Serie Flüchtlingsleben (IV): In der Warteschleife
Asylbewerber dürfen nur einen Job annehmen, den kein Deutscher, kein EU-Ausländer, kein Flüchtling mit gesichertem Aufenthaltsstatus machen will oder kann. Eine solche Arbeitsstelle zu finden, ist nicht einfach.
HILDESHEIM taz | Am Anfang war Hazratullah Abasi voller Elan. Das erste Jahr, in dem der afghanische Flüchtling wie alle Asylbewerber mit einem Arbeitsverbot belegt war, war kaum zu Ende, da machte sich der heute 30-Jährige auf die Suche nach einem Job, putzte Klinken vor allem bei seinen Landsleuten. Nach einigen Wochen hatte Abasi Erfolg: Der afghanische Geschäftsführer der Hildesheimer Filiale eines Frankfurter Im- und Exporthandels bot dem Asylsuchenden, der fünf Sprachen spricht, einen Job an.
So wähnte sich Abasi schon fast am Ziel, musste jedoch bald feststellen, dass er gerade erst den Startblock verlassen hatte und ein schier unüberwindbarer Hindernisparcours vor ihm lag. Denn ein Asylbewerber, so sieht es die deutsche Gesetzgebung vor, darf nur einen Job annehmen, den wirklich kein Deutscher, kein EU-Ausländer, kein Flüchtling mit gesichertem Aufenthaltsstatus machen will oder kann. So verschwand der Antrag des afghanischen Geschäftsmannes in einer Warteschleife, die sich im Amtsdeutsch "Vorrangsprüfung" nennt.
Von der Ausländerbehörde wanderte der Antrag ohne Eile zur lokalen Arbeitsagentur, wurde von dort agenturintern nach Frankfurt, dem Hauptsitz des Import-Unternehmens, weitergeleitet, wanderte nach Duisburg, wo geprüft wurde, ob nicht eine bevorrechtigte Person für diese Arbeit infrage käme, um schließlich über die lokale Arbeitsagentur zur Ausländerbehörde zurückzugelangen. Resultat: Der Antrag wurde nach mehreren Monaten mit der Begründung abgelehnt, für diese Arbeit stünden sicher mehrere geeignete bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Verfügung.
Abasi gab nicht auf. Zusammen mit dem niedersächsischen Flüchtlingsrat überredete er seinen Landsmann, den Antrag nachzubessern, die Sprachkenntnisse des Bewerbers als besondere Qualifikation gerade für den angebotenen Job noch stärker zu betonen. Erneut ging der Antrag auf mehrmonatige Deutschlandreise und seine Widerkehr erbrachte ein schon nicht mehr erwartetes Resultat: Abasi erhielt eine Arbeitserlaubnis für genau diese eine Stelle. Sofort informierte Abasi seinen Arbeitgeber in spe, und erhielt von dem eine niederschmetternde Nachricht. Fast ein Jahr nachdem er den Arbeitsantrag erstmals gestellt habe, hätte er mit der Besetzung der vakanten Stelle nicht länger warten können. Abasi käme zu spät, die Stelle sei leider schon vergeben.
Abasis Schicksal ist Alltag für den Flüchtlingsrat Niedersachsen, vergleichbare Fälle füllen Regale voller Aktenordner. "Die Ausländerbehörden haben Angst, dass über einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag ein zusätzliches Abschiebehindernis entsteht", sagt Karim Al-Wasiti vom Flüchtlingsrat. So seien die Gesetzgebung und die bürokratische Praxis darauf ausgelegt, Flüchtlinge, die man wieder loszuwerden hofft, von Arbeit fernzuhalten und ihnen so wenig Integrationschancen wie möglich zu bieten.
Das erste Jahr Arbeitsverbot, dann Vorrangsprüfung, und erst nachdem über einen Asylantrag positiv entschieden wurde oder vier Jahre vergangen sind, eine realistische Chance auf einen Job. Denn Menschen, die man nicht los wird, sollen dem Staat nicht auf der Tasche liegen - sie sollen arbeiten, sonst gibt es Druck. Doch vielen Flüchtlingen fällt nach Jahren des verordneten Nichtstuns die Rückkehr in die Arbeitswelt schwer - zu lange mussten sie Qualifikationen ruhen lassen, als dass der Einstieg in den Arbeitsmarkt ein Selbstgänger wäre.
Der Flüchtlingsrat und viele Partnerorganisationen organisieren mit Mitteln des europäischen Sozialfonds und des Bundesarbeitsministeriums mehrere wohlklingende Programme, mit denen Flüchtlinge an den Arbeitsmarkt herangeführt werden sollen. Fachtagungen, Integrationsprogramme, Trägernetzwerke. Millionen werden ausgegeben, um zu beweisen, wie ernst es die Politik mit ihren Bemühungen meint, den Migranten von gestern zum gesellschaftlichen Leistungsträger von morgen zu machen.
Doch wer noch unter dem Damoklesschwert einer baldigen Abschiebung steht, hat keine Chance. Schon die Residenzpflicht, die Asylbewerbern verbietet, ohne ausdrückliche Genehmigung, den Landkreis ihres Wohnheims zu verlassen, macht eine Jobsuche so gut wie unmöglich. Und die Praxis, Flüchtlinge die man auch langfristig nicht abschieben kann, nur mit auf höchstens drei Monate befristeten Duldungen auszustatten, schreckt jeden Arbeitgeber ab. Wer will jemandem schon einen Ausbildungsplatz anbieten, dessen Aufenthaltspapiere in wenigen Wochen ihre Gültigkeit verlieren könnten?
Diese Erfahrung musste auch die aus Syrien stammende Kurdin Schahnas Naso machen. Die heute 19-Jährige reiste vor zehn Jahren mit ihren Eltern und fünf Geschwistern ein, und stürzte sich voller Ehrgeiz auf eine Schuldbildung, die ihr in ihrem Heimatland als doppelt Diskriminierte - Frau und Kurdin - versagt geblieben wäre. Schahnas lernte perfekt Deutsch, übersprang eine Grundschulklasse und legte einen überdurchschnittlichen Realschulabschluss hin.
Ein Kinderarzt, bei dem sie zuvor ein Berufspraktikum gemacht hatte, forderte sie auf, sich bei ihm um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Doch als der Mediziner erfuhr, dass Schahnasas nur eine kurzfristige Duldung besitzt, fiel ihm überraschend ein, dass er sich doch keine weitere Auszubildende leisten könnte. "Alle aus meiner Klasse, die meisten mit viel schlechteren Noten als ich, haben einen Ausbildungsplatz erhalten, nur ich hatte keine Chance", ärgert sich die Kurdin, die sich fragt, warum sie sich für gute Schulnoten so angestrengt habe.
Vielleicht, um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie ihr jüngerer Bruder: Der wurde im vergangenen Februar kurz vor seinem Hauptschulabschluss nach Syrien abgeschoben, weil er eine "schlechte Schulprognose" hatte. Dabei war, so beteuert seine Schwester, sein Abschluss nie gefährdet, hatte er doch nur "eine einzige Fünf in Erdkunde".
Eine Fünf zu viel - nun muss der 17-Jährige - der laut seiner Schwester in Damaskus für fast vier Wochen im Gefängnis landete und dort misshandelt wurde, seine mangelhaften Geografiekenntnisse ganz praktisch verbessern - aus Angst vor weiterer Verfolgung ist er aus Syrien geflüchtet, befindet sich nun angeblich auf einer Flucht durch halb Europa. "Was ist das für ein Lan,d wo man wegen einer schlechten Zensur abgeschoben wird", fragt die Kurdin.
Schahnas Naso hat inzwischen mit Hilfe des Flüchtlingsrats einen Ausbildungsplatz gefunden. Arzthelferin wird sie nun nicht mehr, dafür aber Rechtsanwaltsfachangestellte. Und noch immer hangelt sich die junge Frau von Duldung zu Duldung. Einen dauerhaften Aufenthaltstitel, den ihr - vor laufenden Kameras - der Hildesheimer Landrat Reiner Wegner (SPD) vor über einem Jahr in Aussicht gestellt hat, hat sie bis heute nicht bekommen, von Wegner nie wieder etwas gehört. So bleibt der 19-Jährigen die Angst vor der Abschiebung, spätestens, wenn sie einmal arbeitslos werden sollte.
Und Hazratullah Abasi? Der gab die Arbeitssuche nicht auf und war sich schon mit dem Besitzer eines indischen Restaurants einig, dort anzufangen. Doch als der Gastronom erfuhr, welch bürokratischer Aufwand vor die Einstellung gesetzt ist, nahm er die Zusage zurück. Abasi bleibt damit weiter zum Nichtstun verdammt, nur mit Gutscheinen statt mit Geld ausgestattet, in einem Raum in der Flüchtlingsunterkunft zusammen mit Frau und anderthalbjährigem Sohn, statt in der eigenen kleinen Wohnung, die er aus einem Arbeitslohn finanziert hätte. "Ich brenne darauf, meine Energie und meine Fähigkeiten einzusetzen, mein Leben selbst zu finanzieren", sagt der 30-Jährige. Doch das ist offenbar nicht gewollt.
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