Serie „Reservation Dogs“ bei Disney+: Mitten im Nirgendwo
„Reservation Dogs“ ist die erste Serie, die komplett von Native Americans geschrieben und inszeniert wurde. Sie porträtiert charmant vier Teenager.
Eigentlich sind Bear (D’Pharaoh Woon-A-Tai), Elora (Devery Jacobs), Cheese (Lane Factor) und Willie Jack (Paulina Alexis) ziemlich normale US-amerikanische Kleinstadt-Teenager. Der Alltag besteht aus Kleinkriminalität und viel Langeweile, man lotet die eigene Identität ebenso aus wie das Verhältnis zu den Erziehungsberechtigten, und letztlich ist das einzige Ziel, möglichst schnell alles hinter sich zu lassen und anderswo neu anzufangen. So weit, so gewöhnlich.
Und doch ist die Serie „Reservation Dogs“, die die Geschichte dieses jugendlichen Quartetts erzählt, eine höchst ungewöhnliche. Schon weil sie die erste ist, die ausschließlich von Native Americans geschrieben und inszeniert wurde.
Dass die Geschichte der US-amerikanischen Indigenen in Film und Fernsehen eine weitestgehend unrühmliche ist, ist kein Geheimnis. In früheren Western waren „die Indianer“ meist die brutalen Bösewichte, in späteren eher „die edlen Wilden“.
Im Zentrum standen trotzdem selten sie, sondern die Weißen, die mit ihnen zu tun hatten. Eine Abbildung modernen autochthonen Lebens muss man in Hollywood eigentlich bis heute mit der Lupe suchen. Der Alltag in den Reservaten etwa dient, wenn überhaupt, bevorzugt als schmückendes Beiwerk in Krimiplots (siehe „Wind River“ oder „Stumptown“).
In erster Linie Komödie
Alltag gibt es nun in „Reservation Dogs“, erdacht von Filmemacher und Komiker Sterlin Harjo, mit Unterstützung durch den neuseeländischen Oscar-Gewinner Taika Waititi, reichlich zu sehen. Der auf Tarantinos Debüt „Resevoir Dogs“ verweisende Titel und vor allem der Auftakt der ersten Episode, in der die vier jungen Protagonist*innen ein wenig unbeholfen einen mit Chips-Tüten gefüllten Lieferwagen stehlen und verhökern, weckt kurz die Erwartungen an eine temporeiche Heist-Geschichte. Doch im Verlauf geht es eigentlich vor allem um geruhsames Beobachten.
„Reservation Dogs“, acht Episoden, Disney+
Der Plot spielt in dieser Serie eine eher untergeordnete Rolle, das Setting dafür eine umso größere. Das heruntergekommene, dünn besiedelte Örtchen Okern mag fiktiv sein, doch der Drehort wurde mit Bedacht gewählt. Okmulgee in Oklahoma – ziemlich buchstäblich „in the middle of nowhere“, wenn man auf eine Karte der USA blickt – ist seit dem Ende des Sezessionskriegs die Hauptstadt der Nation der Muskogee, erlebte seine kurze Boom-Zeit vor über 100 Jahren und verzeichnet heute mehr als ein Viertel seiner Einwohner*innen unterhalb der Armutsgrenze.
Sehr eindrücklich fängt „Reservation Dogs“ die Trostlosigkeit dieser Welt ein, die Bear und Elora so gerne gegen das Unendliche weit weg und Kalifornien eintauschen wollen.
Sosehr sich der selbst aus Oklahoma stammende Harjo und sein Team vordergründig auf allerlei universelle Erfahrungen des Erwachsenwerdens konzentrieren, so geschickt erzählen sie nebenbei aus der Alltagsrealität amerikanischer Indigener. Das Wissen um die hohe Suizidrate und grassierenden Alkoholismus unter Native Americans unterfüttern die Geschichte ebenso wie Bräuche, der Glaube an Geister oder das Misstrauen in die Medizin der Weißen.
Bei alldem ist „Reservation Dogs“ trotzdem nie Sozial- oder Milieustudie, sondern immer in erster Linie Komödie. Der Humor ist oft albern und schräg, aber zurückgenommener, als man angesichts der Beteiligung Waititis erwarten könnte, der ja in „Thor: Tag der Entscheidung“ oder „Jojo Rabbit“ nicht unbedingt subtil war.
Beiläufige Lakonie und Running Gags sowie sehr viel entspannter Charme machen den Reiz dieser Serie aus, und je besser man die vier einnehmend verkörperten Protagonist*innen und ihre Umgebung kennenlernt, desto mehr Spaß macht sie von Folge zu Folge. Auch deswegen ist die Meldung, dass eine zweite Staffel bereits bestellt ist, so erfreulich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin