Sexgewerbe floriert in Südostasien: Das „Epizentrum“ des Sextourismus
Obwohl in Kambodscha, Vietnam, Laos und Thailand Prostitution illegal ist, wächst der Sextourismus. Die Ordnungshüter schauen weg.
Die junge Frau sitzt auf den Stufen eines Massagesalons in Chiang Mai im Norden Thailands. Die schwarzen Haare hochgesteckt, mit einer Nadel im Dutt, ein kurzes rot-gelbes Kleid aus Seide. Sie ist makellos geschminkt und barfuß. In Thailand zieht man die Schuhe aus, bevor man einen Raum betritt. Hinter der jungen Frau im Raum liegen zwei andere Thailänderinnen auf Kissen. Gerade haben sie nichts zu tun. Aber es kann sein, dass in der nächsten halben Stunde jemand die Stufen hochsteigt und von den Frauen bedient werden will. Mit einer Massage, einer Maniküre, einer Pediküre. Oder mit Sex.
Wird eine Nagelpflege oder eine Fußmassage gewünscht, bleiben die Frauen mit ihren Kunden im Vorderraum, sichtbar für die Passanten auf der Straße. Es kann aber auch sein, dass eine Thailänderin mit einem Gast in einem Hinterzimmer verschwindet. Dort hat niemand Einblick. Denn dort werden die beiden Sex haben. Für den der Mann bezahlt.
In Thailand ist Prostitution verboten. Deshalb ist sie getarnt, häufig ganz „klassisch“ als Massagesalon. Oder als kleines Familienhotel, als Friseursalon, als Nagelstudio. Inoffiziell wird Prostitution allerdings geduldet. Seit dem Vietnamkrieg gilt das Land als „Epizentrum“ des Sextourismus. In Vietnam stationierte US-Soldaten wurden damals zur „Erholung“ nach Thailand geschickt. Zur Genesung sollten auch junge Frauen und Mädchen beitragen.
Nach dem Krieg wurde der Sexmarkt global beworben. Rund zwei Millionen weibliche Prostituierte soll es heute in Thailand geben, hauptsächlich in den Touristenhochburgen wie der Hauptstadt Bangkok, Chiang Mai im Norden und auf den Inseln Phuket und Ko Samui. Pattaya im Osten, wohin männliche Sextouristen seit Jahren gern reisen, gilt als „Bordell des Westens“.
Mittlerweile hat sich der Sextourismus auf Frauen als Kundinnen ausgeweitet. Einer Studie der Chulalougkarn-Universität in Bangkok zufolge soll es in Thailand inzwischen mehr als 30.000 männliche Prostituierte geben. Die sogenannten Love Boys arbeiten in Klubs und Bars. Die meisten sind jung, viele von ihnen Studenten, die sich so das Studium finanzieren.
In Südostasien floriert das Sexgewerbe
Etwa 27 Milliarden Dollar soll das Sexgewerbe jedes Jahr ins Königreich spülen. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2015 nach Angaben des Auswärtigen Amtes rund 355 Milliarden Dollar. Schätzungen gehen davon aus, dass im Norden des Landes zwei Drittel aller Haushalte von der Prostitution leben.
Nicht nur in Thailand, überall in Südostasien floriert das Sexgewerbe: In Kambodscha, Vietnam und Laos wächst es, obwohl Prostitution dort illegal ist. Einen Grund sehen TourismusexpertInnen im thailändischen Prostitutionsverbot. Sextouristen aus Westeuropa, den USA, Australien und Neuseeland weichen auf Thailands Nachbarländer aus.
Dort ist Prostitution häufig offen sichtbar. Beispielsweise in Pnom Penh, der kambodschanischen Hauptstadt. Hier stehen junge Frauen an den Straßenrändern des beliebten Touristenviertel in der Innenstadt, typisch gekleidet mit aufreizender Wäsche und hohen Schuhen. Sie sitzen vor Bordellen und Sexbars, die Namen tragen wie „69“ und „Pussycat“.
2014 zog es nach Angaben des kambodschanischen Tourismusministeriums mehr als vier Millionen Besucherinnen und Besucher in das Land. Sie fahren nach Siem Reap, um die Tempelanlage Angkor Wat zu sehen. Sie liegen am Strand von Sihanoukville, sie wandern durch den Dschungel in der Nähe der kleinen Stadt Kampot. Und manche Männer kommen, um vor allem Sex zu haben – schnell, unkompliziert, billig.
Es geht ums Überleben
Einige Frauen in Kambodscha sind schon für 5 Dollar zu haben. Viele stammen aus ländlichen Regionen und gehen, um sich zu prostituieren, in die Städte. Die meisten machen das nicht freiwillig, sie sind auf das Geld angewiesen, das sie mit ihrem Körper verdienen. Damit ernähren sie ihre Familien zu Hause, viele brauchen es, um selbst überleben zu können. In den südostasiatischen Ländern arbeiten Frauen in der Regel in „typischen“ Frauenberufen, die schlecht bezahlt werden. 90 Prozent der MitarbeiterInnen in der kambodschanischen Textilindustrie zum Beispiel sind weiblich, sie verdienen nach Angaben der Gewerkschaft Cambodian Alliance of Trade Unions rund 140 Dollar monatlich.
Unabhängig von der hohen Aids- und HIV-Rate in Kambodscha, bedingt durch ungeschützten Sex, haben Prostitution und Sextourismus in Kambodscha seit einigen Jahren eine zusätzliche dramatische Dimension angenommen: sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen. Eine Studie der Vereinten Nationen (UN) geht von weltweit 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Jungen aus, die sexuelle Gewalt erleben und erlebt haben. Der UN-Kinderrechtsausschuss schätzt, dass ein Drittel der Prostituierten in Kambodscha jünger ist als 18 Jahre.
Die europäische Polizeibehörde Europol spricht mittlerweile von massivem Kindesmissbrauch durch das Internet: Kinder in armen Ländern werden vor eine Computerkamera gesetzt, ein „Kunde“ irgendwo auf der Welt schaltet sich zu und gibt Anweisungen, was das Kind zu machen hat. Oder was mit dem Kind zu machen ist.
All das ist den kambodschanischen Behörden bekannt. Auch die internationale Tourismusbranche ist darüber informiert. Selbst in Reiseführern wird darauf hingewiesen. Wenn die ITB, die Internationale Tourismusbörse, Reiseveranstalter und Reisende nach Berlin zieht, baut die Kinderrechtsorganisation Ecpat auf dem Messegelände einen Stand auf. Der Verein arbeitet weltweit mit staatlichen sowie mit nichtstaatlichen Organisationen zusammen, um Kinder vor jeglicher Ausbeutung zu schützen. „Die sexualisierte Gewalt an Kindern findet überall auf der Welt statt, mal im Verborgenen, mal sichtbar“, sagt Dorothea Czarnecki, Ecpat-Mitarbeiterin in Hanoi in Vietnam.
Das Unrechtsbewusstsein nimmt zu
Jedoch wächst selbst in Reisegegenden mit hoher Armutsquote, in denen Prostitution als probater Gelderwerb gilt, das Unrechtsbewusstsein gegenüber sexueller Ausbeutung von Kindern. So würden Reiseunternehmen inzwischen „Kinderrechte kritisch nachfragen“, sagt Czarnecki. Für manche Tourismusunternehmen gehöre der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung mittlerweile zum „nachhaltigen Wirtschaften“. So wie etwa der sorgfältige Umgang mit der Natur.
Die internationale Kinderschutzorganisation „The Code“ mit Sitz in Bangkok hat dafür eine Art Vehaltenskodex für Hotels, Hostels und familiäre Gästehäuser entwickelt. Die Regel ist so klar wie schlicht: kein Sex mit und keine Gewalt an Kindern. Wer Männer mit kleinen Mädchen oder Jungs irgendwo verschwinden sieht, soll die Polizei rufen. Bislang haben weltweit über 300 Reiseveranstalter, Hotels, Restaurants den Kodex unterschrieben.
Manche Unterkünfte in Kambodscha empfangen ihre Gäste an der Rezeption mit auffälligen Schildern: „In diesem Hotel sind fremde Personen nach 22 Uhr nicht erwünscht.“ Eine freundliche Formulierung für ein Prostitutionsverbot. Darunter häufig Telefonnummern von Hilfsorganisationen gegen Kinderprostitution. In den Straßen von Pnom Penh werben Frauenorganisationen dafür, sich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel zu engagieren.
Seit 2008 ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern in Kambodscha verboten. Die Sensibilität für das Thema wächst, sagt Czarnecki von Ecpat. Bis 2013 hat die kambodschanische Polizei gemeinsam mit der Kinderrechtsorganisation APLE (Action Pour Les Enfants) 288 Kinderschänder und Personen aus deren Umfeld festgenommen. Ausländer sowie Kambodschaner. Aber auch Kambodschanerinnen sind dabei gewesen.
Frauen spielen eine besondere Rolle
Kinder, vor allem wenn sie verängstigt sind, vertrauen Frauen eher als Männern. Daher sind in Kinderschänderringe immer auch Frauen involviert. Czarnecki sagt: „Frauen spielen in diesem Bereich eine große Rolle als Komplizinnen, also bei der Anwerbung und beim Transport potenzieller Opfer.“
An den weißen Stränden von Sihanoukville, einer Stadt am Golf von Siam in Kambodscha, sitzen viele weiße ältere Männer. Touristen, Geschäftsreisende, Rentner, die hier den Winter verbringen. Die meisten machen keinen Hehl daraus, was sie hierher zieht, im Gegenteil, manche gehen offen mit ihren Vorstellungen vom Leben hier um. Sie erwarten Dienstleistungen aller Art, dafür bezahlen sie: Kochen, Waschen, Einkaufen, Sex.
Manche Männer stellen sich als eine Art Entwicklungshelfer dar, wenn sie einer Familie Geld geben, mit der diese dann ein kleines Café oder ein Guesthouse mit ein paar Zimmern in einem Badeort aufbauen kann. So wie Werner, ein deutscher Rentner aus Nordrhein-Westfalen. Der Mann sitzt unter einem Sonnenschirm aus Palmenblättern. Nackter, weißer Bauch, der sich über eine rote Boxershorts arbeitet, vor sich ein Bier. Er hat sich von einer jungen Frau einen Fisch braten lassen, den er auf dem Markt gekauft hat. Dazu gibt es gekochte Garnelen und gegrilltes Gemüse. Es ist 11 Uhr am Vormittag.
Absurde Rechtfertigungen
Ob Werner tatsächlich Werner heißt und wie sein Nachname lautet, ist ungewiss. Unter Travellern werden solche Angaben nicht ausgetauscht, man duzt sich und ist schnell privat. „Sextourismus?“ Werner ist erstaunt: „Nein, nein, wieso das denn?“ Seit zehn Jahren kommt Werner hierher. Um dem deutschen Winter zu entfliehen. Aber auch, um den Menschen hier „auf die Sprünge zu helfen“.
In diesem Jahr zum Beispiel unterstütze er die Familie der Frau, die ihm den Fisch gebraten hat. Von dem Geld, das er der Familie gebe, könnten die beiden kleinen Kinder ein Jahr lang zur Schule gehen. Mit der älteren Tochter gehe er schon mal in die Stadt, sie schlafe bei ihm im Zimmer. „Ich bin ja die ganze Zeit mit ihr zusammen“, sagt Werner: „Das ist doch kein Sextourismus, eher eine Beziehung auf Zeit.“
Ein junges Mädchen läuft herbei, sie räumt den Teller mit den Fischgräten ab. Werner greift nach ihrem Arm und umfasst ihre Hüfte. Er schnauft: „Sextourismus? Was für ein Quatsch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel