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Sexueller Missbrauch im US-SchwimmenAkte des Grauens

US-Schwimmerinnen greifen den Verband an, weil Hinweise auf sexuellen Missbrauch ignoriert werden. Eingeleitete Reformen seien halbherzig.

King wurde verurteilt, weil er in verschiedenen Schwimmclubs Dutzende von Mädchen vergewaltigt hatte Bild: dpa

NEW YORK taz | Robert Allard konnte das kaum verdauen, was ihm der Richter der nordkalifornischen Stadt Santa Clara da vor zwei Jahren anvertraute, „das drehte einem den Magen um.“ Hunderte und Aberhunderte von Seiten einer Akte durfte der Anwalt Allard im Jahr 2012 einsehen, Hunderte von Versionen der immer gleichen, deprimierenden Geschichte.

Allard vertrat damals die ehemalige Spitzenschwimmerin Jancy Thompson in ihrer Klage wegen sexuellen Missbrauchs gegen ihren Trainer Norm Havercroft. Havercroft hatte angefangen, Thompson regelmäßig zu vergewaltigen, als sie 11 Jahre alt war. „Er hat meine gesamte Kindheit und Jugend verkorkst und mich emotional vollkommen zerstört“, erklärte Thompson. Bis heute, beinahe 10 Jahre später, ist sie in Therapie.

Nun ging Thompson zuletzt juristisch gegen Havercroft und den Verband vor, doch ihr Anwalt sah sich einer juristischen Übermacht gegenüber, die der nationale Schwimmverband USA Swimming aufbot. 3,8 Millionen Dollar hatte USA Swimming ausgegeben, um Thompson zum Schweigen zu bringen.

Immerhin hatte Allard jedoch erwirkt, dass er diese Akte einsehen durfte, die dokumentierte, wie viele offizielle Beschwerden wegen sexueller Belästigung der Schwimmverband über die Jahre bekommen, gesehen und ignoriert hatte. Es war eine Akte des Grauens. Unzählige Mädchen wie Thompson waren und sind skrupellosen Figuren wie Havercroft schutzlos ausgeliefert.

Größter Skandal der US-Sportgeschichte

So schrieben 19 betroffene Frauen, darunter die Olympiasiegerinnen Deena Deardruff und Nancy Hogshead in diesem Frühjahr in einer Petition, dass der Schwimmverband „immer nur gehandelt habe, wenn er durch massiven öffentlichen Druck dazu gezwungen wurde“. Die 19 Frauen, die sich zur Interessenvertretung „Women’s Sport Foundation“ zusammengeschlossen haben, sprechen vom „größten Missbrauchsskandal in der US Sportgeschichte“.

Der langjährige Direktor des US-Schwimmverbandes, Chuck Wielgus, spielte dabei eine zentrale Rolle. Zu Beginn dieses Jahres konnten die 19 Frauen verhindern, dass der 64-Jährige wegen seiner Verdienste um den Sport in die Ruhmeshalle des Schwimmens aufgenommen wird. Doch sie wollen mehr. „Ich kann nicht verstehen, dass Wielgus noch immer auf seinem Stuhl sitzt“, sagt die heutige Rechtsanwältin Nancy Hogshead, die bei den Spielen 1984 drei Goldmedaillen gewann.

Wielgus hat oft weggeschaut. Etwa im Fall von Rick Curl, der Trainer eines erfolgreichen Klubs im Großraum Washington sowie an der Universität von Maryland in den 80er und 90er Jahren war. Er wurde im Jahr 2012 wegen Vergewaltigung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem eines seiner Opfer, die Schwimmerin Kelly Currin, der Washington Post erzählte, wie Curl sie zu Beginn der 80er Jahre regelmäßig vergewaltigt hatte.

Currin und ihre Familie hatten damals Curls Arbeitgeber, die Universität von Maryland, informiert und dazu bewegt, Curl zu entlassen. Die Lehranstalt war von den Statuten her verpflichtet, den Verband einzuschalten. Doch Curl betreute weitere 23 Jahre junge Schwimmerinnen und wurde gar vom Verband zum Trainer des Jahres gewählt.

Noch offenkundiger war Wielgus’ Versagen im Fall des kalifornischen Trainers Andy King. King wurde im Jahr 2009 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er über Jahrzehnte in verschiedenen kalifornischen Schwimmclubs Dutzende von minderjährigen Mädchen vergewaltigt hatte. Wielgus hatte bereits im Jahr 2003 eine Beschwerde einer Schwimmerin erhalten, hatte jedoch verbandsintern angeordnet, die Beschwerde „vertraulich“ zu behandeln.

Veränderungen nur nach Androhungen

Immerhin hat der US-Schwimmverband im Jahr 2012 als erster olympischer Sportverband einen strengen Verhaltenskodex implementiert. Der neue Kodex verbietet unter anderem jeglichen sexuellen Kontakt zwischen Trainer und Athleten, selbst wenn die Sportler älter als 16 sind und somit nicht mehr vom Gesetz geschützt. Kritiker wie die Frauen der „Women’s Sport Foundation“ weisen darauf hin, dass erst die Androhung einer Mittelkürzung durch das Nationale Olympische Komitee den Kurswechsel bewirkt hätte.

