Sexuelle Identität soll ins Grundgesetz: Schutz für Homo- und Bisexuelle
FDP, Grüne und Linke wollen das Grundgesetz ändern. Das Diskriminierungsverbot soll um sexuelle Identität erweitert werden.
Artikel 3 schützt bislang vor Ungleichbehandlung aufgrund von Merkmalen wie Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben und religiöser oder politischer Anschauung. 1994 kam Behinderung als Merkmal hinzu. Nun soll die „sexuelle Identität“ eingefügt werden, um Lesben, Schwule und Bisexuelle besser zu schützen.
„Der Verfassungsrang von sexueller Identität schafft einen anderen Schutz und eine bessere Sichtbarkeit“, so Doris Achelwilm (Linke). Die Ergänzung sei wichtig, so der Antrag, weil Homo- und Bisexuelle die einzige Gruppe seien, die zwar im Nationalsozialismus verfolgt wurden, aber nun nicht durch das Grundgesetz explizit geschützt sind. Ein einfaches Gesetz könnte Lesben, Schwulen und Bisexuellen dann ihre Rechte nicht mehr entziehen.
Seit Herbst haben Grüne und FDP an dem Antragstext zusammengearbeitet. Nun hat sich auch die Linksfraktion im Bundestag angeschlossen. Für die Grünen ist der Gesetzentwurf ein Teil des Aktionsplans gegen Homo- und Transphobie, den sie in der vergangenen Woche in den Bundestag eingebracht hatten. Ulle Schauws, queerpolitische Sprecherin der Grünen, spricht nun von einer „historischen Chance“, weil gerade das 70-jährige Jubiläum des Grundgesetzes gefeiert werde.
Politischer Druck benötigt
In diesem Zusammenhang solle nun über die fehlende sexuelle Identität gesprochen werden. Bislang gibt es entsprechende Regelungen schon in den Landesverfassungen von Bremen, Berlin, Brandenburg, Thüringen und dem Saarland sowie in der Grundrechtscharta der Europäischen Union.
Für eine Grundgesetzänderung braucht es im Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Um genug politischen Druck auf die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD auszuüben, soll der Lesben- und Schwulenverband helfen. Der Verband hatte bereits 2007 mit der Kampagne 3+ mit Prominenten für das Anliegen geworben. „Bisher blieb sie leider ohne Erfolg“, so Bundesvorständin Henny Engels.
„Das ist ein Anliegen, das quer durch die politischen Lager angenommen wird“, behauptet Jens Brandenburg. Er verweist auf eine aktuelle repräsentative Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, wonach 51 Prozent der Bürger*innen eine solche Erweiterung befürworten.
Im Bundestag sind momentan aber nur die drei Oppositionsfraktionen dafür. In der Union stoß der Vorschlag am Dienstag auf Ablehnung. „Das Grundgesetz darf nicht mit Änderungen oder Ergänzungen überfrachtet werden, für die es gar keine Notwendigkeiten gibt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende Thorsten Frei der FAZ. Am Mittwoch, kurz nach der Pressekonferenz, äußerte sich Karl-Heinz Brunner, queerpolitischer Sprecher der SPD, nicht mehr völlig ablehnend, sondern verhalten: „Für eine solide Zweidrittelmehrheit gemeinsam zu werben, das ist Auftrag und Verpflichtung“, schrieb er nach dem Pressegespräch auf Twitter.
Schwierige Definition
Dies brauche jedoch Zeit. Nur ein Unionsabgeordneter sprach sich bislang öffentlich für das Anliegen aus. „Ja – wir brauchen ein klares Signal gegen Diskriminierung und Hass“, schrieb Jan-Marco Luczak, stellvertretender rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, am Mittwochmorgen auf Twitter. Angesichts der homophoben Übergriffe, die die Polizei seit Jahren vermeldet, habe er seine Meinung geändert.
Umstritten ist die Definition von „sexueller Identität“ in dem Antragstext. Der Gesetzentwurf definiert diese als „andauerndes Muster emotionaler, romantischer oder sexueller Anziehung zu Menschen eines bestimmten oder verschiedener Geschlechter“. Auf Nachfrage gibt Brandenburg zu, dass „romantisch“ im rechtlichen Sinn „keine haarscharfe Definition“ sei. Romantik stehe aber drin, um zu zeigen, dass Liebe zwischen zwei Menschen mehr als der sexuelle Akt sei.
Nun sollen Anhörungen im Rechtsausschuss des Bundestages folgen. „Bei der Ehe für alle haben wir den Fehler gemacht, die Debatte lange zu vermeiden“, so Brandenburg. „Jetzt wollen wir die Debatte öffentlich führen.“ Noch vor der Sommerpause wollen die Fraktionen den Antrag einbringen. Anhörungen werden wahrscheinlich erst danach folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf