Serien im türkischen Staatsfernsehen: Erdoğans Lieblingsserie
Historische TV-Serien über das Osmanische Reich sind in der Türkei so erfolgreich wie nie. Beliebte Serien nutzt die Regierung als Instrument.
Köln, Deutzer Werft, im Juli letzten Jahres: Zehntausende Deutschtürken versammeln sich, um gegen den Putschversuch in der Türkei zu demonstrieren. Neben der türkischen Fahne fallen auch vereinzelt blaue Fahnen mit drei weißen Zeichen auf. Junge, überwiegend bärtige Männer tragen sie mit breiter Brust. Es ist die Fahne eines vorosmanischen Türkenstammes, des sogenannten Kayi-Stammes. Aus diesem gingen später die Osman-Dynastie und das Osmanische Reich hervor.
Berühmt wurde diese Fahne durch die türkische Erfolgsserie „Diriliş Ertuğrul“ (deutsch: „Ertuğruls Auferstehung“). Seit der Erstausstrahlung im Jahr 2014 ist die historische Serie kaum wegzudenken aus den Wohnzimmern vieler Türken, denn sie liefert Starbesetzung, hochwertige Aufnahmen, aufwendige Kampfszenen wie in Hollywood und ein spannendes, auf Verschwörungen basierendes Szenario. Mit dem Protagonisten Ertuğrul, dargestellt durch den Frauenschwarm Engin Altan Düzyatan, feierte die Serie im türkischen Staatsfernsehen TRT bereits im ersten Jahr großen Erfolg – und das, obwohl jede der bisher 91 Folgen satte 2 Stunden dauert. Laut den aktuellsten Ergebnissen der türkischen Ratingagentur RTÜK schauen zwei von drei türkischen Fernsehzuschauern die Serie regelmäßig.
„Diriliş Ertuğrul“ ist Teil eines größeren Hypes um Serien, die die Ära der Seldschuken und Osmanen behandeln. Dieser begann 2011 mit der Serie „Muhteşem Yüzyıl“ („Das prächtige Jahrhundert“) im privaten türkischen Fernsehen. Die attraktive Deutschtürkin Meryem Uzerli übernahm die Hauptrolle der Hürrem Sultan, Gemahlin des Sultans. Anders als bei „Diriliş Ertuğrul“ wurde „Das prächtige Jahrhundert“ allerdings von der konservativen Mehrheit oft dafür kritisiert, die osmanische Vergangenheit auf ein von Sex und Intrigen dominiertes, orientalistisches Harem-Bild zu reduzieren.
Dass sie dennoch so erfolgreich war, hat vor allem den Staatssender TRT auf die Idee gebracht, selber historische Serien zu produzieren. So läuft seit Ende Februar im selben Staatssender TRT1 neben „Diriliş Ertuğrul“ die historische Serie „Payitaht Abdülhamid“, die die letzten Jahre des 34. osmanischen Sultans Abdülhamid behandelt. Darin wird verdeutlicht, wie das Osmanische Reich durch inländische und ausländische Feinde der Hand des rechtmäßigen Khalifen Abdülhamid langsam entrissen wurde. Aus der aktuellen politischen Situation der Türkei heraus betrachtet scheint die Message: Fehler der Vergangenheit sollen sich nicht wiederholen, die Nation steht auf dem Spiel.
Erdoğan-Auftritte mit Serien-Soundtrack
Dass derartige historische Serien gut ankommen, könnte damit zusammenhängen, dass viele Türken sich bis heute nicht wirklich mit der Republik Atatürks anfreunden können. Die Serien spiegeln den sehnsüchtigen Wunsch, in glorreiche osmanische Zeiten zurückzukehren. Es ist der wunde Punkt des nationalistisch-konservativen Teils der türkischen Bevölkerung.
Bei derart hohen Zuschauerzahlen ist auch die Serienlandschaft für die türkische Regierung enorm wichtig. Und so überrascht es nicht, dass zahlreiche Serien auf dem staatlichen Sender TRT bereits seit Jahren Aspekte der Regierungsagenda vermitteln – und die Bevölkerung auf Umbrüche und Krisenzeiten vorbereiten.
Bei „Diriliş Ertuğrul“ war das so effektiv wie bislang in keiner anderen Serie. Je populärer die Serie wurde, desto öfter wurden auch politische Botschaften der AKP-Regierung vermittelt. Nachdem Staatspräsident Erdoğan im Juni 2015 die Schauspieler persönlich am Set besuchte, wurde er fortan mit der Serie sinnbildhaft in Verbindung gebracht. Erdoğans Auftritte und Videos wurden zahlreich mit dem markanten Soundtrack der Serie unterlegt. Klänge einer zentralasiatischen Dombra, eines Zupfinstruments, das an die Wurzeln des türkischen Volkes erinnert und einen mitreißenden Charakter hat.
Alle „Türkeinfeinde“ werden in der Serie besiegt
Auch das Drehbuch passte sich immer mehr an die politische Ideologie der AKP-Regierung an. Immer häufiger deckten sich Dialoge in der Serie mit den politischen Positionen und Aussagen Erdoğans. Eklatante Überschneidungen zwischen Erdoğans Reden und Aussagen in der Serie wurden sogar in beliebten türkischen Nachrichtenportalen festgehalten.
Den am 22. Februar 2015 durchgeführten und umstrittenen Eingriff des türkischen Militärs in Syrien, um das historische Grabmal von Süleyman Schah vor der Terrormiliz IS zu evakuieren und auf türkischen Boden zu holen, thematisierte „Diriliş Ertuğrul“ sogar schon vorab. Süleyman Schah tritt in der Serie als Vater des Protagonisten Ertuğrul auf. An einer Stelle sagt er: „Eines Tages eilt sicher jemand von unserem Stamm und holt uns in das eigene Land zurück.“
Die historische Serie behandelt die Zeit unmittelbar vor dem Osmanischen Reich, erzählt die Geschichte des Protagonisten Ertuğrul, der der Vater des ersten Osman Gazi ist, des Begründers des Reichs. Er kämpft in der Serie gegen die Kreuzritter, die ungläubigen Mongolen und gegen Kollaborateure aus den eigenen Reihen. Das Ziel ist, die Türken zu spalten und über sie zu herrschen. Doch durch die Eigeninitiative des charismatischen Ertuğrul, dessen Entscheidungen stets auf göttlichen Fügungen basieren, können alle „Türkenfeinde“ besiegt werden.
Mehrere Anlässe zeigen den Einfluss der Serie
Symbolisch ist, dass die Feinde im Inneren als Unterwanderer des Staates agieren. Sie werden über mehrere Folgen hinweg ausfindig gemacht und dann in eindrucksvollen und blutigen Prozessen durch das Schwert des gerechten Ertuğrul enthauptet. Diese brutalen Szenen kommen gut an. Erschreckend in einer Zeit, in der es zur Debatte steht, die Todesstrafe wiedereinzuführen, um sie gegen politische Gegner einsetzen zu können.
Analysiert man nun die Feindbilder der aktuellen türkischen Regierung, ist unschwer zu erkennen, dass sich auch hier die vermittelten Inhalte decken: Die Putschisten kooperieren mit dem feindlichen Westen, den Vertretern des Kreuzes, und unterwandern den Staat, um Erdoğan zu stürzen und die Macht zu ergreifen.
Anlässe wie die Demonstration gegen den Putsch in Köln-Deutz im vergangenen Sommer zeigen, wie viel Einfluss eine Serie auf die Bevölkerung nehmen kann. Mit ebenjenen blauen Fahnen aus der Serie forderte dort eine kleine Gruppe unter den Demonstranten die Wiedereinführung der Todesstrafe für „Landesverräter“. Ob sie in der Türkei tatsächlich wiedereingeführt wird oder nicht, sei dahingestellt. Aber auch ein halbherziges Rufen danach ist nicht gerade ein Bekenntnis zu unserer Verfassung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten