piwik no script img

Serie Landkreis XXL„Sei tapfer mein Freund und sag Nein“

Viel Arbeitszeit wird heute schon auf der Landstraße verbracht, klagt der Theaterdirektor. Die Spielstätten für Philharmoniker, Schauspieler und Tänzer liegen weit auseinander.

Das Landestheater in Neustrelitz. Bild: dpa

NEUSTRELITZ/NEUBRANDENBURG taz | „Da wären wir“, sagt der Sandmann. „Wen haben wir denn da?“ fragt die Blitzhexe. „Kommt mit uns nach Bremen“, singt der Esel. Der Dezember ist Hochsaison – für Weihnachtsmärchen, Musicals, Sing- und Puppenspiele, Komödien. Keine Zeit der hohen Tragödie.

30 Kilometer liegen die Theater Neustrelitz und Neubrandenburg auseinander, das Wetter ist grau und gibt den Blick frei auf die sanft hügelige mecklenburgische Seenlandschaft. Abwechselnd treten die Schauspieler, Sänger, Musiker und Tänzer der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz in den beiden Spielstätten auf.

Das einst herzogliche Landestheater in Neustrelitz, das kleinere Schauspielhaus in Neubrandenburg: Zwei Dienstorte, Pkw erforderlich, so steht es im Arbeitsvertrag der Ensemblemitglieder.

„Eine Vielzahl von Diensten findet zwangsläufig auf der Landstraße statt“, sagt Wilhelm Denné, Geschäftsführer des Vierspartenbetriebs, der Konzerte, Tanz, Theater und Oper an insgesamt vier Spielorten bietet. Einer davon ist der Neustrelitzer Schlossgarten, der im Winter eine eher trüb-matschige Angelegenheit ist. Spielpause. Es wird saniert.

LANDKREIS XXL

Der Landkreis: Wie verändern demografischer Wandel und schmalere Budgets die Politik? Mecklenburg-Vorpommern hat 2011 als Lösung die Kreise neu geordnet. „Mecklenburgische Seenplatte“ ist seitdem mit 5.496 Quadratkilometern der größte Landkreis Deutschlands. Kritiker fürchten, dass die Größe Identifikation, kommunale Selbstverwaltung und ehrenamtliches Engagement, die Grundlagen demokratischen Handelns, unmöglich macht.

Die Serie: Die taz begleitet ein Jahr lang den Kreis auf seinem Weg.

Nebenan sitzt Wilhelm Denné in seinem Büro des Landestheaters. Die niedrige Decke, der gelbe Anstrich erinnern entfernt an die barocke Vergangenheit des Hoftheaters, das zweimal niederbrannte.

Der 58-Jährige stammt aus dem Saarland, zu dem der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte neuerdings oft ins Verhältnis gesetzt wird: Er ist doppelt so groß wie das südwestliche Bundesland.

„Aber dort funktioniert alles halbwegs, weil die Infrastruktur anders ist“, sagt der Verwaltungsfachmann. Das Neustrelitzer Theater befindet sich in einem Flächenland – weit und breit wenig Menschen, die immer noch weniger werden und älter. Für die defizitären Kommunen und Kreise ein großes Problem: Wie sollen sie Kultur, die als freiwillige Leistung gilt, gewährleisten?

Geld fürs Theater

Wo wenig Menschen leben, ist auch das Steueraufkommen gering. So gesehen gibt Mecklenburg-Vorpommern im Schnitt sehr viel mehr pro Kopf für Theater aus als andere Bundesländer – 22,30 Euro pro Einwohner im Jahr.

So hat es die Münchener Agentur Metrum errechnet, die vom Kultusministerium in Schwerin beauftragt wurde, die Theater- und Orchesterstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern zu evaluieren. Noch unter der alten Landesregierung war das Budget für die acht Theater im Land auf 35,8 Millionen per Finanzausgleichsgesetz festgelegt worden. Die Summe ist seit Jahren gleich und soll bis 2020 nicht erhöht werden.

Bis dahin müssen die Theater zu neuen Struktur- und Finanzierungsmodellen gefunden haben. Sie sollen sparen, fusionieren, notfalls schließen. Sie sollen innovativ sein. Sie sollen die 1,6 Millionen Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns bespaßen, bespielen, unterhalten, bilden.

Ein empörter Chefdirigent

Bei einer Anhörung im Schweriner Landtag sagt Stefan Malzew, der Chefdirigent der Neubrandenburger Philharmoniker, empört: „Ein Orchester funktioniert doch nicht nach dem Baukastenprinzip.“ Wenn eine Oboe wegfällt, kann man sie nicht durch einen Streicher ersetzen. Für sein Orchester schließt Malzew eine Fusion mit den Orchestern in Stralsund oder Greifswald aus.

„Unmöglich“, sagt er später im Gespräch und schüttelt seinen Wuschelkopf. Das sei, als spanne man Trabbi und Mercedes zusammen. Keine Frage, dass er sein Orchester, das der Neubrandenburger Konzertkirche gefüllte Sitzreihen beschert, für den Mercedes hält.

Sein geschäftsführender Direktor Wilhelm Denné gibt sich konzilianter. Man könne nicht nur Nein sagen. Im Tanz- und Theaterbereich hält er Fusionen mit den Theatern in Vorpommern für „leistbar – mit Verlusten“. Menschliche Verluste, künstlerische Abstriche, weniger Vorstellungen.

Im Musikbereich sei eine Fusion wesentlich schwieriger, glaubt auch Denné. Schon weil die Orchestermusiker die mächtige Deutsche Orchestervereinigung hinter sich haben, die sich um Tarifverträge, Dienstzeiten, Pausenregelungen kümmert. Bitter ist für ihn, dass sein Haus in Neustrelitz bereits 2001 eine Fusion aus Kostengründen vollzogen hat: mit Neubrandenburg. Damals fielen dort das Kammertheater und in Neustrelitz das Opernorchester weg. 556 Mitarbeiter hatte das Theater nach der Wende, heute sind es 238. Wen oder was soll man jetzt noch einsparen?

Löcher im Fußboden

„Ich kann eigentlich nur jammern“, sagt Heinrich Pfeilschifter. „Aber wollen Sie das hören?“ Energischen Schrittes führt der technische Direktor durch die Korridore, Lagerhallen und Werkstätten des Theaters in Neustrelitz. Der Fundus ist im Marstall untergebracht, „extrem umständlich“.

Der Fußboden hat Löcher. „Man müsste eigentlich dringend die ganze Bühnentechnik erneuern, auch die Drehbühne“, sagt Pfeilschifter. „Aber in der jetzigen Situation investiert doch niemand hier.“ Zwölf Jahre hat der gebürtige Süddeutsche zuletzt an der Berliner Schaubühne gearbeitet. „Eine andere Welt.“

In Neustrelitz gehe es ums nackte Überleben. In der Gewandmeisterei werden die Stoffe zugeschnitten, gebügelt. Vierzig Jahre ist die Mitarbeiterin schon am Haus. Ein Theaterplastiker arbeitet an zwei riesigen Masken, die sich die Schauspieler über den Kopf stülpen können. Anderthalb Wochen braucht so ein Kopf, erklärt er. „Die lieben ihr Theater“, sagt Pfeilschifter über seine Mitarbeiter. „Sie geben ihr Bestes. Und deswegen wollen sie wertgeschätzt sein.“

Neun Modelle für die Fusion

Von dieser Wertschätzung ist bei der Anhörung im Schweriner Landtag wenig zu vernehmen. Die Agentur Metrum hat neun Modelle zur Kooperation und Fusion der Theater und Orchester im Land vorgeschlagen, der Kulturausschuss im Schweriner Landtag will die Beteiligten hören – Direktoren, Kommunalpolitiker, Interessenvertreter. Auch ein Vertreter des Kreises Mecklenburgische Seenplatte ist gekommen.

Viel ist bei der Anhörung von „kulturellen Leuchttürmen“ die Rede. Damit sind vor allem Schwerin und Rostock gemeint. Doch was passiert „mit der Fläche“? Die bedienen die kleineren Theater wie Neustrelitz, Neubrandenburg oder Anklam. Sind sie verzichtbar?

„Theater schafft Identitäten“, sagt Wolfgang Lachnitt, Operndirektor in Neustrelitz. „Als das Kammertheater Neubrandenburg zugemacht wurde, sind die Leute weggeblieben. Sie wenden sich vom Theater ab, sie fahren nicht woandershin.“

Molière im Kunsthaus

22.000 Einwohner hat Neustrelitz, die alte Residenzstadt, die sich gerade erst diesen Titel zurückerobert hat, seitdem sie an Neubrandenburg den Rang der Kreisstadt abtreten musste. Der Schinkel-Schüler Friedrich Wilhelm Büttel hat die barocke Stadtansicht von Neustrelitz geprägt: sternförmig ist der Marktplatz angelegt, von dem aus strahlenförmig acht breite Straßen abgehen, für den heutigen Verkehr eher überdimensioniert.

Nah am Marktplatz liegt auch das Neustrelitzer Kunsthaus, eine Gründerzeitvilla. Schüler Max hat sich einen orangefarbenen Bademantel von zuhause mitgebracht. „Als Angebot für die Probe.“ Er mimt den „Eingebildeten Kranken“ von Molière, vier Mädchen agieren um ihn herum.

„Es hat gerade keinen Anschluss, keinen Rhythmus“, greift Michael Goralczyk ein, der die Theater AG des Carolinums, des örtlichen Gymnasiums, leitet. Die Frau Notarin soll den Hypochonder umgarnen – mit schwarzen Handschuhen. Nach einigen Anläufen wird die Szene griffiger.

AG-Leiter Michael Goralczyk gehört zum kleinen Ensemble des Landestheaters. Die Theater-AG hat er vor drei Jahren auf Anfrage der Schule übernommen. Er mag Neustrelitz. „Hier kann man schneller was auf die Beine stellen als in Berlin“, sagt er und verweist auf das Kunsthaus.

Kultur in Neustrelitz

Ein gutes Umfeld für die Nachwuchspflege. Die Schüler kommen zum Proben, sie gehen ins Theater, um ihn spielen zu sehen. Stella Schüssler, die dunkelhaarige Leiterin, gesellt sich hinzu. Das Kunsthaus sei sogar aus dem Umfeld von Theaterleuten gegründet worden, berichtet sie. „Neustrelitz ist ein guter Ort. Er hat sich entschieden: Hier soll Kultur stattfinden.“

Mit zehn Prozent ist die Stadt an der Theater und Orchester GmbH beteiligt, fünfzig Prozent gibt Neubrandenburg, vierzig Prozent der Kreis. Die Zuwendungen vom Land sind für den Vierspartenbetrieb unverzichtbar.

Noch ist nichts entschieden: Doch die Frage, ob die GmbH mit anderen zusammengehen muss, ist nicht vom Tisch. Da gibt es kleinere und größere Übel, da gibt es ein Gestrüpp an Tarifverträgen, da gibt es die Frage, die ein Ausschussmitglied im Schweriner Landtag stellte: Wie hoch sind eigentlich die Kosten einer Umstrukturierung?

Theater in der DDR

Michael Goralczyk hat Sprechprobe für „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilen“. Der Verfasser Peter Hacks war ein gefeierter DDR-Dramatiker. Überhaupt die DDR. Sie war ein Staat, in dem Theater wichtig war. Vielleicht auch das ein Grund, warum die bürgerliche Schicht in Neustrelitz noch ins Theater geht. „Die Mutter mit der Tochter“, sagt der technische Leiter.

Das Theatermobiliar ist original DDR-Ausstattung. Die Wandlüster im Foyer hätten auch in „Erichs Lampenladen“, dem Palast der Republik, in Berlin hängen können. In der Pause unterhalten sich die Beteiligten, diskutieren die Theatermodelle. Die Ausstatterin ist bereits abgereist. Sie hat drei Stunden Fahrt nach Anklam vor sich. Eine Kooperation der beiden Bühnen. Ist das die Zukunft?

Im Bühnenraum steht noch von der letzten Vorstellung ein Schild mit dem Spruch „Sei tapfer mein Freund und sag Nein“. Es stammt aus dem Brecht-Weill-Stück „Happy End“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • M
    Meck-Pommerin

    Im Zusammenhang mit dem Wegnehmen von Geld aus dem Kulturetat ist die Schließung des Landestheaters in Schwerin zu nennen.

    Der Kulturminister Meck-Pomm, Mathias Brodkorb, hat Anfang der 200er Jahre dreist voller Inbrunst öffentlich gesagt (und auf seiner damaligen Homepage veröffentlicht), dass Pinguine mehr Intelligenz haben würden, als Schwerbehinderte. Und dreist 'begründete' Brodkorb dies seinerzeit damit, dass er ja Erfahungen als Zivildienstleistender in einer Förderschule gehabt habe.

    Mehr dazu in der Regionalpresse (Ostseezeitung, Schweriner Volkszeitung und anderen Meck-Pommer Regionalzeitungen) zu dem rechtslastigen Aussetzer des Brodkorb.

    Zum linken Flügel der SPD (die in sich gar nicht mehr sozial ausgerichtet ist) rechne ich Brodkorb nicht. So schnell können sich eigenen Meinungen gar nicht ändern, auch bei Brodkorb nicht.

    Immerhin, Brodkorb'scher Sprech (der nichts anderes als eine Abwertung, überhaupt, eine Bewertung Behidnerter war), war auch in der Nazizeit en vogue. Was dieser ominösen Bewertung in der Nazizeit folgte, das ist wohl jedem / jeder bekannt.

    Wehret weiter den Anfängen!