Sexualwissenschaftler Martin Dannecker: Idol, Ikone und dafür viel Applaus
Dannecker studieren heißt das gute, schwierige Leben zu studieren: „Faszination Sex“, die Schau zu seinen Ehren läuft im Schwulen Museum* Berlin.
Ein kongeniales Entree: Im Ausstellungsraum, den Kuratorin Patsy L’Amour LaLove vorbereitet hat, stehen gleich rechts ziemlich unbequeme Sitzmöbel: aus Hartschaum gefertigte Zigarettenstummel. Wie sollte das beim bekennend lustvollen Raucher, dem diese Schau gewidmet ist, auch anders sein?
Martin Dannecker ist kein Gesundheitsfanatiker, er weiß um die Gefahren des Qualmens und tut es, bei aller Liebe zur Selbstbeobachtung, doch. Dannecker, das ist ein Mann, der in diesen Tagen 75 Jahre alt wird, dem, so sagt er selbst, sich sein Leben ins Gesicht geprägt hat, mit allen Falten und Furchen.
Ohne ihn und seine Arbeit hätte es die Schwulenbewegung, hätte es das theoretische Mühen zur (Homo-)Sexualitätsfrage in Deutschland nicht gegeben. Dieser Mann ist immer noch wie ein Junger, in ihm lodert noch immer mehr Heftigkeit zur Sache als in vielen der biologisch wahrhaft Jugendlichen: Dannecker war und ist das Schwule lebenswichtig.
Er hat achtundsechzig in Frankfurt am Main erlebt, hat die Kritische Theorie Adornos etc. angefüllt mit den Befunden der Freud’schen Psychoanalyse – und mit Reimut Reiche 1974 die Studie „Der gewöhnliche Homosexuelle“ veröffentlicht – die sich zu allem, was bis dahin zu Schwulen wissenschaftlich und journalistisch publiziert wurde, insofern unterschied, als kein Sollen mehr ausgebreitet wurde, sondern ein Sein: der Schwule als gesellschaftliches Wesen.
Kein Freund der Ehe für alle
Dannecker war nie ein Freund der Ehe für alle, für ihn war und ist das Projekt der Verbürgerlichung, obwohl er habituell einem Bürger doch sehr nahe kommt, keines, dem Schwule anhängen sollten. Er hat, als wissenschaftlicher Aktivist, während der Aids-Krise seit den Achtzigern keine Enthaltsamkeitskampagne mitgemacht, hat nicht homosexuellen Männer Schuld an der Epidemie attestiert – sondern immer das Recht auf Lust betont, und das hieß und heißt auch immer, das Recht auf Destruktion.
Die Schau im Schwulen Museum* lohnt sich schon deshalb, weil Dannecker studieren das gute, schwierige Leben studieren heißt. Man lernt ihn kennen, von Kindesbeinen an – bis heute: „Faszination Sex“ ist der Titel, und bei der Vernissage gab es wärmstens prasselnden Applaus für einen, der als Ikone respektiert und eigentlich ein Idol sein sollte – denn er lebt ja noch, und wie.
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