistung, ebenso wie die Darstellung des erwachsenen Helfgott durch Geoffrey Rush, der virtuos den manischen Sprachrhythmus von Helfgott nachahmt. Die Restaurantbesucher finden den Pianisten wundervoll, und David geht durch die Reihen und knutscht alle ab. Was er ja auch im wirklichen Leben tut. Unversehens erscheint selbst das als Zirkusnummer.
Nur einmal wagt der Film den Zuschauer aus seiner „Ist der aber putzig“-Sympathie aufzuschrecken: In einer Szene wartet Helfgott mit einem Konkurrenten während eines Pianistenwettbewerbs auf die Entscheidung der Jury. „Ein hartes Spiel, was?“ „Es ist ein Blutsport“, antwortet der Konkurrent, bevor er auf die Bühne hechtet, um den ersten Preis in Empfang zu nehmen. Helfgott hat verloren. Mit einem Schizophrenen ist leicht Mitleid haben, aber was ist mit einem Verlierer? See
„Shine“. Regie: Scott Hicks
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