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Sexistische VideospieleNext Level Frauenhass

Im Videospiel „No Mercy“ müssen möglichst viele Frauen vergewaltigt werden. Das ist kein Einzelfall, sondern Zeichen einer misogynen Gaming-Kultur.

Wurde schon immer sexualisiert und objektiviert: Lara Croft im Spiel „Tomb Raider“ Foto: Ronald Grant Archive/Mary Evans/image

Weibliche Figuren haben es nicht leicht in der Welt der Videospiele. Über Jahrzehnte wurden sie sexualisiert, stigmatisiert, marginalisiert, objektiviert und fetischisiert. Davon zeugen nicht nur die spitzen Pixelbrüste von Lara Croft aus den frühen „Tomb Raider“-Spielen, sondern auch die sexuellen Übergriffe von Figuren wie „Duke Nukem“, „Leisure Suit Larry“ und „General Custer“ in ihren gleichnamigen Spielereihen.

Inzwischen haben sich weibliche Charaktere im Medium etabliert und dienen nicht mehr nur der männlichen Fleischbeschau. Sie haben nun eigene Geschichten, Stärken, Schwächen und Ambitionen. Doch der Sexismus ist nicht besiegt, weder in der Gesellschaft noch in den Medien.

Ein trauriger Beweis dafür ist der im März erschienene Titel „No Mercy“. Der Inhalt ist denkbar abartig: Das Ziel sind Vergewaltigungen an Frauen, die Erpressung der eigenen Stiefmutter, Inzest und das Übergehen eines jeden „Nein“.

Das Überschreiten von Grenzen steigern im Spiel das „Dominanz-Meter“ des männlichen Protagonisten. Eine solche Mechanik soll die Gewalt gegen Frauen verherrlichen. Durch eine Kampagne von Collective Shout, einem Kollektiv gegen die Ausbeutung sexueller Inhalte in den Medien, konnte das Spiel im April verboten und von der weltweit größten Vertriebsplattform Steam offline genommen werden. Dabei war das Spiel bis zu seiner Gegenkampagne vollkommen unbekannt.

Ähnlich gelagerte Spiele gibt es zu Tausenden, nur eben nicht an der Oberfläche des Internets – wie Steam es ist –, sondern in seinen Tiefen, wo die Inhalte dunkler und abstoßender werden. „No Mercy“ ist kein Einzelfall. Es ist ein Symptom.

Deswegen ist es notwendig, den Titel öffentlich zu diskutieren, um darauf aufmerksam zu machen. Während manche Streamer – deren Namen man an dieser Stelle gar nicht erst erwähnen muss – einen „feministischen Kult“ hinter dem Verbot sehen, zeigen sie damit vielmehr ihren wahren Antrieb: internalisierter Frauenhass.

Extremismus und Radikalisierung

Die Problematik hinter dem Spiel ist nicht nur der Inhalt, sondern der Vertrieb selbst. Es stellt sich die Frage, wie „No Mercy“ überhaupt auf Steam veröffentlicht und zum Kauf angeboten werden konnte? Mick Prinz von der Amadeu Antonio Stiftung ist Projektleiter von „Good Gaming – Well Played Democracy“ und beobachtet rechten Extremismus und Radikalisierung in der Gaming-Kultur.

„Wir sehen schon seit Jahren, dass Steam-Richt­linien im Community- und Game-Bereich von der Plattform nicht umgesetzt werden“, so Prinz.

Auf Steam werden täglich zwischen 40 und 50 Spiele hochgeladen und nur die wenigsten davon werden kontrolliert. Es überrascht Prinz nicht, „dass neben beispielweise rassistischen Propagandagames oder antisemitischen Modifikationen auch solch ein frauenverachtendes Spiel über die Steam-Shop-Seite kaufbar war“.

Er kritisiert auch, dass die Plattform immer erst auf öffentlichen Druck hin reagiert und ihre eigenen Richtlinien nicht umsetzen will. Prinz vermutet dahinter wirtschaftliches Kalkül.

Obwohl das Spiel inzwischen nicht mehr auf Steam verfügbar ist, bleibt es auf Umwegen erhältlich. Auf itch.io, einer Marktplattform für unabhängige Studios, antwortet Zerat Games auf Fragen, wie man das Spiel weiterhin herunterladen kann. Hinter dem Studio steht aller Wahrscheinlichkeit nach ein einziger Entwickler, Nationalität unbekannt.

Er sieht in seinem Spiel keinen Frauenhass, sondern rechtfertigt alles mit verschiedenen Meinungen. Wieder einmal wird der Deckmantel der Meinungsfreiheit über die Misogynie gelegt.

Dabei hat das Medium der Videospiele längst gezeigt, dass es auch vollwertige weibliche Figuren in den Mittelpunkt stellen kann. Ellie aus „The Last of Us“, die titelgebende Hexe in „Bayonetta“, 2B aus „Nier: Automata“, das Mädchen Clementine aus der „The Walking Dead“-Reihe oder Amicia de Rune, die in den „A Plague Tale“-Spielen ihren kleinen Bruder beschützt – sie alle stehen gegen die Marginalisierung und Fetischisierung ihres Geschlechts. Das Problem liegt nicht am Medium, sondern an den Köpfen dahinter.

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3 Kommentare

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  • Während selbstredend Spiele wie das Behandelte absolut indiskutabel sind und bekämpft werden sollen und müssen, stellt sich mir insgesamt die Frage, inwieweit viele Spiele fragwürdig sind.



    Ob nun eine feministische, queere PoC andere Lebewesen abschlachtet, oder ein reaktionärer, weißer, männlicher Charakter - es ist aus meiner Sicht gewaltverherrlichend und fragwürdig.



    Ganz im Duktus mancher „Antifa“, die Aufkleber mit dem Slogan „Kill Nazis!“ pappen…

  • "Ein trauriger Beweis dafür ist der im März erschienene Titel „No Mercy“.

    Man sollte für den Sexismus der Branche nicht das Spiel eines einzelnen unabhängigen Entwicklers heranziehen. Die Spieleindustrie war hier ja offenbar gar nicht beteiligt. Hier liegt eher ein Versagen der Qualitätskontrollen von Steam vor.

    Das wäre so als ob man die deutsche Filmbranche anhand eines Amateurpornos kritisieren, der es irgendwie in die ARD-Mediathek geschafft hat...

  • War das Spiel ernsthaft auf Steam verfügbar?! Das ist skandalös. Unternehmen die keinerlei Prüfung, bevor sie etwas zulassen? ich bin davon ausgegangen, daß es solche Dinge in den finsteren Ecken des Internets gibt, ja, aber doch nicht beim größten Vertrieb der Welt.

    Was hat Steam zu seiner Verteidigung zu sagen gehabt?