Deena Deardruff, Vergewaltigungsopfer und Olympiasiegerin von 1972, erklärte in einem Interview: „Der Verhaltenskodex ist ein Witz. In dem Komitee, das ihn entworfen hat, saß keine einzige Frau.“ Um der Reformanstrengung Glaubwürdigkeit zu verleihen, würde sich Deardruff wünschen, dass der Verband die Opfer in die Reformbemühungen mit einbezieht.

„Wenn das Schicksal eines kleinen Mädchens gegen den Glanz eines Olympiasiegs aufgewogen wird“, sagt der Anwalt Robert Allard, „dann gewinnt immer der Olympiasieg.“ Ein paar zerstörte Existenzen seien innerhalb dieser Logik ein bedauerliches, aber manchmal notwendiges Opfer.

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8 Kommentare

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  • So gehen TäterInnen vor:

    http://www.badische-zeitung.de/liebe-familie/kindesmissbrauch-neinsagen-reicht-nicht--66034082.html

     

    Gerade in recht geschlossenen Verbünden, wie dem Leistungssport, religiösen Gemeinschaften und Internaten haben sie ein besonders leichtes Spiel.

  • Die Eigenschaften, die der Leistungssport propagiert, bilden eine recht große Schnittmenge mit denen, die Missbrauchern helfen, ungestört Kinder sexuell ausbeuten zu können.

    Hinzu kommt, dass Schein und Sein in diesem hoch kommerzialisierten Bereich sehr voneinander abweichen. Nicht umsonst sind die Kindesmissbraucher unter den Trainern häufig personalidentisch mit Denjenigen ,die Dopingmittel verabreichen. Solche Stoffe verändern Physis und Psyche junger Menschen. Auch das ist eine Form von Missbrauch.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Allesamt mißbraucht und trotzdem zu Spitzenschwimmerinnen aufgestiegen. Warum haben sie das Ganze nicht beim ersten Anzeichen von Belästigung aufgegeben? Schließlich fangen solche Dinge nicht gleich mit "Vergewaltigung" an. Was hat sie gezwungen dabei zu bleiben? Die Aussicht auf Ruhm und Geld? Tut mir leid, aber Mitleid kann ich hier nicht aufbringen.

    • @774 (Profil gelöscht):

      Sie vielleicht nicht.

       

      Denken Sie wirklich, dass Kinder bzw. Jugendliche so selbstbestimmt handeln? Können Sie sich nicht vorstellen, wieviel Druck auf so einer jungen Person lastet -- die Eltern, die möglicherweise viele Opfer gebracht haben. Scham und eigene Schuldgefühle, die man ihnen womöglich eingetrichtert hat. Der Gesichtsverlust, vom Vorbild zum Opfer ohne Zukunft zu werden.

       

      Und vor allem, sagen Sie ernsthaft, dass man ein großes Lebensziel einfach über Bord werfen sollte, weil da ein perverser Trainer sein Unwesen treibt? Dass man die "Geschäftsbedingungen" akzeptiert, wenn man dabeibleibt? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

      • @fhirsch:

        @FHIRSCH,

         

        der Sport eignet sich wie die Religion auch besonders gut für TäterInnen, um mittels perfider Groomingstrategien Kinder und Jugendliche einzufangen.

        Die Methoden, die im Sport, in der Religion und beim Kindesmissbrauch angewandt werden sind sogar häufig identisch.

        In allen diesen Bereichen, Sport, Religion und Kindesmissbrauch geht es darum, Menschen ein Stück weit zu manipulieren, in Abhängigkeiten zu bringen und so zu veranlassen, Dinge zu tun oder zu glauben, von denen sie sonst Abstand nehmen würden.

      • 7G
        774 (Profil gelöscht)
        @fhirsch:

        [und vor allem, sagen Sie ernsthaft, dass man ein großes Lebensziel einfach über Bord werfen sollte, weil da ein perverser Trainer sein Unwesen treibt?] - Und das meinen sie jetzt ernst?

        • @774 (Profil gelöscht):

          Einem 11-Jährigen Mädchen indirekt vorzuwerfen, sie habe sich nach ihrer Vergewaltigung durch eine vertrauens- und Autoritätsperson nicht erfolgreich gewehrt,zeugt jetzt auch nicht gerade von besonderer Brillianz.

  • Danke für den Bericht! Die üblichen "Leitmedien" haben bislang nicht auf die Meldungen aus den USA reagiert.

     

    Zitat: "„Wenn das Schicksal eines kleinen Mädchens gegen den Glanz eines Olympiasiegs aufgewogen wird“, sagt der Anwalt Robert Allard, „dann gewinnt immer der Olympiasieg.“ Ein paar zerstörte Existenzen seien innerhalb dieser Logik ein bedauerliches, aber manchmal notwendiges Opfer."

     

    So ist (und war) das überall. IMMER war alles andere wichtiger als die Mädchen (Kinder). In den Familien ist der Schein nach außen und/oder die ökonomische Versorgung wichtiger als die Mädchen, in den Sportinstituten, Kirchen, Internaten usw. ebenfalls der Schein nach außen und das, was die Erwachsenen als Profit ansehen. Andreas Huckele (alias J. Dehmers) berichtet in seinem Buch "Wie laut soll ich denn noch schreien?", dass seine bereits 1998 erfolgten Bemühungen, den Skandal an der Odenwaldschule öffentlich zu machen, intern bei der ZEIT die (Nicht)Reaktion auslöste, man wolle "wegen ein paar missbrauchter Kinder die Reformpädagogik nicht kaputt machen" (S. 138).